Ludwig Ganghofers historische Romane: „Die Watzmannkinder“ II (Das Gotteslehen)

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Illustration des Watzmann-Massivs als Familie, Ansichtskarte, Verleger Fritz Mühlstein in Offenbach a.M. & J.B. Rottmayer in Berchtesgaden, um 1880

Die Sage vom einst grausamen König Waze oder Wazemann, der mit seiner Frau und seinen Kindern Furcht und Schrecken im Berchtesgadener Land verbreitete, wurde schon mehrfach in Nacherzählungen bearbeitet, unter anderem von Ludwig Bechstein. Ludwig Ganghofer nutzte Motive der Watzmannsage für seinen eigenen Roman Die Martinsklause und verband sie mit der historisch belegten ersten Besiedelung Berchtesgadens durch Augustiner-Chorherren zu Beginn des 12. Jahrhunderts.

Im Rahmen seiner vier Aufenthalte im Berchtesgadener Land in den 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts fasste Ganghofer den Entschluss, die deutsche Geschichte aus der Sicht und im Interesse der jeweils unterdrückten Minderheiten – mikrokosmisch-geographisch und stellvertretend für die allgemeinen Verhältnisse – in sieben Werken (geplant waren neun) romanhaft zu erfassen. Dabei sollten durchgängig die Schicksale der Menschen im Spannungsfeld mit den sich entwickelnden feudalen Strukturen der jeweils vereinigten klerikalen und weltlichen Macht dargestellt werden: vom Anfang des Feudalstaats vom 12. bis 15. Jahrhundert (Romane 1-4) bis zum Ende des Feudalstaats vom 16. bis 18. Jahrhundert (Romane 5-7).

Nachfolgend in loser Serie werden die sieben Romane Ludwig Ganghofers im Literaturportal Bayern inhaltlich vorgestellt.

 

Historischer Romantitel: Das Gotteslehen

Historienfolge: 13. Jahrhundert, 1238-1239

Herausgabefolge (Lfd. Nr.): 1899 (3)

Ohne einen besonderen historischen Hintergrund werden in dieser Romanhandlung aus dem 13. Jahrhundert vor allem die allgemeinen sozial- und machtpolitischen Umstände und diese im Alltag des mittelalterlichen Unterdrückungssystems beschrieben. Aus der noch kleinen und einfachen „Martinsklause“ ist schon hundert Jahre später ein großes und mächtiges Kloster erwachsen. Die Machtverhältnisse ähneln wieder denen vor der Gründung der Martinsklause, dem Vorläufer des Klosters. Nach und nach geraten die Bauern wieder in eine völlige Abhängigkeit – jetzt von den geistlichen Chorherren. Nur der freie Bauer Greimold, der seinen Hof „Gotteslehen“ nennt, hat bislang den Interessen des Klosters, die auf eine Ausweitung ihres weltlichen Besitzes und ihres Einflusses ausgerichtet sind, erfolgreich widerstanden, und das obwohl der ehrgeizige Dekan bisher alles versucht hat, das Gotteslehen in die völlige Abhängigkeit des Klosters zu überführen. Bauer Greimold ist nämlich der idealistischen Auffassung, dass eigentlich nur „Gott“ sein einziger Lehensherr sein kann, niemals aber dessen irdische „Vertreter“. Greimold weigert sich beharrlich, die Autorität des Klosters in weltlichen und religiösen Angelegenheiten anzuerkennen. In seinem Anspruch nach direkter persönlicher Beziehung zu Gott, greift er bereits Inhalte der späteren lutherischen Lehre vorweg.

Der junge, idealistisch gesinnte Chorherr Irimbert verliebt sich in Jutta, die blinde Tochter des standfesten Bauern des Gotteslehens. Die Blindheit von Jutta symbolisiert im Roman eine Art naive Schuldlosigkeit in einer insgesamt bereits völlig verdorbenen und verrohten Welt, in der die Bauerntochter nur das jeweils Gute wahrnimmt. Den verfolgten jüdischen Arzt Josephus, der Juttas Blindheit vergeblich zu heilen versucht, lässt Ludwig Ganghofer auch in diesem Roman als durchwegs sympathische Gestalt in Erscheinung treten. Der stets aufopferungsvoll hilfsbereite jüdische Arzt Josephus wird dabei auch als Opfer des christlichen Verfolgungswahns beschrieben.

Probst Friedrich hält zwar seine schützende Hand über das Gotteslehen, ebenso wie über seinen jungen Chorherren Irimbert. Als aber der dennoch zwiespältige und schwache Probst bei einem Jagdunfall stirbt, wird der ehrgeizige Dekan dessen Nachfolger. Dieser lässt nun mit seinen Soldaten das widerspenstige Gotteslehen stürmen und niederbrennen, Irimbert und Jutta müssen fliehen. Als Irimbert keinen Ausweg aus seiner mehrfach verzweifelten Lage sieht, ersticht er seine Geliebte und dann sich selbst.

Barockkirche Sankt Bartholomä (1697) am Königssee im Berchtesgadener Land, 2005

Im Gegensatz zu dem in der Historienfolge ersten Roman Die Martinsklause, der noch mit einem eher zurückhaltenden Ton abschließt, ist Das Gotteslehen bereits eine durchgängig pessimistische Schilderung einer völlig korrupt und dekadent gewordenen „Feudalstaatsordnung“ mit ihren vereinigten weltlichen und geistlichen Machtstrukturen. Die machtpolitischen Interessen des Klosters sind bereits zum reinen Selbstzweck verkommen, die gemeinsame und sich gegenseitig stützende Ausübung geistlicher und weltlicher Macht lässt die frühen Verfallserscheinungen innerhalb dieser „Unterdrückungsordnung“ sichtbar werden. Die ehrgeizigen Nachfolger des verstorbenen Probstes machen sich daran, das Unterdrückungssystem so zu gestalten, dass die abhängige Bevölkerung nur noch die Wahl zwischen völliger Unterwerfung und dem eigenen Tod hat.

Das Gotteslehen ist der wohl am stärksten antiklerikal ausgerichtete Roman innerhalb des 7-teiligen Romanzyklus von Ludwig Ganghofer.

 

Widmung

Die voranstehenden Ausführungen werden Alfred Hermann Fried, geb. 11. November 1864 in Wien, gest. 4. Mai 1921 in Wien, gewidmet. Fried war verheiratet mit Bertha Engel, der Schwester von Ludwig Ganghofers Ehefrau Katinka, geb. Engel. Alfred Hermann Fried war der große Vorkämpfer für den Frieden der Menschheit und auch langjähriger Mitarbeiter von Berta von Suttner. Am 10. Dezember 1911 erhielt er den Friedensnobelpreis. Vor dem Hintergrund der damaligen wie auch gegenwärtigen, friedensbedrohenden Weltgeschehnisse ist Fried mit seiner immerwährenden Friedensbotschaft bis heute aktuell.

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