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13.07.2023, 13:40 Uhr
Thomas Lang
Spektakula

Heinrich-Mann-Ausstellung in Lübeck

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Eine Ausstellung im St. Annen-Museum zu Lübeck, kuratiert vom Buddenbrookhaus, zeigt die große Aktualität des bekanntesten Romans von Heinrich Mann Der Untertan auf. Die erfolgreiche Schau ist bis Ende August 2023 verlängert worden.

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„Dietrich Heßling ist wieder da!“, titelt das Extrablatt Neue Netziger Zeitung in seiner Sonderausgabe und sorgt sich: „Wer der Meinung ist, Heinrich Manns Abrechnung mit dem deutschen Untertanen-Geist sei längst überholt, der irrt.“ Damit ist das Thema der Ausstellung über Heinrichs Manns Roman Der Untertan gut gefasst.

Die Neue Netziger Zeitung ist ein vom Buddenbrookhaus herausgegebenes, von Schülern in einem Wettbewerb mit Inhalten bestücktes Sonderblatt der noch bis 27. August 2023 zu sehenden Ausstellung. Da das Buddenbrookhaus selbst gerade geschlossen ist (die anstehende Erweiterung unterliegt bedauerlicherweise einem Baustopp), ist Heinrich Mann mit seinem Roman ausgerechnet im ehemaligen Kloster und heutigen Museum St. Annen untergekommen. Die Gestaltung der Räume lässt die durchwanderten Kreuzgewölbe jedoch gleich vergessen. Denn hier geht es um irdische Dinge, eine Papierfabrik etwa oder einen Ratskeller.

Der Roman erzählt von Diederich Heßling als Paradebeispiel für den wilhelminischen Typus des Mannes: obrigkeitshörig und feige, dafür mit umso größerer Härte gegenüber sozial Schwächeren und voller Ressentiments gegenüber Welt und Menschen. „Nach oben buckeln und nach unten treten“ war ein sprichwörtlicher Ausdruck für solch eine Lebenshaltung. Chauvinismus und Militarismus sind in diesem Männerbild ebenso fest verankert wie der Antisemitismus. Der Untertan spielt im Wesentlichen in den 1890er-Jahren in der fiktiven Stadt Netzig sowie teilweise in Berlin, Zürich und Rom. Er wird oft als Satire bezeichnet; Kurt Tucholsky attestierte ihm dagegen, in keiner Weise zu überzeichnen.

1914 war der Roman Der Untertan abgeschlossen und erschien in Folgen in der Zeitschrift Zeit im Bild. Zugleich gab es eine russische Ausgabe, die ebenfalls in Folgen erschien. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs im August 1914 stellte die deutsche Zeitschrift den Vorabdruck ein. Kurioserweise war der Roman als Ganzes deshalb zuerst auf Russisch zu lesen. Warum fürchtete man in Deutschland, der Roman könnte defätistisch wirken? Er war es! Heinrich Mann griff die nationalkonservative wilhelminische Gesellschaft, die den Krieg zu einem guten Teil mitverantwortete, in seinem Buch frontal an. Erst mit dem Zusammenbruch des Kaiserreichs 1918 konnte Der Untertan komplett auf Deutsch erscheinen. Er hätte den Kommentar auf eine vergangene Epoche bilden können. Leider zeigte sich allzu bald, dass der Untertanen-Geist nicht aus der deutschen Gesellschaft verschwunden war.

Zeugnis dafür legt u.a. ein kleines Kuriosum Lübecks ab: Die Statue Wilhelms I., erster Kaiser des kurzlebigen Reiches, wurde vor dem Bahnhof der Stadt noch 1934 aufgestellt. Manchmal bestätigt das Leben eben die Literatur. Im Untertan spielt die Errichtung eines Kaiserdenkmals eine wichtige Rolle. Ihr ist auch einer der drei Themenräume der Ausstellung gewidmet. Die aus heutiger Sicht schon kasperlhafte Begeisterung für das neu eingeführte, aber mit Gottes Gnaden versehene Kaisertum ist uns bis heute in zahlreichen Bismarck- und Wilhelm-Monumenten überliefert. Sie wird in der Ausstellung mit antiwilhelminischen Statements Heinrichs Mann konfrontiert, der übrigens im Jahr der Reichsgründung 1871 geboren wurde und in seinen frühen Jahren einen ähnlich imposanten Schnurrbart zur Schau stellte wie Kaiser Wilhelm der II. Schüler einer Lübecker und einer Segeberger Kunstklasse haben sich mit der Frage beschäftigt, was heute ein Denkmal sein könnte und präsentieren die sehenswerten Ergebnisse dieser Auseinandersetzung ebenfalls in der Ausstellung.

Ein weiterer Raum beschäftigt sich mit den Arbeitsbedingungen einer Papierfabrik, wie Heßlings Vater sie gründete und Heßling sie als nahezu allmächtiger Inhaber führte. Die Rolle der Frau in dieser Phase der Industrialisierung wird hier in den Mittelpunkt gestellt. Der mittlere Themenraum inszeniert andeutungsweise einen Ratskeller mit den Plätzen der Honoratioren, die dort hineingehören, und einer Sammlung bedruckten Klopapiers als Anspielung auf den größten Stolz heßlingschen Unternehmergeists. Immer wieder sucht die Ausstellung Anknüpfungspunkte an das Hier und Jetzt und konfrontiert uns in einer sperrigen Fraktur mit Hinweisen etwa auf die Ausbeutung von Arbeitskräften in deutschen Schlachtbetrieben oder auf Kinderarbeit heute, oder einem Social-Media Account, auf dem Heßling seine politische Wirksamkeit heute eher entfalten würde als am Stammtisch.

So wie die vorherrschenden Farben der Ausstellung Braunrot, Beige und Rosa die Farben der alten Reichsflagge Schwarz, Weiß und Rot parodieren, so kommentiert die „Pixelfraktur“ auf gelungene Weise den verschobenen Kontext für den jahrhundertelang im deutschen Sprachraum gebräuchlichen, von den Nationalsozialisten abgeschafften, heute jedoch mit der politischen Rechten assoziierten Schrifttyp, der vielen Menschen inzwischen ohnehin als schwer lesbar erscheinen dürfte.

In einer Art Epilog zur Hauptausstellung beschäftigt sich ein „Apothekenraum“ mit einem durch und durch heutigen Thema: dem so genannten Querdenkertum der Pandemie-Zeit. Dabei hätte es zu einer Art Umpolung kommen können: Denn Untertanengeist bedeutete nach Meinung dem „Querdenker“ auf einmal, sich an Regeln zu halten, die der Abwehr der hochansteckenden Covid-Erkrankung dienen sollten. Die Pickelhaube wird zum Alu-Hut. Risiken und Nebenwirkungen der Wahrheitsfindung sind heutzutage in viel höherem Maße dem Individuum zugemutet als zu Kaisers Zeiten.

 

Heinrich Manns Roman gehört in Hamburg und Niedersachsen wieder zum Schulstoff. Die Ausstellung in Lübeck zeigt gerade auch durch die Einbeziehung der jungen Menschen, dass sich in den gut 100 Jahren seit dem Ende des Kaiserreichs in unseren Köpfen doch ein Wandel vollzogen hat, dass Untertanen zu Bürgerinnen und Bürgern wurden und die Werte von Freiheit und Demokratie zwar beständig angegriffen, doch etabliert, stark und lebendig sind.