Valentina. Ein Blog von Sara Gómez Schüller (4)

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Alle Bilder (c) Sara Gómez Schüller

In dem 9-teiligen Blog nimmt die Autorin Sara Gómez Schüller die Leser mit auf eine Entstehungsreise dieses Textes, der zwischen Deutschland und Chile angesiedelt ist. Es handelt sich dabei um den zweiten Teil ihrer Erzählung Valentina. Er ist autobiographisch grundiert, inspiriert von Sara Gómez Schüllers chilenischer Familie, und fokussiert sich auf die Ich-Erzählerin Magdalena, die als Tochter eines chilenischen Exilanten in Deutschland ein Zwitter-Dasein zwischen beiden Ländern führt. Ihre Nichte Valentina, die unter chaotischen familiären Bedingungen aufwächst, stellt ihren Gegenpart dar und ist zugleich Magdalenas Kompass, an dem diese sich orientiert. Seit dem ersten Teil der Erzählung, der zur Zeit von Valentinas Pubertät spielt, sind inzwischen zehn Jahre vergangen. Valentina ist in ihren Zwanzigern und studiert. Magdalena, die Ich-Erzählerin, reist zum Weihnachtsfest der Familie nach Chile. 

Dies ist der vierte Teil des Blogs in Form eines Werkstattberichts. Mit ihrem Blog beteiligt sich Sara Gómez Schüller an „Neustart Freie Szene – Literatur“, einem Projekt des Literaturportals Bayern zur Unterstützung der Freien Szene in Bayern. Alle bisherigen Beiträge des Projekts finden Sie HIER.

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Blues & Revolte (Teil zwei)

An einem dieser Tage zwischen November und Februar laufe ich durch einen Münchner Park. Es ist noch nicht lange her, dass ich vom letzten Chilebesuch zurück bin. Auf meinen Ohren liegt Watte, es ist nicht angenehm. Mein Gehörgang sucht nach Geräuschen, wieso ist es bloß so still hier?

Selbst bei Sonnenschein, wenn sich halb München unter den Heizarmen verschiedener Cafés tummelt und in dicke Daunenjacken gehüllt, Kaffee trinkend draußen sitzt, ist das Volumen um so viele Dezibel niedriger als in Chile, dass mir etwas falsch vorkommt. Ich schalte permanent Musik an, um mich weniger allein zu fühlen.

Als ich beim Scrollen durch die nächtlichen Events auf einen Reggaeton stoße, seufze ich, weil mir sogar Reggaeton, so schrecklich er ist, gerade lieber wäre als die Stille, die sich nicht meditativ, sondern verstopft anhört. Und so wird der Reggaeton zum zwiespältigen Symbol von Sehnsucht, die die Protagonistin Magdalena beim Gedanken an (ihr) Chile empfindet, aber damit immer haarscharf an der Realität Chiles vorbeizielt. 

Müßig zu erwähnen, dass ich mir für die Noche Latina mit Konzert und anschließenden Reggaeton-DJs gerade erst wieder Karten gekauft habe …

Sogar bei meiner chilenischen Familie auf dem Land – und zwar so auf dem Land, dass die Straße die letzten Meter nicht geteert ist und sich Taxifahrer weigern, weiterzufahren, weil sie ihre Wägen dabei beschädigen könnten – geht mehr die Post ab als am Münchner Stadtrand. Während bei meiner Familie jede Nacht ein Hundekonzert die Stille durchbricht oder meine Nichte mit stampfenden Schritten und ohne die geringste Rücksichtnahme auf bereits Schlafende ihren Mitternachtssnack zubereitet, kann man sich hier höchstens das Heulen eines einsamen Wolfes imaginieren und hört hin und wieder die Autobahn oder ein Flugzeug donnern. 

Welche Erleichterung für die Autorin, als sie im Frühling ein neues Zuhause im Bahnhofsviertel Münchens findet! Den Staub, den sie hier einatmet, schicken ihr direkt die chilenischen Sterne, stellt sie sich vor; während draußen nachts Besoffene ihren Weg Richtung Bahnhof torkeln, morgens die LKW-Fahrer ihr Gut verladen und sich der erste Geruch nach frischem Fladenbrot in den vierten Stock verirrt. 

Wenn dann noch ein gut geschriebener Artikel über die Liebe zum Krümelkaffee von der Vormieterin ebendieses liebenswerten neuen Zuhauses erscheint, lichtet sich der Mingablues und macht langsam Platz für sommerliche Gefühle. Mit schlechtem Gewissen schiele ich daher die letzten Wochen mehr, als dass ich sie tatsächlich lese, auf die Nachrichten aus Chile.

Was mit mir als Sternenstaub und Schreib-Motivation daherkam, erscheint aktuell nur mehr grauer Nieselregen zu sein und gibt wenig Anlass zu demokratischer Hoffnung.