Susan Sontag im Literaturhaus München
Nicht nur der Geist
Susan Sontags, sondern gleich ganz New York kommt in diesem Jahr nach München ins Literaturhaus. New York scheint dabei die einzige Stadt zu sein, in der Susan Sontag der Mensch sein konnte, der sie war. Als unermüdliche Entdeckerin, sog sie alles auf, was sie umgab, ob bei Tag oder bei Nacht. Sontag war eine Frau, für die alles eine Bedeutung haben konnte und die dennoch scharf urteilte. Sie beobachtete nicht nur, sondern handelte selbst, versteckte sich nicht hinter ihrer Schreibmaschine. Mit ihrer Intelligenz, ihrem Mut und Kämpfergeist ist sie eine Inspiration für die heutige Zeit. Unter dem Leitsatz „Everything matters“ ist nun die Ausstellung, die sich Sontags Leben und Werk widmet, nach einer Sommerpause im August wieder für alle Besucherinnen und Besucher geöffnet. Amalia Rohrer hat diese Ausstellung für das Literaturportal Bayern besucht.
*
In dem hohen Raum reichen die Ausstellungsregale, die die Gestalt von New Yorker Wolkenkratzern imitieren, bis zur gewölbten Decke. Bis auf den dezenten, eingespielten Straßenlärm, der das Ambiente der Großstadt untermalt, ist es still. Neben den Stationen Lesen, Schreiben, Sehen, Handeln und (Über-)leben hat sich das Hören nur indirekt seinen Weg in die Ausstellung gebahnt. Die Besucher werden vor dem Betreten des Ausstellungsraumes mit einem kleinen persönlichen Lautsprecher ausgestattet, mit dem sie nach Belieben den Ton der Videotafeln, Projektionen und Bildschirme für sich hörbar machen können.
Die Stationen eines Lebens
Während sich die Besucher ihren Weg durch die Straßen New Yorks bahnen und Susan Sontag auf ihrem Lebens- und Schaffensweg begleiten, vollziehen sie ihre Lebensstationen selbst nach. Zum Lesen regen sowohl die kurz und informativ gehaltenen Texte über biographische Eckpunkte und wichtige Veröffentlichungen der Autorin an als auch die zweisprachigen Leuchtreklame-Schilder, auf denen Zitate Sontags vorbeiziehen. Um sie entziffern zu können muss der Kopf gehoben werden, zu den überlegenen Gedanken der Frau, die zum moralischen Gewissen Amerikas ernannt wurde.
Zu Sehen gibt es aber noch mehr. Die Ausschnitte aus französischen Filmen auf kleinen Bildschirmen, die alle gleichzeitig ablaufen, geben einen Eindruck von der Vielfalt an Einflüssen, die jeden Tag auf Susan Sontag gewirkt haben müssen. Die Frau, die gleich mehrere Ausstellungen und Kinofilme am Tag besuchte und alles gleichermaßen in sich aufnahm.
Die Station Schreiben informiert über die ersten erfolgreichen Veröffentlichungen Sontags in Magazinen wie Vanity Fair, Vogue und Playboy. Hinter Glas liegt das Manuskript des berühmten Textes At Thomas Mann’s, in dem Susan Sontag ihren Besuch bei einem ihrer großen literarischen Vorbilder verarbeitete. Und schließlich wird jeder Besucher auch selbst zum Schreiben aufgefordert. Vielleicht nicht gleich eine ganze Kurzgeschichte oder einen Essay, aber immerhin eine Liste. Susan Sontag war bekannt für ihre Listen, auf denen sie Verschiedenstes festhielt. Die großen Zettel sind bereits vorgedruckt und können ausgefüllt werden: „Was ich mag/ Was ich nicht mag“ steht auf der einen Liste, während eine andere dazu einlädt, seine eigenen Fehler und Freuden festzuhalten und sich selbst die Frage zu stellen: „Woran glaube ich wirklich?“
Zum Handeln fordert schließlich die Aktivistin Luisa Neubauer auf und überträgt in einer Videobotschaft Susan Sontags Theorien in den heutigen politischen Handlungsspielraum. Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, dass Susan Sontag ihre Zeit überdauerte und bis heute in den Köpfen der Menschen etwas verändern kann. Davon zeugt auch ein Interview mit Sontags späterer Geliebter, der Tänzerin und Choreografin Lucinda Childs, die mit Bewunderung über ihre Freundin spricht. In ihrer Erinnerung (über-)lebt Susan Sontag noch heute.
Weil alles wichtig ist
Zwischen den Häuserschluchten ist zudem permanent die Figur Sontag als intellektuelle Ikone ihrer Zeit präsent. In zahlreichen Fotografien, die Sontag in all ihren Lebensabschnitten zeigen, wird ihre zeitlose Stilsicherheit deutlich. Der Hèrmes-Ledermantel, der hinter einer Glasvitrine wie eine Reliquie in Szene gesetzt ist, ist genauso ein Teil von Sontag wie ihre Erstausgaben, Zeitschriften, ein kleiner Globus und Muscheln; alles findet gleichermaßen seinen Platz.
Fotos ihrer Wohnung, von beladenen Kaminsimsen, einem Mac mit durchsichtiger Tastatur und Post-its, einer Buddha-Figur und Hochhäuserstapel aus Büchern (die sich auch in der Ausstellung selbst wiederfinden) verstärken den Eindruck, dass bei Sontag wirklich alles wichtig war.
„Spend a day like Susan Sontag”
Es ist beeindruckend, wie sich Susan Sontag durch ihr Leben kämpfte und dabei ihre Meinung vertrat, auch wenn sie damit nicht immer auf offene Ohren stieß, wie z.B. mit ihrer Stellungnahme zur Reaktion der Bush-Regierung auf den Anschlag vom 11. September 2001. Und ebenso beeindruckend ist es, wie aktuell ihre Theorien und Überlegungen heute geworden sind. Ihr Essay On Photography, der 1977 bei Farrar, Straus & Giroux veröffentlicht wurde, wie auch der Text Against Interpretation (Evergreen Review, 1964) zeugen von ihrer Fähigkeit, die moderne Welt zu erfassen.
Gleichzeitig ist die Faszination groß für den Szenemenschen, der Susan Sontag offensichtlich war, was man der Anleitung „Spend a day like Susan Sontag“ entnehmen kann, die von Anna-Lisa Dieter verfasst wurde. Auf dem großen Blatt, das sich auch sehr gut als Zimmer- oder Kühlschrankdekoration eignet, kann sich jeder und jede Inspiration für einen neuen Alltagsrhythmus abholen: „7 am: Wake up and feel rage... 10 am: Museum: vsitit 2-3 art exhibitions... 7:30 pm: Go to your favourite restaurant with your male friend and two other female friends. Topics of conversation: Foreign policy, your upcoming lecture tour, your son's new girlfriend... 11:30 pm: Take 10-20 mg of speed to go on working on your essay for another 4 hours.“ (Unvollständige Liste) Mit ihrer nur 100 Seiten langen Biografie über Sontag war Anna-Lisa Dieter auch Konzept-Autorin für die Ausstellung, die noch bis zum 30. November zu sehen ist.
Mit diesem „Erfolgsrezept“ in der Hand endet der Besuch in New York auch schon wieder. Der Rhythmus der Stadt, die niemals schläft, verklingt und hinterlässt das Bild einer Frau, die ebenfalls niemals zu schlafen schien.
**
Diejenigen Besucher, die noch nicht im Detail mit den theoretischen Überlegungen Susan Sontags zu Fotografie, Krankheiten als Metaphern und Interpretation vertraut sind und nach einer Ergänzung zur Ausstellung suchen, werden nicht allein gelassen. In Kooperation mit dem glitch bookstore veranstaltet das Literaturhaus einen offenen Lesekreis. An den zwei verbleibenden Terminen werden Ausschnitte aus Über Fotografie und Das Leiden anderer betrachten besprochen.
Susan Sontag: „Everything Matters“, Ausstellung vom 23.05. bis 30.11.2025 im Literaturhaus München.
Susan Sontag im Literaturhaus München>
Nicht nur der Geist
Susan Sontags, sondern gleich ganz New York kommt in diesem Jahr nach München ins Literaturhaus. New York scheint dabei die einzige Stadt zu sein, in der Susan Sontag der Mensch sein konnte, der sie war. Als unermüdliche Entdeckerin, sog sie alles auf, was sie umgab, ob bei Tag oder bei Nacht. Sontag war eine Frau, für die alles eine Bedeutung haben konnte und die dennoch scharf urteilte. Sie beobachtete nicht nur, sondern handelte selbst, versteckte sich nicht hinter ihrer Schreibmaschine. Mit ihrer Intelligenz, ihrem Mut und Kämpfergeist ist sie eine Inspiration für die heutige Zeit. Unter dem Leitsatz „Everything matters“ ist nun die Ausstellung, die sich Sontags Leben und Werk widmet, nach einer Sommerpause im August wieder für alle Besucherinnen und Besucher geöffnet. Amalia Rohrer hat diese Ausstellung für das Literaturportal Bayern besucht.
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In dem hohen Raum reichen die Ausstellungsregale, die die Gestalt von New Yorker Wolkenkratzern imitieren, bis zur gewölbten Decke. Bis auf den dezenten, eingespielten Straßenlärm, der das Ambiente der Großstadt untermalt, ist es still. Neben den Stationen Lesen, Schreiben, Sehen, Handeln und (Über-)leben hat sich das Hören nur indirekt seinen Weg in die Ausstellung gebahnt. Die Besucher werden vor dem Betreten des Ausstellungsraumes mit einem kleinen persönlichen Lautsprecher ausgestattet, mit dem sie nach Belieben den Ton der Videotafeln, Projektionen und Bildschirme für sich hörbar machen können.
Die Stationen eines Lebens
Während sich die Besucher ihren Weg durch die Straßen New Yorks bahnen und Susan Sontag auf ihrem Lebens- und Schaffensweg begleiten, vollziehen sie ihre Lebensstationen selbst nach. Zum Lesen regen sowohl die kurz und informativ gehaltenen Texte über biographische Eckpunkte und wichtige Veröffentlichungen der Autorin an als auch die zweisprachigen Leuchtreklame-Schilder, auf denen Zitate Sontags vorbeiziehen. Um sie entziffern zu können muss der Kopf gehoben werden, zu den überlegenen Gedanken der Frau, die zum moralischen Gewissen Amerikas ernannt wurde.
Zu Sehen gibt es aber noch mehr. Die Ausschnitte aus französischen Filmen auf kleinen Bildschirmen, die alle gleichzeitig ablaufen, geben einen Eindruck von der Vielfalt an Einflüssen, die jeden Tag auf Susan Sontag gewirkt haben müssen. Die Frau, die gleich mehrere Ausstellungen und Kinofilme am Tag besuchte und alles gleichermaßen in sich aufnahm.
Die Station Schreiben informiert über die ersten erfolgreichen Veröffentlichungen Sontags in Magazinen wie Vanity Fair, Vogue und Playboy. Hinter Glas liegt das Manuskript des berühmten Textes At Thomas Mann’s, in dem Susan Sontag ihren Besuch bei einem ihrer großen literarischen Vorbilder verarbeitete. Und schließlich wird jeder Besucher auch selbst zum Schreiben aufgefordert. Vielleicht nicht gleich eine ganze Kurzgeschichte oder einen Essay, aber immerhin eine Liste. Susan Sontag war bekannt für ihre Listen, auf denen sie Verschiedenstes festhielt. Die großen Zettel sind bereits vorgedruckt und können ausgefüllt werden: „Was ich mag/ Was ich nicht mag“ steht auf der einen Liste, während eine andere dazu einlädt, seine eigenen Fehler und Freuden festzuhalten und sich selbst die Frage zu stellen: „Woran glaube ich wirklich?“
Zum Handeln fordert schließlich die Aktivistin Luisa Neubauer auf und überträgt in einer Videobotschaft Susan Sontags Theorien in den heutigen politischen Handlungsspielraum. Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, dass Susan Sontag ihre Zeit überdauerte und bis heute in den Köpfen der Menschen etwas verändern kann. Davon zeugt auch ein Interview mit Sontags späterer Geliebter, der Tänzerin und Choreografin Lucinda Childs, die mit Bewunderung über ihre Freundin spricht. In ihrer Erinnerung (über-)lebt Susan Sontag noch heute.
Weil alles wichtig ist
Zwischen den Häuserschluchten ist zudem permanent die Figur Sontag als intellektuelle Ikone ihrer Zeit präsent. In zahlreichen Fotografien, die Sontag in all ihren Lebensabschnitten zeigen, wird ihre zeitlose Stilsicherheit deutlich. Der Hèrmes-Ledermantel, der hinter einer Glasvitrine wie eine Reliquie in Szene gesetzt ist, ist genauso ein Teil von Sontag wie ihre Erstausgaben, Zeitschriften, ein kleiner Globus und Muscheln; alles findet gleichermaßen seinen Platz.
Fotos ihrer Wohnung, von beladenen Kaminsimsen, einem Mac mit durchsichtiger Tastatur und Post-its, einer Buddha-Figur und Hochhäuserstapel aus Büchern (die sich auch in der Ausstellung selbst wiederfinden) verstärken den Eindruck, dass bei Sontag wirklich alles wichtig war.
„Spend a day like Susan Sontag”
Es ist beeindruckend, wie sich Susan Sontag durch ihr Leben kämpfte und dabei ihre Meinung vertrat, auch wenn sie damit nicht immer auf offene Ohren stieß, wie z.B. mit ihrer Stellungnahme zur Reaktion der Bush-Regierung auf den Anschlag vom 11. September 2001. Und ebenso beeindruckend ist es, wie aktuell ihre Theorien und Überlegungen heute geworden sind. Ihr Essay On Photography, der 1977 bei Farrar, Straus & Giroux veröffentlicht wurde, wie auch der Text Against Interpretation (Evergreen Review, 1964) zeugen von ihrer Fähigkeit, die moderne Welt zu erfassen.
Gleichzeitig ist die Faszination groß für den Szenemenschen, der Susan Sontag offensichtlich war, was man der Anleitung „Spend a day like Susan Sontag“ entnehmen kann, die von Anna-Lisa Dieter verfasst wurde. Auf dem großen Blatt, das sich auch sehr gut als Zimmer- oder Kühlschrankdekoration eignet, kann sich jeder und jede Inspiration für einen neuen Alltagsrhythmus abholen: „7 am: Wake up and feel rage... 10 am: Museum: vsitit 2-3 art exhibitions... 7:30 pm: Go to your favourite restaurant with your male friend and two other female friends. Topics of conversation: Foreign policy, your upcoming lecture tour, your son's new girlfriend... 11:30 pm: Take 10-20 mg of speed to go on working on your essay for another 4 hours.“ (Unvollständige Liste) Mit ihrer nur 100 Seiten langen Biografie über Sontag war Anna-Lisa Dieter auch Konzept-Autorin für die Ausstellung, die noch bis zum 30. November zu sehen ist.
Mit diesem „Erfolgsrezept“ in der Hand endet der Besuch in New York auch schon wieder. Der Rhythmus der Stadt, die niemals schläft, verklingt und hinterlässt das Bild einer Frau, die ebenfalls niemals zu schlafen schien.
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Diejenigen Besucher, die noch nicht im Detail mit den theoretischen Überlegungen Susan Sontags zu Fotografie, Krankheiten als Metaphern und Interpretation vertraut sind und nach einer Ergänzung zur Ausstellung suchen, werden nicht allein gelassen. In Kooperation mit dem glitch bookstore veranstaltet das Literaturhaus einen offenen Lesekreis. An den zwei verbleibenden Terminen werden Ausschnitte aus Über Fotografie und Das Leiden anderer betrachten besprochen.
Susan Sontag: „Everything Matters“, Ausstellung vom 23.05. bis 30.11.2025 im Literaturhaus München.






