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19.10.2013, 17:23 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [257]: Längere Nämbercher Parenthese

Ja, wo ist denn nun die berühmte Nürnberger SÄULE? Wo ist sie denn? Ich sehe nur eine Hochzeit.

Ah, da steht sie! Endlich entdeckt. Die Fahrradfahrer fahren zwar schnell vorbei...

… die Fußgänger schlurfen langsam entlang. Aber immerhin: die SÄULE!

Und was sagt uns die Säule? Sie singt nicht – wie die Memnonssäule –, aber sie hat uns etwas zu erzählen: auch das, was auch hier schon stand: etwa, dass Jean Paul in den Palingenesien 1798 im Traum nach Nürnberg reiste. Jacobi und Hegel treten auf, auch Schrag – und der Leser, der nicht dranvorbeirauscht oder -schlurft, kann erfahren, dass „Jean Pauls reale Ehe dann auch kein ‹happy end› fand“.

Nun ja... Zugegeben: die Ehe Jean Paul Friedrich Richters und Karoline Mayers war zwischendurch schwierig, belastet, nervös, unglücklich. Eigentlich das ganze Programm, aber... Wenn nur diese dummen „Abers“ nicht wären, die das Leben so schwer deutbar – und die Literatur, gerade und insbesondere aber die Literatur Jean Pauls, so ungemein vielfältig machen. In Wahrheit herrschte nämlich zwischen den beiden Ehegatten, wenn es nicht zu arg lief, gelegentlich ein tiefes, liebevolles Einverständnis. Um dies zu erfahren, muss man nur einige der Reisebriefe lesen, die der Reisende an die Zuhausgebliebene schrieb. Wer sie zur Kenntnis nimmt, würde nicht vermuten, dass diese Ehe „kein ‹happy end› fand“ (nb.: eine seltsame Formel für einen 25 Jahre währenden, im Prinzip unabschließbaren Prozess). Krisen – doch, die gab es, wir wissen es, aber zu behaupten, dass ab 1812 zwischen den beiden Gatten nur das Gefühl der „dumpfen Resignation“ herrschte, von dem Karoline schrieb: das ist nur die halbe Wahrheit. Ebenso gut (oder schlecht) könnte man behaupten, dass Jean Paul 24 Stunden lang täglich Bier trank.

Schrag? Er war ein Verleger und druckte eine Erzählung Jean Pauls. Auch dieser Mann war ein Drucker: ein sehr berühmter: Anton Koberger. Am Platz, an dem sich heute das Stadtarchiv befindet, also schräg gegenüber der Eligienkirche, befand sich einst die Häuserzeile, in der er seine Offizin hatte; eine Gedenktafel erinnert noch daran. Die Stadtbibliothek veranstaltet nun eine Ausstellung, damit tut sie recht, denn zum 500. Todestag des Mannes, der einst die Schedelsche Weltchronik zum Druck beförderte, darf man schon einmal die Korken knallen lassen – denn was wären die Autoren – die großen und die kleinen, allesamt – ohne die Drucker? Sie wären nicht vorhanden. Auch Jean Paul wäre mausetot, hätte er nicht immer wieder Verleger und Drucker gefunden.

So sah der Mann vermutlich nicht aus, aber so hätte ihm auch Jean Paul begegnen können, hätte Jean Paul Die so nöthig als nützliche Buchdruckerkunst und Schriftgießerey, mit ihren Schriften, Formaten und allen dazu gehörigen Instrumenten in die Hand genommen. Die mehrbändige Edition Christian Friedrich Gessners und Johann Georg Hagers erschien 1740 bis 1745 in der Buchhandelsstadt Leipzig, in deren 4. Band findet man das Phantasiebildnis.

In einer zu seiner Zeit unerreichten Konsequenz behandelte er das Buch als Ware und kommerzialisierte Herstellung, Ausstattung und Vertrieb – so steht's geschrieben auf der Homepage der Nürnberger Stadtbibliothek. Einer seiner Nachfolger war Johann Leonhard Schrag, der das ungeheure Glück hatte, ein Werk Jean Pauls drucken zu dürfen, womit er in die Jean-Paul-Geschichte geriet. Zwar zeichnet sich der Druck des Leben Fibels durch ungewöhnliche Schlampigkeit aus – in anderen Fällen machte Jean Paul lustige Bemerkungen über den Druckfehlerteufel –, doch soll unvergessen bleiben, dass er den Dichter besser bezahlte als manch anderer Verleger. Außerdem verlegte er noch andere unbedeutende Kleinigkeiten: Chamissos Peter Schlehmil, de la Motte-Foqués Zauberring, Eichendorffs Ahnung und Gegenwart, Hegels Wissenschaft der Logik.

Also: Ehre seinem Andenken, auch ihm.

„Wenn bei einer Kaiserkrönung“ – sagt' ich zu mir – „ein Markgraf neben dem römischen König steht, so wird er ein Aposteltag, der in einen Festtag fällt und den die Hofleute über diesen wenig begehen. Und so werdet ihr beide, du in deinem trächtigen Nachtmantel und Stuß in seinem Laufkollett, weder im roten Hahnen am Kornmarkt, noch in der goldnen Gans, noch im Reichsadler etwas anders vorstellen als Zaunkönige: hingegen in der Mausfalle ist ein französischer Graf leicht ein Schützen- oder Vogelkönig, ein achtes Wunder der Welt und eine neunte Kur.“ So steht's in den Palingenesien

Nein, auf der Nürnberger Kaiserburg wurde kein Kaiser gekrönt, aber oft einer empfangen. Kaiser, Reich, Stadt – die drei Begriffe bilden einen Zusammenhang, an den man sich gerade in einer schönen Ausstellung auf der Kaiserburg erinnert. Die Burg, in deren Nähe der Erzähler der Palingenesien nach dem richtigen Weg sucht, gab ihm vielleicht auch folgenden Satz ein:

Hat wohl je, ich bitt' es mir zu sagen, irgendein Burggraf, ein Losunger, ein junger Patrizier, ein Reisediener, ein Brandenburger sich so hässlich und so spät verirret wie ich?

Fotos: Frank Piontek, 18.10. 2013

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