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Thomas Mann, 30.4.1900 (ETH-Bibliothek Zürich, Thomas-Mann-Archiv / Fotograf: Atelier Elvira / TMA_0016)

Feilitzschstraße 5 (heute 32)

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Feilitzschstraße 5 (heute 32). Foto: Dirk Heißerer

Den größten Teil des Romans, den ganzen zweiten Band der Erstausgabe mit den Teilen 7 bis 11 von der Geburt und Taufe des kleinen Hanno 1861 bis zu seinem Tod 1877, hat Thomas Mann von Februar 1899 bis Juli 1900 im Haus Feilitzschstraße 5/III (heute 32) geschrieben. Den achten Teil zwischen der 100-Jahr-Feier der Firma Buddenbrook und der verhagelten Ernte widmete Thomas Mann noch seinem „Bruder Heinrich, dem Menschen und Schriftsteller, zu Ehren“.[23] Den neunten Teil aber mit dem Tod der Konsulin und dem Verkauf des Hauses widmete er bereits seinem Münchener Freund „Paul Ehrenberg, dem tapferen Maler, zur Erinnerung an unsere Münchener musikalisch-litterarischen Abende“.[24] Damit unterstrich er den autobiographischen Charakter des letzten Romandrittels.

Der Maler Paul Ehrenberg (1876-1949) war zusammen mit seinem Bruder, dem Komponisten und Dirigenten Carl Ehrenberg (1878-1962)[25], einer der engsten Freunde des Junggesellen Thomas Manns. In einer Kombination aus den Brüdern Ehrenberg spielt im Exil- und München-Roman Doktor Faustus (1947) der Geiger Rudi Schwerdtfeger eine entscheidende Rolle und ist dort einer der Gäste im Salon der Senatorswitwe Rodde aus Bremen an der Rambergstraße, womit, dank einer kleinen Verschiebung auf die erste Adresse der Manns in München (Rambergstraße 2/0), niemand anderer gemeint ist als die Senatorswitwe Julia Mann aus Lübeck in der bereits erwähnten Herzogstraße 3/I.[26]

Feilitzschstraße 5 (Wirtshaus Seerose). Die Gedenktafel für Buddenbrooks. (Entwurf: Joachim Jung; Ausführung: Mayer’sche Hofkunstanstalt). Foto: Thomas-Mann-Forum München.

Im zehnten Teil des Romans werden Autor und Figur beinahe identisch. Darauf weist Thomas Mann selbst in einer 1917 entstandenen Passage seiner Betrachtungen eines Unpolitischen (1918) hin. Es heißt dort:

Das kleine, hochgelegene Vorstadtzimmer schwebt mir vor Augen, worin ich, es sind sechzehn Jahre, tagelang hingestreckt auf ein sonderbar geformtes Langfauteuil oder Kanapee, Die Welt als Wille und Vorstellung las. Einsam-unregelmäßige, welt- und todsüchtige Jugend – wie sie den Zaubertrank dieser Metaphysik schlürfte, deren tiefstes Wesen Erotik ist und in der ich die geistige Quelle der Tristan-Musik erkannte! So liest man nur einmal. Das kommt nicht wieder.

Und, wie praktisch, dass er für dieses Erlebnis gleich eine „dichterische Unterkunft“ finden konnte: „Denn zwei Schritte von meinem Kanapee lag aufgeschlagen das unmöglich und unpraktisch anschwellende Manuskript [...] welches eben bis zu dem Punkte gediehen war, daß es galt, Thomas Buddenbrook zu Tode zu bringen.“[27] Thomas Mann auf dem Kanapee liest ähnlich begeistert wie Thomas Buddenbrook in der Gartenlaube aus den Ergänzungen zum Vierten Buch von Schopenhauers Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung (1819) das Kapitel 41 mit dem Titel „Ueber den Tod und sein Verhältniß zur Unzerstörbarkeit unsers Wesens an sich“.[28] Der letzte, elfte Teil des Romans Buddenbrooks mit den Schulnöten des kleinen Hanno, seinen Wagner-Phantasien und seinem tragischen Typhus-Tod ist in der Erstausgabe dem Lübecker „Schul-Freunde Otto Grautoff“ gewidmet. Otto Grautoff wurde von Thomas Mann zudem genau instruiert, wie er eine vom Autor gewünschte Rezension der Neuerscheinung abzufassen habe.[29]

Nachdem eine Gedenktafel für Buddenbrooks in München seit 1969 mit dem falschen Text am falschen Haus (Giselastraße 15) hing, finanzierte der Thomas-Mann-Förderkreis München 2003 zusammen mit der Hausbesitzerin und einer Boutiqueinhaberin die richtige Gedenktafel am richtigen Haus mit dem Wirtshaus Seerose. Die Angaben zu Leben und Werk des Autors werden hier umrahmt von einem Faksimile der Handschrift Thomas Manns; zu lesen sind oben die ersten drei gesprochenen Worte des Romans („Was ist das“) und unten die letzten drei gesprochenen Worte („Es ist so“), eine Kompositionsklammer mit religiösem Fond, die Thomas Mann ebenfalls von Anfang an geplant hatte.[30]

 


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[23] Thomas Mann: Buddenbrooks. Verfall einer Familie. Berlin 1901. Bd. 2, S. 68.

[24] Ebda., Bd. 2, S. 240.

[25] Den Nachlass Carl Ehrenbergs verwahrt die BSB (Ana 503).

[26] Vgl. Heißerer, Dirk (2013): Vertauschte Orte. Doktor Faustus in München. In: Heinrich Detering u.a. (Hg.): Thomas Manns Doktor Faustus – neue Ansichten, Neue Einsichten (Thomas-Mann-Studien, 46). Frankfurt a.M., S. 193-204, hier S. 196-198 (III. Der Salon in der Rambergstraße).

[27] GW XII, S. 72.

[28] GW I, S. 655, vgl. a. Thomas Manns Schopenhauer-Aufsatz (1938). In: GW IX, 558.

[29] Thomas Mann: Brief an Otto Grautoff, Riva, 26.11.1901. In: Briefe Grautoff, S. 139f.

[30] GKFA 1.2, S. 229 unter Bezug auf das Notizbuch I, S. 67.

Verfasst von: Dr. Dirk Heißerer