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14.01.2020, 17:52 Uhr
Karen Wenzel
Spektakula

Anklage und Verteidigung eines Wilderers. Ein Theaterstück in Augsburg

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Szene aus dem Stück: Der Bayerische Hiasl steht für seine Verbrechen vor Gericht und erhält die Chance, sich für seine Taten zu rechtfertigen. © Sensemble Theater Augsburg

In Augsburg läuft noch bis zum 1. Februar 2020 (eventuell noch 7. / 8. Februar) das Theaterstück Heute Hiasl von Sebastian Seidel. Karen Wenzel war für uns dabei und hat sich die Aufführung zu einem der größten bayerischen Rebellen angesehen.

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Matthäus Klostermayr, der sogenannte Bayerische Hiasl aus Kissing, wurde 1771 für unterschiedliche Vergehen wie Raub oder Landfriedensbruch hingerichtet. Seine Geschichte diente bereits mehreren bekannten Dichtern und Autoren als Inspiration, so bildete er beispielsweise die Vorlage für die Figur des Karl Moor aus Friedrich Schillers Die Räuber.

In jungen Jahren verdingt sich der Bayerische Hiasl als Jagdgehilfe der Mergenthauer Jesuiten. Nach dem Verlust dieser Anstellung schlägt er sich als Wilderer in den Kissinger Wäldern durch. Als charismatischer Anführer seiner „gerechten Räuberbande“ erlangt er später bereits unter seinen Zeitgenossen großes Ansehen. Während er für die Behörden ein Übel darstellt, welches es zu beseitigen gilt, ist er beim Volk sehr beliebt. Immer wieder verteilt Klostermayr Teile seiner Beute unter der Bevölkerung und schützt die Felder der Bauern vor gefräßigem Wild.

Mathias Brentan oder der sogenante Bajerische Hießl samt seinem Jung und großen Hund nach dem Leben gezeichnet, Druckgraphik um 1780.

Das musikalische Theaterstück von Sebastian Seidel im Sensemble Theater Augsburg stellt den Bayerischen Robin Hood, wie der Hiasl auch genannt wird, während des gerichtlichen Prozesses dar, in dem Matthäus Klostermayr angezeigt wird und sich für seine Taten rechtfertigen muss. Akt für Akt werden ihm seine und die Vergehen seiner Räuberbande vorgetragen. Dabei wird die Kulisse des Theaterstückes geschickt eingesetzt, denn die am vorderen Rand der Bühne aufgebauten Aktenordner vermitteln dem Publikum sofort den gerichtlichen Rahmen der Handlung. Außerdem nimmt die Staatsanwältin im Stück Fall für Fall auch tatsächlich her, um die Taten des Hiasl dem Gericht vorzutragen. Dabei schafft es der Hiasl nicht, für alle diese Vorwürfe eine ordentliche Rechtfertigung vorzuweisen. Bei seinen Verteidigungsreden spricht sich der sogenannte „Fürst der Wälder“ für die gleichwertige Behandlung und Freiheit aller lebenden Menschen aus und spricht sogar Themen wie den Klimaschutz an.

Im Kreuzverhör zwischen einer selbstbewussten und voreingenommenen Staatsanwältin und einem etwas hin und her gerissenen Richter wird mehrfach auf tatsächliche historische Berichte über den Bayerischen Hiasl eingegangen. Zur Freude von Sprachwissenschaftlern, Historikern oder historisch interessierten Personen werden dabei die zeitgenössischen Aufzeichnungen wörtlich vorgetragen. In den laufenden Prozess schieben sich immer wieder Rückblicke ein, welche Szenen aus der Zeit von Klostermayrs Räuberbande nachstellen und Eindrücke aus dem Leben des Kissinger Desperado liefern.

Mit Nebel und Lichteffekten und eingängigen Liedern, welche das Stück immer wieder begleiten, wird der Prozess dramatisch vorgeführt. Als es für den Hiasl im Prozess gar nicht gut aussieht, wird er von den Geschworenen und der Staatsanwältin umringt, die zusammen die bedrohlichen, das Ende des Hiasls verkündenden Verse wie ein Mantra wiederholen: „Die Zeit läuft – ab!“. Die Atmosphäre der Szene erhält dabei durch die rötliche Beleuchtung und dezente Nebeleffekte einen äußerst schaurigen Charakter.

Der Bayerische Hiasl wird von der Staatsanwältin und den Geschworenen vor der langen Liste seiner Verbrechen in Form von Aktenordnern zur Rechenschaft gezogen. © Sensemble Theater Augsburg

Der Theaterschauspieler Florian Fisch schafft es, den vielseitigen Charakter des Hiasl zwischen Sympathie und verbrecherischem Eigensinn perfekt in Szene zu setzen und die moralischen Prinzipien des Räuberanführers deutlich zu machen. Er verkörpert den freiheitsliebenden und munteren Wilderer mit seinem charismatischen Auftreten vollkommen authentisch. Obwohl selbst der wortgewandte Hiasl für einige seiner Verbrechen bzw. die seiner Anhänger keine Entschuldigung finden kann, muss man sich als Zuschauer einfach auf die Seite des „Fürsten der Wälder“ schlagen, so gut wird die Figur verkörpert.

Getreu der Geschichte bleibt dem Bayerischen Hiasl sein Schicksal am Ende jedoch nicht erspart. Das Urteil lautet: Verurteilung zum Tode mit anschließender Vierteilung und öffentliche Ausstellung der Körperteile in verschiedenen Orten als abschreckendes Beispiel für Verbrecher. In der Bevölkerung jedoch bleibt er in Volksliedern in Erinnerung, die ebenfalls ins Stück eingearbeitet wurden und die Trauer der allgemeinen Bevölkerung über den Tod des Volkshelden ausdrücken.

da werd sich Wild vermehren
und springa kreuzwohlauf,
und d'Bauern, de wern ruefa –
geh Hiasl, steh do' auf!

(nach Bernd E. Ergert: Die Jagd in Bayern)

Das Stück ist überaus gut recherchiert und zeigt einen innovativen Umgang mit den historischen Stoffen in überraschender Kombination mit aktuellen Themen. Ein rundweg gelungenes Werk von Sebastian Seidel, das dem Zuschauer nicht nur eine historische und mythisch verklärte Gestalt nahebringt, sondern auch auf angenehme und unterhaltsame Weise zum Nachdenken anregt. Hingehen lohnt sich!