Die Entstehung eines Netzromans: Fragen zum Thema „Tod“

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Mit Unterstützung des Literaturportals Bayern schreibt der Münchener Schriftsteller und Ingeborg-Bachmann-Preisträger Thomas Lang einen interaktiven Roman – live im Netz auf netzroman.thomaslang.net. Starttermin war der 1. September 2016, erste „Bausteine“ der Erzählung wurden veröffentlicht und von den Leserinnen und Lesern kommentiert. Was ist bislang passiert?

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Während zu Beginn des Onlineprojekts Der gefundene Tod von Thomas Lang vor allem der reale Fall einer Leichenschändung im Kreis Traunstein aus dem Jahr 2006 im Fokus stand und sich der Autor vor Ort auf „Spurensuche“ begab oder Einblick in die Polizeimeldungen über den Toten gewährte, drehen sich die Posts der letzten Tage nun eher um gesellschaftliche und soziale Aspekte des Themas „Tod“.

Lang zeigt hier, dass er nicht nur über den „Toten von Traunreut“ recherchiert, sondern sich auch auf einer abstrakteren Ebene mit der Thematik (oder Problematik?) des Todes und den Umgang mit unseren Toten auseinandergesetzt hat, um „das Thema kulturell, sozial, historisch einordnen zu können“, wie er schreibt.

Die Frage nach der Begegnung mit einem Toten stand bereits ganz am Anfang der Interaktion mit den Userinnen und Usern:

 

 

 

Die Antworten in den zugehörigen Kommentaren zeigen, dass meist sofort ein Gefühl von Fremdheit eintritt, wenn das Leben aus einem menschlichen Körper gewichen ist, selbst wenn es sich dabei etwa um einen nahen Verwandten handelt. Inwieweit kann man bei einem Toten überhaupt noch von einem Menschen sprechen? Wann wird ein Mensch zur Leiche?

Diese Überlegungen greift Thomas Lang nun auf und verbindet sie mit den gesellschaftlichen und sozialen Dimensionen des Todes. Er fragt, „Wann ist einer eigentlich tot?“, und diskutiert mit den Userinnen und Usern, ob ein Mensch, der noch am Leben ist, nicht sozial schon „tot“ sein kann, wenn er „aus allen Bindungen rausgefallen“ ist, keinen Platz und keine Funktion mehr in der Gemeinschaft hat. Im Falle des „Toten von Traunreut“ könnte das Motiv für seinen Selbstmord gewesen sein, mutmaßt Lang.

Mechanismen der Abgrenzung und „Entmenschlichung“ spielen daneben auch in Bezug auf zwei weitere Aspekte eine Rolle in den Kommentaren der Userinnen und User:

Einerseits könnten sie eine Erklärung für das Verhalten der Jugendlichen liefern. Als sie den Toten fanden, haben sie ihn nicht mehr als „menschlich“ wahrgenommen und ihn folglich auch nicht mehr wie einen Menschen behandelt.

 

„Dass der Tote so zugerichtet wurde, zur Unkenntlichkeit entstellt, bedeutet vielleicht, dass er von den Jugendlichen gar nicht mehr als Mensch wahrgenommen wurde. Vor allem, wenn man nicht davon ausgeht, dass (nur) Verrohung oder Gefühlskälte gegenüber anderen die Gründe für das Handeln der Beteiligten sind. Das passt auch ein bisschen zu den Rückmeldungen, die so auf die ersten Fragen kamen, oder nicht? Zumal es für alle ein Fremder war. Da wurde der Fund als ein evtl. ekelhaftes, aber doch irgendwie spannendes Etwas aufgefasst. Eine Faszination dafür finde ich sehr nachvollziehbar, genauer ansehen, berühren, ja vielleicht. Mutprobe?“ – L!nda

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Andererseits erklären sie die schockierten Reaktionen der Umwelt, die die Täter zu Fremden, zu Unmenschen machen, um sich selbst so weit es geht von der Tat zu distanzieren.

 

„Ich finde es auffällig, wie sehr in den „Schock“-Reaktionen auch immer etwas Selbstexkulpierendes mitschwingt: Indem man die Tat in eine absolut „unbegreifliche“ Ferne rückt, stellt man Distanz her und bewegt sich trittfest auf der ‚richtigen‘ Seite. Soziologisch gesehen selbstvergewissert sich die Gemeinschaft moralisch an der Unmoral der ‚anderen‘, die reflexhaft ausgeschlossen werden. Die Täter werden durch ihre befremdliche Tat buchstäblich zu Fremden gemacht. […]“ – Anselm

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Zuletzt könnte es vor allem auch die Wehrlosigkeit eines Toten sein, die bei beiden Aspekten eine Rolle spielt, die „absolute[ ] Schwäche und Schutzlosigkeit, die der Tod bedeutet“, schreibt Thomas Lang. Die Frage „Wann ist einer eigentlich tot?“, so eine Userin, würden aber ohnehin nur die Lebenden stellen, den Toten dürfte sie egal sein.

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