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03.11.2022, 11:23 Uhr
Alfons Schweiggert
Gespräche
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© Gerd Pfeiffer, München

Karl Valentins vergessene Bühnenpartnerin Annemarie Fischer. Interview mit Alfons Schweiggert

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© Cover Allitera Verlag

Wer kennt sie nicht, Liesl Karlstadt, die Frau an der Seite des weltbekannten Tragikomikers Karl Valentin und dies nicht nur auf der Bühne, sondern auch im privaten Leben? Ein legendäres PaarDer Name Annemarie Fischer hingegen ist in der Öffentlichkeit in Vergessenheit geraten. Wer war die junge Schauspielerin, die den großen Komiker rückhaltlos bewunderte, mit der er 1939 auf der Bühne stand und zu der er eine Liebesbeziehung hatte? Diesen und anderen Themen geht das neue Buch des Münchner Schriftstellers und Valentin-Biografen Alfons Schweiggert nach, der eine Biografie zu Valentins zweiter Bühnenpartnerin geschrieben hat. Die Publizistin, Autorin und Nachhaltigkeitsexpertin Dr. Alexandra Hildebrandt hat ihn dazu befragt. Wir veröffentlichen das Interview mit freundlicher Genehmigung der Autorin.

DR. ALEXANDRA HILDEBRANDT: Herr Schweiggert, wie sind Sie darauf gekommen, eine Biografie über Annemarie Fischer zu schreiben?

ALFONS SCHWEIGGERT: Vor 22 Jahren, im Juni 1998, nahm Erika Fischer, die Schwester von Annemarie Fischer, die 1988 verstorben war, zu mir Kontakt auf. Sie vertraute mir alle ihre privaten Aufzeichnungen und Lebenserinnerungen an sowie Bildmaterial aus dem Familien-Archiv mit der Bitte, das Leben ihrer Schwester und ihre Beziehung zu Karl Valentin so darzustellen, wie es wirklich war. Annemarie Fischers 1982 erschienenes Buch Mein Leben mit Karl Valentin enthielt nach dem Urteil der Presse wenig Informatives, aber viel Unglaubwürdiges. In der Folge wurde sie ganz vergessen. Das habe ihre Schwester, so Erika Fischer, nicht verdient.

Warum erschien das Buch dann aber erst 24 Jahre später?

Nachdem ich über viele Jahre hinweg etliche weitere Unterlagen zum Leben Annemarie Fischers zusammentragen hatte, machte ich mich daran, das Leben der zweiten Partnerin Valentins neu aufzublättern und dabei auch vieles Anzweifelbare in ihren eigenen Schilderungen, die sie 1982 veröffentlicht hatte, zurechtzurücken. Ich wollte Annemarie Fischer aus der Versenkung herauf- und sie ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zurückholen.

Worum geht es vorrangig in Ihrer Biografie?

Es ging mir vor allem darum, das tragische Leben Annemarie Fischers von Anfang an zu durchleuchten. Ihr Leben ereignete sich in einer schwierigen Zeit mit zwei Weltkriegen, der Hitlerdiktatur des „Dritten Reiches“ und einer entbehrungsreichen Nachkriegszeit. Erstmals erlaubten mir vor allem die Aufzeichnungen ihrer Schwester Erika auch einen intimen Blick in das hoch interessante Familienleben der Familie Fischer zu werfen und die bemerkenswerten Aktivitäten ihres Vaters, des Kunsthistorikers und Schriftstellers Prof. Dr. Josef Ludwig Fischer vorzustellen, von denen seine Töchter künstlerisch maßgeblich geprägt wurden.

Was ist das Besondere an Ihrer Biografie über die Fischer?

Ich wollte das Leben der „feschen Mizzi“, wie sie von Valentin genannt wurde, aus ihrem bisherigen Schattendasein befreien. Illustriert mit zahlreichen, bislang unveröffentlichten Fotografien erhält der Leser Einblicke in Annemaries Herkunft und ihre Bühnenkarriere vor der Partnerschaft mit Valentin. Außerdem beleuchte ich das ungewöhnliche Kennenlernen der beiden sowie das Dreiecksverhältnis Liesl Karlstadt – Valentin – Annemarie. Mit dieser Biografie lenke ich den Blick auf eine ungewöhnliche Frau, deren Emanzipationsbestrebungen und auf einen wichtigen Aspekt im Leben des großen Münchner Tragikomikers.

Welche Aspekte greifen Sie dabei in Ihrem Buch auf?

Zunächst stelle ich die kulturelle Bedeutung der von ihrem Vater gegründeten und geführten „Münchner Musikbühne“ vor und berichte von den Rollen, die Annemarie dort spielte. Ich erzähle auch, in welchen Bereichen Annemarie eine künstlerische Ausbildung erfuhr und welche frappierenden Ähnlichkeiten es zwischen Annemarie und Liesl Karlstadt zu Beginn ihrer künstlerischen Entwicklung gab. Besonders wichtig war mir, wie der Erste Weltkrieg, die Weimarer Republik, die Diktatur der Nationalsozialisten und der Zweite Weltkrieg das Leben Annemaries und ihrer Schwester Erika prägte.

Wie gestalteten sich die Beziehungen zwischen Valentins Ehefrau, der Karlstadt und der Fischer?

Während Gisela Royes, Valentins Ehefrau, auf die Liesl Karlstadt eifersüchtig war, kam sie mit der jüngeren Annemarie Fischer erstaunlicherweise recht gut aus. Obwohl seine Frau sich scheiden lassen wollte, lehnte dies Valentin entschieden ab. Er brauche, wie er betonte, sowohl seine Frau wie die Karlstadt und auch die Fischer hatte in seinem Privatleben durchaus Platz.

Wann lernte Valentin Annemarie Fischer kennen?

Ihren Aussagen nach war sie ein blutjunges Mädchen von 12 Jahren, als sie sich in Valentin verliebte und er sich angeblich auch in sie. Doch zu seiner Bühnenpartnerin wurde sie dann erst Jahre später. Dabei spielte im April 1935 Liesl Karlstadts Nervenzusammenbruch und Suizidversuch in der Isar eine Rolle. Annemarie war damals 18 Jahre alt. Ob es aber zwischen Valentin und der Karlstadt tatsächlich wegen Annemarie Fischer zum Bruch kam, wie immer wieder behauptet wird, ist nicht nachweisbar. Interessant ist, wie sich 1929 die Zusammenarbeit zwischen Valentin und der 22-jährigen Annemarie in seiner „Ritterspelunke“ im Färbergraben 33 in der Münchner Altstadt gestaltete und welche Rollen sie dort an seiner Seite – als Soubrette, Schauspielerin und Moritatensängerin – übernahm.

Sie gehen in Ihrem Buch aber auch auf ganz ungewöhnliche Aspekte ein.

Ja, da ist einmal Valentins höchst kuriose Begeisterung für korpulente Frauen. Außerdem kommt zur Sprache, was die Fischermädchen über Valentins angeblichen Rauschgiftkonsum wussten. Und was hat es mit Valentin ominöser pornografischer Fotosammlung auf sich? Welche Männer – außer Valentin – spielten für Annemie Fischer in ihrem Leben sonst noch eine wichtige Rolle? War der Vater von Annemaries 1941 geborenen Tochter wirklich Karl Valentin? Interessant ist auch die Frage, was über Annemaries Mitwirkung bei Wehrmachtstourneen während des Zweiten Weltkriegs bekannt ist.

Was machte Annemarie Fischer nach dem Ende der Bühnenpartnerschaft mit Valentin?

Nachdem mit Beginn des Zweiten Weltkriegs eine künstlerische Fortsetzung ihrer Partnerschaft mit Valentin zum Erliegen kam, betätigte sie sich zunächst als Kinokassiererin. Privat blieb sie mit Valentin aber in Kontakt. Nach dem Ende des Krieges wurde sie dann Mitarbeiterin im Bayerischen Rundfunk. Außerdem engagierte sie sich für einen Studenten als dessen Kunstförderin.

Die letzten Lebensjahre Annemarie Fischers waren aber nicht glücklich ...

Nach Valentins Tod verfiel sie schon bald dem Alkohol. Sie wurde, wie es hieß, „frühinvalidisiert“ und hauste in den letzten Lebensjahren, von der Alkoholkrankheit massiv beeinträchtigt, völlig zurückgezogen in einem kleinen Zimmer im sogenannten Münchner „Fuchsbau“. Sie dachte auch an Selbstmord, besaß aber dazu, wie sie ihrer Schwester schrieb, nicht den Mut. Als sie starb, war sie völlig vereinsamt und allein.

Warum ist kein Grab Annemarie Fischers vorhanden?

Weil sie testamentarisch ihren Leichnam der Anatomie vermachte, da sie den bei Bestattungen üblichen, vor allem finanziellen Aufwand für „sinnlosen Kram“ hielt. Außerdem wollte sie für immer verschwinden. Ein Grab ist nicht vorhanden.

Warum ist für die Valentin-Forschung Annemarie Fischers private und künstlerische Beziehung zu Karl Valentin so wichtig?

Weil die Fischer in einer Phase in Valentins Leben trat, die für ihn besonders bedeutsam war. Annemarie spielte in der „Ritterspelunke“ in dem Stück Ritter Unkenstein das Burgfräulein Kunigunde. Valentin wollte nach dem Krieg einen großen Ritterfilm drehen, der ihm besonders am Herzen lag. Sein Ritter Unkenstein wäre dabei sicher ein wichtiger Baustein gewesen. Leider konnte er diesen Film nicht mehr realisieren. Er starb am Rosenmontag 1948.

 

Alfons Schweiggert: Karl Valentins fesche Mizzi: Die Schauspielerin Anne-Marie Fischer. Erste authentische Biographie über Valentins zweite Bühnenpartnerin. Allitera Verlag, München 2022, 192 S., ISBN 978-3-96233-332-4, € 20,00