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Foto: Ingvild Richardsen.

Untere Wirtsstube: Malerstube

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Malerlieder von Max Haushofer. Chronist der Künstlerchroniken. Foto: Thomas Gross.

1841 kamen die Künstler der Inselkolonie nicht nur auf die Idee einen Künstlerstammtisch zu eröffnen, sie legten auch eine Inselchronik an. Es war der Malerpoet Josef Friedrich Lentner (1814-1852), der die Idee hatte, ein Buch für die Künstler der Fraueninsel zu schaffen, in das sie sich fortan mit Stift und Pinsel eintragen sollten. Das Titelblatt der ersten Chronik präsentierte dieselbe so:

Chronika der vielbelebten Malerkneipe auf der Insel Frauenchiemsee, so gelegen in dem bayerischen Meer; worinnen zu lesen stehet, wie besagte Insel von etzlichen Seefahrern entdecket und kultivieret worden, selbige von einer Künstlerschaft stark und oftmalen visitiret und zu Ehr und Ruhm einer Malerkneipe gebracht worden. (Mühlfelder 1930, S. 65)

Lentner dekorierte das Blatt mit dem Wappen, das man zuvor extra als Herbergsschild für die „Malerkneipe“ entworfen hatte. In einer sich anschließenden Stiftungsurkunde wurde das Wappenbild – auf einer Seite drei Wappen, auf der anderen die humorvolle Darstellung zur hervorragenden Bewirtung im Gasthaus Zur Linde erläutert. Auf vier Seiten folgte dann eine zusammenfassende Chronik der Jahre 1828-1941. Unter dem Jahr 1828 konnte man als ersten Eintrag die nun idealisierte Geschichte über die „Entdeckung“ der Fraueninsel für die Künstler durch Max Haushofer lesen. Eine Tradition und ein Gründungsmythos wurden damit geschaffen, auf den man sich fortan immer wieder berief:

In der Zeit da man schrieb Eintausendachthundertzwanzig und acht, begab es sich, daß Fahrth und Abentheuer. Als ein Hauptmann und Führer hatten sie sich auserkoren Maxen Haushofer und hatten ihren Zug gericht gegen Süd, allwo die Gebürg stehen und die großen Wasser.

Hieran schloss sich, wie man wieder beim Dichter Ludwig Steub nachlesen kann, „ein schön Lied von der Insel und ihrer Herrlichkeit und ein Verzeichniß der Maler an, die seit der Entdeckung hier gewesen, fast zweihundert an der Zahl, mit Vor-, Zu- und Kneipnamen, auch mit allerlei Symbolen und spaßhaften Randglossen“ an. Unter den Namen waren damals so bekannte wie Andreas Achenbach (1815-1910), Wilhelm von Kobell (1766-1855), Eugen Neureuther (1806-1882) und Carl von Piloty (1826-1886).

Jahr um Jahr mehrte sich die Künstlerschar auf Frauenchiemsee, seit 1845 auch dadurch, dass die Dampfschifffahrt auf dem Chiemsee eingeführt wurde. Wer immer künftig auf die Fraueninsel kam, hier arbeitete oder sich inspirieren ließ, ob Maler wie Eduard Schleich (1812-1874) und Hans von Marées (1837-1887) oder Dichter wie Viktor von Scheffel (1826-1886), Felix Dahn (1834-1912), Karl Stieler (1842-1885), Wilhelm Jensen (1837-1911), Christian Morgenstern (1871-1914) und viele andere – sie alle verewigten sich (meist mit einer Illustration, einem Gedicht oder sonstigen Versen) in der Künstlerchronik der Insel. Das Buch hing in der Malerstube damals in einem Wandschränkchen, konnte von den Besuchern eingesehen und mit einem Eintrag bereichert werden. Jeder Besucher, der auf die Fraueninsel und in den Gasthof Zur Linde kam, verlangte damals danach, diese zu sehen. Ja, sie war so berühmt, dass sie sogar im Baedeker als Sehenswürdigkeit erwähnt wurde.

Als das Künstlerbuch der ersten Zeit im Jahr 1872 gefüllt war, ließ man 1873 einen zweiten Band beginnen. Zum kunstvollen Chronisten der Künstlerchroniken von Frauenchiemsee wurde jetzt der Dichterphilosoph Max Haushofer, der Sohn des Landschaftsmalers Maximilian Haushofer (1840-1907). In ihrem Essay Die Bücher der Insel, der 1912 in Westermanns Monatshefte erschien, hat die Schriftstellerin Carry Brachvogel die Künstlerchroniken und den Chronisten Max Haushofer einer großen Öffentlichkeit präsentiert.

Max Haushofer: Malerlieder V, in der Künsterchronik von Frauenwörth. Daneben: Max Haushofer, † den 9. April 1907. Foto: Thomas Gross.

Noch heute versetzen die formvollendeten Einträge, Gedichte, Malerlieder und Illustrationen des Dichterphilosophen Max Haushofer den Betrachter in höchstes Erstaunen. Den zweiten Band der Künstlerchronik eröffnete er mit einer malerischen „Stiftungsurkunde“, auf der er die Namen derer aufzeichnete, die zum Zustand und zur Förderung der Chronik nicht nur mit Stift und Pinsel, sondern auch mit Geld beigetragen hatten. Als nunmehriger Chronist gab er jetzt Anweisungen, wie mit der Chronik umzugehen sei und Einträge gestaltet werden sollen. An den nicht zur Künstlergilde zählenden Leser richtete er die Ermahnung, diese nicht mit dreckigen Händen anzufassen oder mit Bier zu beträufeln.

Immer wieder forderte Max Haushofer die Künstler der Frauenwörther Kolonie dazu auf, die Chroniken mit „Inselgeschichten und Inselträumen“ zu füllen:

Und könnt Ihr schreiben, zeichnen, malen,
So mögt Ihr Künstlerzoll hier zahlen,
Mögt, was in Eurem Geist gedeiht,
Hier niederlegen für alle Zeit

Dass es diesmal nur fünf Jahre dauerte bis auch der zweite Band gefüllt war, zeigt, wie frequentiert die Insel in diesen Jahren von den Künstlern war. Als Haushofer im Jahr 1878 den dritten Band eröffnete, gab der Maler Eugen Horstig (1843-1901) dem Band ein kunstvolles Titelblatt im Renaissancestil bei. Zu sehen ist, wie die personifizierte Chronik im Triumphzug von wilden Seepferdchen durch ein geschmücktes Tor gezogen wird. 1878 hielt der Maler Albrecht Grueber in einer Zeichnung auch fest, wie der Chronist Max Haushofer im Kreise seiner Künstlerfreunde am Malertisch im Gasthof Zur Linde sitzt. Zu sehen sind Paul Krautwurst, Albrecht Grueber (1847-1888), Oswald Stieger (1857-1924), Eugen Horstig (1843-1901), Johann Friedrich Engel (1844-1921) und Hugo Havenith (1853-1919).

Um 1900 wurde dann auch noch der vierte Band von Haushofer angelegt. Als Haushofer 1907 mit 66 Jahren starb, erschienen Hunderte von Artikeln und Nachrufen in allen tonangebenden Zeitungen und Zeitschriften des deutschen Reiches, die Werk und Wirken des bekannten Professors und Dichters würdigten. Der Malerpoet Karl Raupp setzte seinem Freund ein Denkmal in den Frauenwörther Künstlerchroniken in Gestalt eines Aquarells, betitelt mit „Seiner Insel treuester Freund und ihr Chronist“, und schrieb:

Gar viele Bildlein, Verse und anmutige Schildereien, an denen der Leser dieser Bücher sich ergötzt hat, sind hervorgegangen aus dem kunstfertigen Mund des Chronisten, der nun für immer ruht, ausruht vom Aufzeichnen der vielen seelenvollen Gedanken und heitern, humorvollen Einfälle, die den Dichter auf seiner geliebten Insel wie neckische Geister umgaukelten und die er in seiner charakteristischen abgerundeten Schrift im Chronikenstil auf diese Blätter gebannt hat. [...] Allsommerlich rauschte der Kiel seines weißen Segelschiffes durch die Flut, allsommerlich saß der Dichter und Chronist träumend am Ufer und sah in Wolken und Winde hinaus. Und in dieser versonnenen Stille entstanden wohl die eigenartigsten Schöpfungen seiner Phantasie. So innig verbunden ist er diesem Eiland, dass man seiner hohen Gestalt noch immer zu begegnen meint, sein Bild immer wieder auftaucht im Sonnenschein und in den sinkenden Schleiern der Dämmerung.

(Frauenwörther Künstlerchroniken, 1907)

Der permanente Gebrauch der Chroniken hatte bereits Ende des 19. Jahrhunderts dazu geführt, dass die Chroniken mehr und mehr verschmutzten und die Künstler bereits in den 1880er-Jahren entschieden hatten, die erste Chronik zu ihrem Schutz nach München in die Münchner Künstlergenossenschaft zu geben. Das gleiche Schicksal ereilte zwischen 1918 und 1924 auch den zweiten und den dritten Band. Leider konnte diese Schutzmaßnahme die Unversehrtheit der Künstlerchroniken nur bis zum Zweiten Weltkrieg garantieren: Die ersten drei Bände gingen bei der Bombardierung des Münchner Künstlerhauses verloren. Karl Raupp und Franz Wolter ist es zu verdanken, dass uns heute dennoch noch einige Bilder überliefert sind, da sie 1918 und 1924 die Künstlerchroniken in Auszügen herausgaben. 1935 wurde ein fünfter Band angelegt, der bis heute geführt wird. Berühmte Namen sind es, die sich in den Frauenwörther Künstlerchroniken verewigt haben. Denn die Maler und Schriftsteller, die zu der Frauenwörther Kolonie stießen, kamen nicht nur aus dem nahen München, sondern aus vielen anderen deutschen Städten und Ländern. Diejenigen, die Bilder malten und Texte verfassten, besangen voll überschwänglicher Begeisterung und in immer neuen Variationen Frauenwörth, die selige Irmingard und den Chiemsee und hielten auf diese Weise auch die Inselhistorie des 19. und 20. Jahrhunderts fest. Und so erzählen die Chroniken von einer noch urwüchsigen Fraueninsel und Inselkultur. Noch heute stellen die drei überlieferten Bände wichtige literarische und kulturhistorische Zeugnisse dar.


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Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Ingvild Richardsen

Sekundärliteratur:

Lindemann-Küßner, L. (o.D.): Frauenchiemsee und die Künstlerchronik. Privatarchiv Haushofer.

Mühlfelder, Gottfried (1930): Josef Friedrich Lentner, ein bayerischer Malerdichter (1814-1852). In: Oberbayerisches Archiv für vaterländische Geschichte 67, S. 65.

Raupp, Karl; Wolter, Franz (Hg.) (1924): Die Künstlerchronik von Frauenchiemsee. 2. verm. Aufl. München, S. 20f.

Richardsen, Ingvild (2017): Die Fraueninsel. Auf den Spuren der vergessenen Künstlerinnen von Frauenchiemsee (Reihe Vergessenes Bayern, 1). München, S. 152-192.

Quellen:

Carry Brachvogel: Die Bücher der Fraueninsel. Velhagen und Klasings Monatshefte, Oktober 1912.

Ludwig Steub: Der Chiemsee. In: Bayerisches Hochland. München 1860, S. 281-299.