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27.10.2015, 15:21 Uhr
Redaktion
Betriebsgeflüster
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Jean Paul, Fotografie eines Stichs (Bayerische Staatsbibliothek München/Porträtsammlung)

Verleihung des Jean-Paul-Preises 2015 an Gerhard Roth

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Preisträger Gerhard Roth und Staatsminister Dr. Ludwig Spaenle © Literaturportal Bayern

Am 26. Oktober 2015 wurde der Jean-Paul-Preis des Freistaats Bayern an den österreichischen Schriftsteller Gerhard Roth verliehen.  Der mit 15.000 Euro dotierte Literaturpreis wird seit 1983 alle zwei Jahre vergeben und würdigt das literarische Gesamtwerk eines deutschsprachigen Schriftstellers oder einer deutschsprachigen Schriftstellerin. Die feierliche Verleihung durch Staatsminister Dr. Ludwig Spaenle fand im Max-Joseph-Saal der Residenz in München statt.

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Gerhard Roth gehört zu den bedeutendsten österreichischen Schriftstellern der Gegenwart. Sein Werk umfasst unter anderem die beiden siebenbändigen Romanzyklen Die Archive des Schweigens (1980 – 1991) und Orkus (1995 – 2011), mehrere – auch autobiographische – Romane, Essays und Erzählungen sowie Theaterstücke und Fotobücher. Zuletzt erschien sein Roman Grundriss eines Rätsels (2014) im S. Fischer Verlag. In seiner Begrüßungsrede bezeichnete Staatsminister Ludwig Spaenle Roths Gesamtwerk als „Monolith“, allein schon aufgrund seiner Ausmaße wirke sein Schreiben „monumental“.

In seinen Texten taucht der Autor Gerhard Roth ein in die Geschichte, in das kollektive Bewusstsein und das Unbewusste. Es sind Themen wie die Vergangenheit seines Heimatlandes Österreich, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt, die in seinen Büchern verhandelt werden. Roths Literatur ist dabei immer auch ein ethisches und politisches Schreiben, das versucht, den Opfern der Machtstrukturen und Verbrechen, oftmals den Schweigenden, eine Stimme zu geben.

Spaenle verglich die Werke Roths auch mit „kriminologischen Studien“, bei denen wissenschaftliche Verfahren wie Analyse, mikroskopisches Betrachten und Diagnose literarisch fruchtbar gemacht werden. Gerhard Roths Schreiben funktioniere dadurch wie ein „Instrument der Erkenntnis“.

Seinen Stoff dafür „erwandert“ sich Roth durch jahrzehntelanges Recherchieren, bei dem er eine immense Menge an Material zusammenträgt. Aus diesem entstehen schließlich die monumentalen Texte. Auch Film und Fotografie misst Gerhard Roth in seinem Schaffen große Bedeutung bei, dies zeigen nicht nur seine Fotobücher, sondern auch etliche Verfilmungen.

Verleihung des Jean-Paul-Preises im Max-Joseph-Saal der Münchner Residenz © Literaturportal Bayern

In seiner Laudatio auf den Preisträger berichtete der Berliner Literaturkritiker Jörg Magenau von eigenen Leseerfahrungen und dem „wundersamen“ Moment, wenn man einem Schriftsteller und seiner literarischen Welt begegnet. Bei Gerhard Roth sei es die Begegnung mit einer Welt, die Schrift, Zeichen und Rätsel ist, einer „Denk-Schrift-Wahrnehmungs-Welt“. Diese Welt könne man lesen.

Und sie wirft Fragen auf: Was ist das Ich, wenn nicht Sprache? Was ist die Welt, wenn nicht Sprache? Wer schreibt? Solche Fragen stellen und diskutieren die Texte von Gerhard Roth, etwa Grundriss eines Rätsels, aber nicht als semiologische oder linguistische, sondern als existentielle Fragen. In der rätselhaften Welt von Roth geht es um das Zusammenführen von getrennten Sphären: Innen und Außen, Gegenwart und Vergangenheit, Geschichte und Politik, Traum und Realität, Wahn und Welt – um Schnittstellen.

Sich selbst – als Mensch und als Autor – nimmt Gerhard Roth aus seiner rätselhaften, wahnhaften Welt nicht heraus. Jörg Magenau bezeichnete das als die „Verdopplung des Lebens“ oder die „literarische Bevölkerung der Welt“. So fragte er, „Kann man in sein eigenes Gehirn blicken?“, und antwortete, „Gerhard Roth kann das.“ Damit verwies er auf eine Sequenz aus dem Romanzyklus Orkus, bei dem der Autor mit diagnostischem, chirurgischem Blick sich selbst in den Kopf zu blicken scheint. Es ist ein Ausdruck des Wunsches, selbst zur literarischen Figur zu werden, zwischen den Wirklichkeiten nicht mehr zu trennen.

Laudatio des Berliner Literaturkritikers Jörg Magenau © Literaturportal Bayern

Die Laudatio schloss Magenau mit den Worten: „Das Wunderbare ist das Rätsel der Welt.“ Und Gerhard Roth als „Zeichenleser“ sei ein „Entdecker des Wunderbaren“.

Zuletzt kam auch der Preisträger selbst zu Wort. In seiner Dankesrede bezog sich Gerhard Roth vor allem auf den Namensgeber des Preises und sprach von Jean Paul als „Wortzauberer“ und „verwandtem Geist“. Er berichtete von seiner Begegnung mit dem Autor, von „erhellenden und erschreckenden Eindrücken“ gleichermaßen, als er als 17-Jähriger, der krank zuhause lag und Radio hörte, durch Jean Paul das Universum kennenlernte (Traum über das All aus dem Roman Der Komet).

Wie eine „Erleuchtung“ seien Jean Pauls Worte gewesen, wie eine Kombination aus Metaphysik und Science Fiction. Als ungeübter Leser habe er sich zwar anfangs schwer mit dessen Texten getan, aber je länger er sich damit auseinandersetzte, umso mehr sei die Handlung zur Nebensache geworden und er konnte sich ganz und gar den „magischen Sprachbildern“ hingeben. Ein Buch und ein Berg seien sich hier nicht unähnlich, ein Herausforderung zwar, aber eine, die einen lohnenden Weitblick verschaffe. Gleiches ließe sich  auch auf das monolithische Werk von Gerhard Roth übertragen.

Gerhard Roth bei seiner Dankesrede © Literaturportal Bayern