Valentina. Ein Blog von Sara Gómez Schüller (6)

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Alle Bilder (c) Sara Gómez Schüller

In dem 9-teiligen Blog nimmt die Autorin Sara Gómez Schüller die Leser mit auf eine Entstehungsreise dieses Textes, der zwischen Deutschland und Chile angesiedelt ist. Es handelt sich dabei um den zweiten Teil ihrer Erzählung Valentina. Er ist autobiographisch grundiert, inspiriert von Sara Gómez Schüllers chilenischer Familie, und fokussiert sich auf die Ich-Erzählerin Magdalena, die als Tochter eines chilenischen Exilanten in Deutschland ein Zwitter-Dasein zwischen beiden Ländern führt. Ihre Nichte Valentina, die unter chaotischen familiären Bedingungen aufwächst, stellt ihren Gegenpart dar und ist zugleich Magdalenas Kompass, an dem diese sich orientiert. Seit dem ersten Teil der Erzählung, der zur Zeit von Valentinas Pubertät spielt, sind inzwischen zehn Jahre vergangen. Valentina ist in ihren Zwanzigern und studiert. Magdalena, die Ich-Erzählerin, reist zum Weihnachtsfest der Familie nach Chile. 

Dies ist der sechste und abschließende Teil des Blogs in Form eines Werkstattberichts. Mit ihrem Blog beteiligt sich Sara Gómez Schüller an „Neustart Freie Szene – Literatur“, einem Projekt des Literaturportals Bayern zur Unterstützung der Freien Szene in Bayern. Alle bisherigen Beiträge des Projekts finden Sie HIER.

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Offene Enden / Neue Anfänge

Auf die Frage, was er mir angesichts der weltpolitischen Lage raten würde, sagte mein Vater bereits vor Jahren: „mehrere Pässe besitzen“.

Zwei habe ich und auch im Text soll sich Magdalena um ihren zweiten, den chilenischen, Pass kümmern. Und obwohl mich offene Enden weit mehr interessieren als abgeschlossene, soll der Ausblick für die Protagonistin immer konkreter werden, sich eine Existenz in Chile aufzubauen; wobei sie durchaus die politische Situation in Deutschland vor Augen hat, wo sich eine, sogar vom Verfassungsschutz, als (in Teilen) rechtsradikal eingestufte Partei mittlerweile als feste politische Größe etablieren kann und gute Chancen hat, demnächst von demokratischen Parteien eingebunden zu werden. 

Letzteres spinnt der Text bereits als dystopischen Einschub weiter und setzt um, was in der Realität noch einen Atemzug entfernt zu sein scheint – wobei sich dies in einem Wimpernschlag ändern kann. So werden im Text die Bundestagswahlen vorgezogen – wegen innerer Streitigkeiten der regierenden Koalition – und im Anschluss die rechtsradikale Partei die zweitstärkste Kraft, so dass sich für Magdalena plötzlich eine Frage stellt, die sie so gar nicht erwartet hätte, nämlich die nach der Auswanderung, im Grunde genommen einem Exil.

Ausgerechnet sie, die nie wie ihr Vater zerrissen zwischen Chile und Deutschland sein wollte, muss sich nun (nicht zuletzt als queere Person, die zwar white-passing ist, also als Weiße durchgeht, aber PoC als Eltern, Angehörige und engste Freund:innen hat) ernsthaft überlegen, sich eine Existenz in Chile aufzubauen.

Was sich im ersten Moment wie ein Alptraum anfühlt, erlebt Magdalena auch als befreiende Möglichkeit: alles und Altes abzuschütteln und nochmal wie ganz von vorne anzufangen. Etwas, das sie sich in Hamburg nicht getraut bzw. nicht gewusst hätte, worin der neue Entwurf in jener saturierten Welt überhaupt bestehen könnte. 

Und so wird mein Text mir selbst eine Art Mahnung sein; ein Fingerzeig, ein Knoten im Kopf, der mich erinnern soll, dass diese traumlose Sicherheit nicht verlässlich ist.