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03.12.2025, 13:13 Uhr
Andrea Heuser
Rezensionen

Rezension zu Ofelia Huamanchumo de la Cubas Erzählband „Nachtschichten“

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© Maro Verlag

Nachtschichten heißen die im Maro Verlag (Augsburg 2025) erschienenen Erzählungen von Ofelia Huamanchumo de la Cuba. Dieses Prosadebut der in Peru geborenen und seit über zwanzig Jahren in München lebenden Lyrikerin und Hispanistin wurde als eines von insgesamt zehn Büchern mit dem Preis für „Bayerns beste Independent Bücher 2025“ ausgezeichnet. Andrea Heuser war für das Literaturportal Bayern bei der feierlichen Preisverleihung vor Ort und hat „Nachschichten“ noch in derselben Nacht zu lesen begonnen.  

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Verlockender Titel

Nachtschichten. Was für ein vielversprechender, doppelsinniger Titel! Insbesondere für all diejenigen unter den Leserinnen und Lesern, die die Nacht und ihre kreativen, vitalen Möglichkeitsräume lieben. Meine Vermutung vor der Lektüre: es wird in den Erzählungen auf thematischer Ebene von Menschen die Rede sein, die in Nachtschichten arbeiten. Zum anderen aber deutet der Titel auf die, im wahrsten Sinne des Wortes, Vielschichtigkeit der Nacht selbst hin. Die Nacht wird die eigentliche Heldin des Erzählbandes sein, und zwar in all ihren Facetten. Und nach der Nachtschichten-Lektüre des Buches kann ich sagen: Beides wird tatsächlich eingelöst (Thema und Poetologie).

Verlockendes Cover

Ich bin eigentlich keine Leserin, die dem Cover eine übergroße Bedeutung beimisst. Dafür bin ich zu wortfixiert. Deswegen ist die beachtenswerte Ausnahme von der eigenen Regel schon eine nähere Kommentierung wert: in Falle von Nachtschichten lockte mich neben dem vielversprechenden Titel nämlich vor allen Dingen das fantastische Cover, das die in Brasilien geborene und in Berlin lebende Illustratorin Larissa Martins Gerich entworfen hat. Sie hat auch die Erzählungen selbst wunderbar subtil illustriert. Nun war ich selbst leider noch nie in Südamerika und somit auch nicht in Peru. Dafür aber in Mexiko; und die üppige Vitalität der Cover-Farben erinnert mich tatsächlich an die Kunstwerke (einer Straßenmalerin) aus Mexiko, die seitdem neben unseren Bücherregalen hängen.

Zurück zum Cover: Von der (Erzähl-)Fläche der Nachtschwärze heben sich die kräftigen Farben durchaus thematisch fein komponiert ab: das Gelb etwa scheint in den Erzählungen Ofelia Huamanchumo de la Cubas wieder auf in der gelben, süßsauren Frucht Lima; die als Namensträgerin der peruanischen Hauptstadt zugleich Sehnsuchtsort und Nahrung fürs Innere ist. Das Rot: Lippenstift, Blut – Frauen, Dates und Gewalt an Frauen assoziiere ich nach dem Lesen hier gleichermaßen.  Das Grün: ich assoziiere entlang der Lektüre weiter: andendschungelgrün; schimmelmüllgrün …

Und dann das Blau: es bündelt meine ganze Aufmerksamkeit in der Erzählung: Nur noch ein bisschen Nachtblau. Eine Farbe, der entsprechend des Titels, durchaus eine bedeutungstragende Funktion zukommt. Die Aktmalerin in der Erzählung versucht sie sich unbeirrt herbei- bzw. in ihr Bild hineinzureden; ein anderer Student möchte sich diese Farbe bei ihr ausleihen, doch sie gibt sie nicht her. Letztlich vergeblich, denn am Ende sperren sie und ihr männliches Aktmodell sich durch eine unglückliche Verkettung der Umstände aus und setzen sich frierend der Nacht aus. Das romantische Nachtblau erhält durch den Schluss der Erzählung eine ironisch-saloppe Färbung: die vor Nachtkälte blauen Glieder nämlich. Kein Wunder, denke ich also im Nachhinein, dass genau dieses Nachtblau auf dem Cover fehlt (ist es stahlblau stattdessen?) – es soll ja erst herbeierzählt werden.       

Verlockende inhaltliche Wendungen

Wie es in Nur ein bisschen Nachtblau bereits anklingt, bestechen die gesamten Erzählungen insbesondere durch ihre stets überraschenden, teilweise surreal, teilweise grotesk, teilweise berührend poetisch anmutenden Wendungen auf Ebene der Handlung. In Ruhe in Frieden, Maria Spiegel etwa wird ein Alter Ego durch den Spiegel lebendig und entwickelt, in Nähe und dann Konkurrenz zur Erzählerin, ein Eigenleben; der nächtliche Notruf-Einsatz bei einer jungen Rentnerin in Tanze Samba mit mir endet für den Sanitäter und die Ärztin gänzlich unerwartet – doch mehr soll hier natürlich nicht verraten oder gar „gespoilert“ werden. 

Besonders eingenommen hat mich auch der Erzählton; der selbstbewusste, zupackende Humor der Autorin, der das verzweifelt-tapfer-komische Alleinsein, den Lebenshunger ihrer Heldinnen und Helden im Daseinsraum der inneren und äußeren Nächte so originell zu Gehör bringt. Diese Lebens- und Sinneslust, das tragische, teils brutale,  teilweise aber auch komische, banale Scheitern ihrer zumeist weiblichen Protagonistinnen, sind die Lichtblicke innerhalb dieser aufgefächerten Schichten der Nacht.

Lockendes Lima

„Vergiss die Zeit, nicht deinen Kompass“, heißt der philosophische Ratschlag des Vaters an seine pubertierende Tochter in der Erzählung Allein.

Ein solcher innerer Kompass etwa ist Lima, die anwesend-abwesende Hauptstadt Perus, die hier im fernen München den Protagonistinnen ins Innere verlegt wird und dort, im Inneren ihrer Psychen, wächst und wuchert (Lima, von innen). Eine Stärke der Autorin ist das anekdotische, fast mündliche, assoziativ-sprunghafte Erzählen, genährt und unterfüttert vom Märchen und Mythenraum Südamerikas, der als Inspirationsquelle für das eigene narrative Erfinden fruchtbar gemacht wird (wunderschön konzentriert umgesetzt in Der kinderlose Nachtplanet).

Sprachlich-stilistisch leider etwas weniger verlockend 

Im Gegensatz zu Erzählton, Handlung und Thema hat mich Nachtschichten sprachlich-stilistisch dann allerdings leider weniger überzeugt. Die unterschiedlichen Erzähler, Männer wie Frauen, klingen zu gleich. „Das Satinbettzeug rutschte auf den Teppich und enthüllte meinen Körper“, ist ein Satz, den zumindest ich dem männlichen Sanitäter nicht so recht abnehme. Ein wenig ungelenk wirkt auch die Wahl der Adjektive; und die Betrachtung etwa der „unschuldigen, süßen“ Dobermannhündin einer sich als gegenüber Haustieren distanziert und gescheitert bezeichnenden Erzählerin wirkt wenig glaubhaft, zumal ausgerechnet an dieser Stelle auch keinerlei Ironie-Signale auszumachen sind.   

Aber es handelt sich ja auch um ein Debut, und das in der Zweitsprache. Darauf angesprochen, warum sie, im Gegensatz zu ihrer Lyrik, ihre Prosatexte auf Deutsch schreibt, antwortet die Autorin am Abend der Verlagspreis-Verleihung, dass sie Herausforderungen liebe.

Hoffen wir also auf viele weitere literarische Herausforderungen und künstlerische Entwicklungen von Ofelia Huamanchumo de la Cuba.

Ofelia Huamanchumo de la Cuba, Nachtschichten. Erzählungen. Illustriert von Larissa Martins Gerich, Maro Verlag, Augsburg 2025, 116 S., ISBN: 978-3-87512-679-2

 

 

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