Sandra Hoffmann ist: DRINNEN (51). Und schreibt über Friederike Mayröcker und spürt eine fühlbare Welt

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Alle Bilder (c) Sandra Hoffmann

Sandra Hoffmann arbeitet seit einem Studium der Literaturwissenschaft, Mediävistik und Italianistik (M.A.) als freie Schriftstellerin und lebt seit Ende 2012 in München. Bisher hat sie sieben Romane veröffentlicht. Sie schreibt Radiofeatures und Radioessays u.a. für den Bayerischen Rundfunk und v.a. Reisereportagen für DIE ZEIT. Auf dem Literaturportal Bayern veröffentlichte sie von 2021 bis 2022 die Kolumne DRAUSSEN. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. an der Universität Karlsruhe, dem Literaturhaus München und der Bayerischen Akademie des Schreibens sowie für Goethe-Institute im Ausland. Für ihren Roman Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist (Hanser, 2012) erhielt sie den Thaddäus-Troll-Preis, für ihren letzten Roman Paula (Hanser, 2019), der durch ein Arbeitsstipendium des Freistaats Bayern gefördert wurde, den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für den eben erst erschienenen Roman Jetzt bist du da (Berlin Verlag, 2023) bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium. 2022 erhielt sie vom Freistaat Bayern das Arbeitsstipendium Neustart-Paket Freie Kunst.

In den kommenden 52 Wochen schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern wieder eine Kolumne: DRINNEN. Momentaufnahmen aus dem (halb)privaten Leben. Anders als Natur-Räume ermöglichen uns Innenräume, wenn es nicht gerade öffentliche Räume sind, nur einen privaten Blick. Wir sehen dort hinein, wo wir Einlass bekommen, oder wir uns den Einlass erkaufen, wie etwa in Museen, Zügen, Hotels. Es geht um Wahrnehmung. Diesmal aber von Orten, von Menschen, Begegnungen, Situationen. Immer mit der für Literatur relevanten Frage: Wie spiegelt sich im Kleinen oder im Privaten auch das große Ganze, die Welt. Wer sind wir im (anscheinend so) Geborgenen?

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51

Das ist Friederike Mayröcker. Dichterin, Schriftstellerin, und 2021 im Alter von 96 Jahren gestorben. Das Bild ist abfotografiert aus einem Ausstellungskatalog, der im Herbst 2020 zur Ausstellung SCHUTZGEISTER, kuratiert von Hans Ulrich Obrist, erschienen ist.

Es ist wahrscheinlich eines der letzten Fotos von ihr.

Friederike Mayröcker, hat immer auch ein wenig gezeichnet, neben dem Schreiben, und die Zeichnungen – und unter anderem die „Schutzgeister für Ernst Jandl“ – sind auch immer wieder aufgetaucht, schon vor 30 Jahren, etwa in den Magischen Blättern, die bei Suhrkamp erschienen sind.

Aber ich will hier nicht speziell über Mayröckers Zeichnungen und auch nicht über die Fotos, die es von Friederike Mayröcker noch gibt, schreiben.

Ich möchte über sie schreiben, weil sie vielleicht das einzige Idol in meinem Leben war.

Noch bevor ich sie einmal traf, das war ungefähr 1997, als sie im Rahmen der Poetikdozentur in Tübingen zu Gast war, ich war damals 30 Jahre alt, las und kannte ich Texte von ihr. Und sie faszinierten mich. Ich konnte damals noch nicht so genau formulieren, warum, wegen der Sprache: klar. Aber heute, wo ich seit mehr als zwanzig Jahren mit Sprache arbeite, weiß ich es sehr genau. Friederike Mayröcker war in ihrem Schreiben der Welt so zugewandt wie ihrem eigenen Inneren. Immer kommt bei ihr die Welt draußen vor, immer die Natur oder Dinge, die sie gesehen hat, gehört, über die sie nachdachte, aber immer ist das vollkommen gebrochen von etwas, was man nur mit Wörtern erreicht: wenn man die Kontrolle aufgibt, während man formuliert. Während man schreibt. Weil es dadurch möglich wird, an das, woraus Träume gespeist sind, nämlich das Unbewusste, oder an die eigene Intuition heranzukommen.

Und immer entsteht daraus so etwas wie eine sichtbare, fühlbare Welt. Ich spüre etwas, ich fühle etwas, aber ich will auch etwas erfahren. Ich möchte ein Rätsel lösen, ich möchte wissen, was sie, Friederike Mayröcker mir erzählen will.

Das Schöne daran ist, dass ich heute weiß, sie will nur das erzählen, was sie erzählt, und alles, was sich dahinter verbirgt, sehe ICH dahinter verborgen. Ich interessiere mich für das, was sie schreibt, weil das, was sie schreibt, mein Interesse weckt. Weil es bei mir etwas auslöst: eine Phantasie, Bilder, weil es bei mir im besten Fall an etwas andockt, was mit meinem Unbewussten zu tun hat, mit mir. Und im allerbesten Fall dazu führt, dass ich sofort schreiben will. Nicht so wie Mayröcker, aber so sicher mit meiner eigenen Sprache, mit meiner eigenen Suchbewegung (nach Linien und Fäden) verbunden, wie Friederike Mayröcker es war. Sie hat immer nur das geschrieben, was sie schreiben wollte. Und wurde darin immer besser.

saszen an einem wurmstichigen. Tisch im Freien vergangenen Sommer warum ging mir dieses Wort nach, der Schnabel eines Vogels auf dem Parkett, diese dünnen ich meine Stengelchen. Einer maszlosen Wiese ich meine zerbrochenes Schneeglöckchen mit weiszen Scherben im Gras […]

(Friederike Mayröcker: da ich morgens und moosgrün. Ans Fenster trete. Suhrkamp Verlag, Berlin 2020)

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