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Heinz Piontek. Der Schriftsteller in München

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Heinz Piontek, 1987 © Isolde Ohlbaum/Bayerische Staatsbibliothek

Am 15. November 2025 wäre der Schriftsteller und Büchnerpreisträger Heinz Piontek 100 Jahre alt geworden. Im Literaturportal Bayern veröffentlichen wir aus diesem Anlass einen Aufsatz von Martin Hollender. Der Aufsatz erschien in der 155. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern mit dem Schwerpunkt mündlich.

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Eingedenk des zeitlosen Goethewortes von den Dichtern, in deren Lande man gehen müsse, wolle man sie verstehen, erfreuen sich biografische Skizzen über die Lebensorte bedeutender Kulturschaffender seit jeher ungebrochener Anteilnahme beim Lesepublikum, worauf die Buchverlage gerne mit häufig bibliophil aufbereiteten Schriftenreihen reagieren; beispielhaft seien aus der Reihe Menschen und Orte bzw. Wegmarken des Verlags Edition A·B·Fischer mit Bayern-Bezug die Titel Carl Orff in Dießen und Das Bamberg des E.T.A. Hoffmann genannt.

Nun sind die den Dichter und die Dichterin prägenden und begleitenden Lebensorte im Falle der Heimatvertriebenen mitunter gar nicht unbedingt die Geburtsorte bzw. die Stätten der Kindheit und Jugend in Ostmitteleuropa, sondern die Gegenden der neuen, der zweiten Heimat der Nachkriegszeit. Dichters Lande des 1925 im oberschlesischen Kreuzburg (heute: Kluczbork) geborenen Schriftstellers Heinz Piontek sind somit weniger die Gefilde der ersten zwei Lebensjahrzehnte, sondern die bayerischen Lokalitäten als vertreibungsbedingt neue Lebensorte: von 1947 bis 1955 zunächst Lauingen, dann von 1955 bis 1961 Dillingen, beide gelegen im Landkreis Dillingen an der Donau.

Da jene Jahre Pionteks durch die Publikation von Anton Hirner und Klaus Hille in Heinz Piontek. Leben und Werk. Lauingen und Dillingen 1947-1961 (Dillingen 2009, besprochen in Nr. 100 der Literatur in Bayern, S. 65), wie auch durch manchen Aufsatz im Jahrbuch des Historischen Vereins Dillingen a. d. Donau hinlänglich gut aufgearbeitet sind, verblieben als topografisch-biografisches Desiderat nicht mehr und nicht weniger als jene gut vier Jahrzehnte, die Heinz Piontek seit 1961 in München verlebte.

Ihnen hat sich Anton Hirner, der rührige und kundige Sachwalter des Andenkens an Piontek, nun erstmals einführend angenommen. Hirner, Nachlassverwalter des geistigen Erbes von Heinz Piontek und Inhaber der Urheberrechte, betreibt in Lauingen ein (analoges) Piontek-Museum samt Archiv sowie im Netz ein gut sortiertes Portal zu Piontek wie auch zu seinen Piontek-Aktivitäten (www.heinz-piontek.de). Mit Enthusiasmus, Sachverstand und gewiss auch großen finanziellen Investitionen reichert Hirner seine Archivalien fortwährend an (»Bislang unbekannte Briefe, die die Dichter Walter Helmut Fritz (ca. 80 Briefe, 15 Karten, viele handschriftlich, 1957-1975) und Rainer Malkowski (55 Briefe und 5 Karten, 1977-2000) an Heinz Piontek geschrieben haben, bereichern nun das Piontek-Archiv«) und wirbt – mit vermutlich noch ausbaufähigem Erfolg – unverdrossen für eine verstärkte Hinwendung zu Piontek.

Sein Bändchen Heinz Piontek – der Schriftsteller in München lässt zunächst die Vorgeschichte der »Münchner Jahre« Pionteks seit dem Beginn seiner Kriegsgefangenschaft in Kötzting in der Oberpfalz Revue passieren, schildert dann die Wohnungen der Eheleute Piontek – Winzererstraße 49 in Schwabing-West und Dülferstraße 97 in Feldmoching – und widmet sich alsdann den Freunden Pionteks jener Jahre und Jahrzehnte: Hans Egon Holthusen, Richard Exner, Walter Helmut Fritz, Karl Krolow, Eberhard Horst, Horst Fuhrmann, Rainer Malkowski und Ludwig Steinherr. Hirner reißt die Mitgliedschaft Pionteks in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste ebenso an wie die von Piontek in den Achtzigerjahren herausgegebene Münchner Edition seines damaligen Verlags Schneekluth. Behandelt werden die drei in München angesiedelten Romane Die mittleren Jahre (1967), Dichterleben (1976) und Juttas Neffe (1979), Heinz Piontek als Gegenstand universitärer Forschung und Lehre in Münchner germanistischen Seminaren, aber auch die zwischen 1968 und 1981 alljährliche sommerliche Flucht aus München in sein Refugium in Riederau am Ammersee, wurde doch, hervorgerufen ursprünglich durch den Münchner Verkehrs- und Baulärm, die Winzererstraße zur Hauptzufahrtstraße der Baufahrzeuge zum Olympiagelände.

Erfreulicherweise nennt Hirner ›Roß und Reiter‹ und macht, um die finanziellen Verhältnisse Pionteks zu beleuchten, aus mancherlei Zahlen kein Geheimnis. Wir erfahren, wieviel die Bayerische Staatsbibliothek für den Vorlass Heinz Pionteks zu zahlen bereit war; und wissen nun auch um die Höhe des monatlichen Bayerischen Ehrensolds als freiwilliger Zahlung des Freistaats Bayern (S. 63). Mancher Aspekt blieb – dem Willen zur Kürze der Darstellung geschuldet – vorerst kaum beachtet, so beispielsweise die aktive Teilnahme Pionteks am kulturellen Leben Münchens: In welchen Münchner Vereinigungen und Vereinen bewegte sich Piontek als Mitglied; vor welchem Publikum, in welchen Räumen und mit welcher Resonanz las er aus seinen Werken? Welche Münchner Lokalzeitung bevorzugte er, wie wurde Piontek in den Münchner lokalen und überregionalen Tageszeitungen wahrgenommen und rezipiert – und welche waren die von ihm favorisierten Buchhandlungen, vielleicht auch Büchereien und Bibliotheken? Und nicht zuletzt die Darstellung Münchens im lyrischen und erzählerischen Werk Pionteks besitzt, worauf auch Hirner zurecht verweist, noch einiges Interpretationspotential.

Vom 1951 publizierten Gedicht Oktober in München mit seinen Zeilen »Wie hinterm Sendlinger Tor / die bittren Schritte erlahmen: / Jäh und grell zuckt ein Herz / in den Lichtreklamen.« über das Gedicht Fasching in Schwabing, zuerst publiziert 1959 in der Kulturzeitschrift Merkur – »Es klimpert in den tiefgeschwärzten Kellern / unbändig süß auf Drähten, Glas und Haar« bis hin zur erzählenden Miniatur einer Münchnerin mit ihrem Erstdruck in Westermanns Monatsheften 1969 und der zwei Jahre darauf für den München-Merian entstandenen Skizze Betrachtungen im Englischen Garten (»Leicht blaustichig wirkt bei Tagesanbruch das Licht, wenn die Sonne aus dem Duft hochkommt. Schatten liegen blaß, übernächtigt im Gras. (…) Für Rumfords Schlößchen greife ich mir das Wort theatinergelb aus der prickelnden Luft. Nicht weit davon, auf dem Monopteroshügel, verläßt eine Hippiefamilie ihre Schlafsäcke.«) spannt sich ein weiter thematischer Bogen, der München als literarisches Sujet in den Blick Pionteks nimmt.

Heinz Piontek und München: Der Boden ist nun bereitet, die Themen sind bekannt. Anton Hirners kleine Studie ist ein sehr schmackhafter Appetizer, der hoffentlich anregend wirkt und seiner Intention zu Erfolg verhilft: im Jahr 2025, dem Jahr des 100. Geburtstags Pionteks, die Grundlagen für eine ausgreifendere Befassung mit Leben und Werk geschaffen zu haben.

Anton Hirner: Heinz Piontek – der Schriftsteller in München. Allitera Verlag, München 2023, 80 S., € 18,–