„Abbazia“. Von Anton Maria Moser

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Die Abtei S. Martino, in der Viterboer Ortschaft San Martino al Cimino, 2009

Die Kollektive Literaturzeitschrift Würzburg (KLW) wird seit 2019 zwei bis dreimal im Jahr herausgegeben. Einer ihrer Beiträger ist der aus Würzburg stammende Anton Maria Moser. Mit dem folgenden Prosatext beteiligt sich der Autor an „Neustart Freie Szene – Literatur“, einem Projekt des Literaturportals Bayern zur Unterstützung der Freien Szene in Bayern. Alle bisherigen Beiträge des Projekts finden Sie HIER.

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Und zwar wollt ich eben über Geräusche mich erinnern an die Reise und Orte und auch an die Abbazia San Martino. Deswegen auch die Audio-Aufnahmen von unterwegs auf der Speicherkarte.

Da ist eine Aufnahme aus dem Speisesaal. Aus der hinteren linken Ecke kommt die Stimme eines älteren Mönchs, der während des Mittagessens – Cena – aus der Bibel vorliest. Die Mönche und ich klappern zurückhaltend mit dem Besteck, während wir die Fleischklöße mit Erbsen zu uns nehmen. Ich zerrupf ein Stück Brot und tunk es in die Erbsen. Es gibt einen Weißwein dazu und ich trinke ihn schnell – das gluckert – denn alle Mönche sind schon beinahe fertig. Niemand spricht, jeder isst für sich, während das Wort Gottes durch den Saal tönt und am Wandgemälde des letzten Abendmahls widerhallt. Ich esse wie ein Schwiegersohn. Als alle anderen fertig sind, schlägt der Pater ein Messer gegen sein Glas, alle stellen sich hinter ihre Stühle, die quietschen und er spricht ein Gebet. Am Ende beuge ich mich noch schnell herunter und trink den Wein in zwei Zügen leer. Im Hinausgehen frag ich mit Händen nach den Öffnungszeiten der Bibliothek. Der Pater scheint dafür zuständig, aber ins Gespräch vertieft. Ein Mönch bedeutet mir zu folgen. „Cafè.“ Wir gehen zwei lange Korridore entlang zu einer unscheinbaren Tür. Die Mönche haben einen gemächlichen Schritt, der die Gelassenheit der Ewigkeit verdeutlicht. Am Ende des Korridors scheint leise das Licht des Panoramas in die Abtei. Hinter der unscheinbaren Tür sitzen alle Mönche beinander, ein Fernseher zeigt die Nachrichten, es werden Späße gemacht. Giuseppe fragt mich in zitterndem Deutsch nach meiner Wanderung. Ich antworte, sie sei schön gewesen. Wir überbrücken mit Lächeln. Es wird Espresso in kleinen Plastikbechern gereicht, die Späße werden ausgelassener, nur als der Papst spricht, blicken zwei oder drei zum Fernseher. Der Pater sagt mir, die alten Bücher seien nicht zugänglich, aber zum Schreiben könne ich morgen Vormittag eine Stunde in die Bibliothek. Ich bedanke mich, jemand verabschiedet sich mit angedeuteten Wangenküssen, ich beende die Aufnahme.

Ore 06,00        Sveglia

Ore 06,30        Ufficio delle Letture Lodi Mattutine

Ore 09,00        Ora Terza (anche la domenica)

Ore 12,00        S. MESSA CONVENTUALE (SOLO LA DOMENICA)

Ore 13,00        Ora Sesta (preci devozionali)

Ore 13,10        Pranzo – ricreazione

Ore 16,00        Ora Nona

Ore 16,30        VESPRO (SOLO LA DOMENICA)

Ore 18,30        S. Messa Conventuale e Vespro

Ore 20,00        Cena – Ricreazione

Ore 21,00        Compieta

Zum Abendessen treff ich die Mönche erstmal am Flur. Einige nicken, sonst sind sie in Gedanken des Tages festgehangen und starren in die Luft. Durch eine kleine Tür steigen wir in die Kirche, biegen am Altar ab – vorher noch eine Bekreuzigung mit einem leichten Abstoppen. Ich tu alles einfach mal so mit, angedeutet oder mehr. Ich fremdel eh, aber mag für diese Zeit als Gast ihrem Leben zugewandt teilhaben. So mag ich das machen, weil ich froh bin, da zu sein. Und es ist auch Teil einer stillen Verabredung. Also hingesetzt miteinander ins Chorgestühl. Da sitzt man im Halbkreis hinter dem Altar auf verziertem Holz mit Schnitzereien und die Sitze sind historisch gemütlich und hier gehts jetzt ans Gebet – die Vesper. Beten mag ich eigentlich nicht, aber tue es trotzdem. Es ist ja nur Italienisch und die lateinischen Gesänge taugen mir. Ich bekomme ein Gesangbuch und die Stelle angezeigt und murmel, murmel, murmel.

Dass wir da so miteinander einkehren, bewegt mich und da tuts ganz gut, dass ichs nicht versteh, was ich murmel – obwohl ichs mir grob vorstellen kann – weil ich so gar nicht groß in die Semantik gehen kann. Ich nehm den Klang der Stimmen wahr, wie wir den Chorraum füllen, die Bedeutung, die die Mönche gerade wirklich herstellen, und beinahe ist mir das Essen vergessen gegangen. Es gabs dann aber trotzdem, wir durch eine Tür in der Apsis direkt zum Speisesaal, kleines Geplauder am Weg und am Platz wieder gern einen Wein. Dazu für jeden ein Plastikbecher mit gefrorenem Wasser, das man im Block herausklopft. Was es gab, hab ich beim Essen aufgeschrieben und nachher gabs dann aber schon liebe Fragen, was ich da schreib, und ich frag zurück, was in den Klößen war, und er sagt: „You know meatballs? It's the same, but melanzane instead of the meat.“ „Ah, I see.“

Und schon ist man wieder im Flur, ich überleg verlegen was jetzt ist und schlag schon fast den Weg zum Gästeflügel ein, da heißts dann aber, ob ich nicht noch mitkommen mag. Wohin? ‚Wir sitzen zusammen und reden.‘ oder so etwas. Das klingt gut und ich also mit. Es ging in einen Hof und da in eine Laube, wo wir saßen im Kreis, und Pistaziengebäck wurde gereicht und Konversation gemacht. Giuseppe meint, er hat eine Schwester in Deutschland, die habe Kinder. Und sie wollten wissen, was ich schreibe und ich fing an über die Geräusche zu reden, aber weit bin ich nicht gekommen. Giuseppe hat sich so lieb Mühe gegeben und war ganz stolz auf seine paar dutzend deutschen Worte. Dann gab es noch Anekdoten zu einem italienischen Theater oder so – unterbrochen von noch mehr süßem Gebäck. Arg lang gings dann nicht mehr. Lau wars und süß und betreten auch mal. Dann zur Nachtruhe und ins historische Bett.

 

Zur Messe saß ich pflichtschuldig im weißen Hemd. Die kleine Gemeinde beinahe vollzählig auf den Bänken, nur ein paar kleine, die keine Ruhe geben wollten, wurden abwechselnd im Innenhof betreut – da am Brunnen. Vor allem die jungen Erwachsenen fielen mir auf, die ich so schön fand und dass sie ein sichtbarer Teil der Dorfgemeinschaft waren. Ich konnte gar nicht weggucken, fiel eh auch auf, ganz bestimmt. Dann gabs die Messe, die war lang und ein großes Hallo drumrum. „Pace“ sag ich da ganz gern und dann, als es im nächsten Jahr so heiß war daheim, bin ich mit dem Rad in meinem Bezirk unterwegs. Aus einer Laune setz ich mich zu einem Gottesdienst dazu, halt mich eher raus, aber beim „Pace“ bin ich wieder dabei. Ich flüsters eh nur angedeutet zum Herren weit hinter mir und er – so griesgrämig – nickt trotzdem zurück. Da war ich dann gerührt und hab das letzte Rotgeld ins Spendensackerl geworfen und dann im Biergarten an die schönen Italiener in der Messe und meinen Abschied aus der Abtei gedacht.

Da war es Mittag und nach dem Essen ging es wieder zum „Cafè“ in das lustige Hinterzimmer. Wir im Kreis mit den Espressi und dem Arzt und wieder Späßen und dann bedeute ich einem Mönch, dass ich mich nun verabschieden möchte. Er gibt es weiter, es wird ruhig und ich überreiche Riccardo den Zettel, auf den ich meinen Abschied italienisch geschrieben habe. Er steht auf und liest ihn achtsam vor:

Voglio ringraziarvi tutti. È stato un onore far parte della vostra comunità per un po’. Apprezzo la tua ospitalità e la fiducia in uni sconosciuto. Ammiro il tuo spirito e i sorrisi che potrei trovare ovunque. Ho vissuto di nouvo momenti di pace qui dopo tanto tempo. L’ odore dell’ autunno era nell’ aria per la prima volta questa mattina. Con questo odore e la nuova pace andrò.

Da nicken und freuen sich die Mönche und schauen mir strahlend in die Augen. Dann steh ich auf, sag meinen auswendig gelernten Satz, dass ich nun auch noch singen möchte und Augenbrauen – Zack! Ich hab mich ganz sicher gefühlt im Singen, es war sehr hoch, aber klar, und trotz des deutschen Textes hatte ich das erste Mal das Gefühl, die Sprachbarriere überwunden zu haben.

Möge die Straße uns zusammenführen und der Wind in deinem Rücken sein.
Sanft falle Regen auf deine Felder und warm auf dein Gesicht der Sonnenschein.
Und bis wir uns wiedersehen, halte Gott dich fest in seiner Hand.
Und bis wir uns wiedersehen, halte Gott dich fest in seiner Hand.

Bis wir uns mal wiedersehen, hoffe ich, dass Gott dich nicht verlässt.
Er halte dich in seinen Händen, doch drücke seine Faust dich nie zu fest.
Und bis wir uns wiedersehen, halte Gott dich fest in seiner Hand.
Und bis wir uns wiedersehen, halte Gott dich fest in seiner Hand.

Und dann haben mich zwei Mönche noch zur Tür gebracht. Als sie mir am Weg erzählten, dass sie studieren, und ich sie fragte ‚was denn‘ und sie meinten „teologia“, da kam ich mir nochmal kurz blöd vor, aber angehalten hat es nicht. Dann war noch ein „mille mille mille grazie“ und ich ins Tal hinabgewandert. An einer Stelle stand ein Verkehrsspiegel und ich hab dann doch ein peinliches Bild von mir und meinem Rucksack im Spiegel gemacht. Gefallen hats mir nicht und ich bin lieber schnell weitergegangen.

 

Anton Maria Moser wurde 1998 in Würzburg geboren. Studium der Germanistik und Philosophie. Er lebt in Wien, schreibt Dramen, Lyrik und Erzählungen, singt unter dem Namen „herr maria“ und inszeniert Theaterstücke. 2022 erschien sein Debüt Ein Mensch stirbt im Verlag Rotscheibe.

Die Kollektive Literaturzeitschrift Würzburg (KLW) wurde von den Geschwistern Marco und Florian Bötsch gegründet. Neben dem Aufbau eines breiten Netzwerks an Autorinnen und Autoren im deutschsprachigen Raum möchte sie insbesondere auch diejenigen ansprechen, die sich im klassischen Literaturbetrieb mit seinen Konventionen und (Sach-)Zwängen nicht wiederfinden. Der Fokus liegt auf Untergrundliteratur, junger Literatur und experimentelleren Formen. Die daraus entstehende Zeitung stellt eine Mischung zwischen langen und kurzen, leichten und schweren Texten, solchen von bereits bekannten Schreibenden sowie Neulingen dar.