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16.10.2025, 12:41 Uhr
Thomas Kraft
Text & Debatte

Krafts Schattenkanon. Eine Ergänzung. Teil 36: Friederike Manner, Die dunklen Jahre (1948)

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300 Jahre Literaturgeschichte hat sich der Münchner Schriftsteller und Publizist Thomas Kraft vorgenommen, um für das Literaturportal Bayern einige Schätze zu heben. Rund 40 unentdeckte Romane und Erzählungen deutschsprachiger Autorinnen und Autoren –  darunter bekannte wie weniger bekannte – finden in dieser kurzweiligen Reihe (neu) ans Licht.

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Weniger als 72 Stunden nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 haben die Nationalsozialisten die vollständige Kontrolle über das Land erlangt und dessen Verwaltung komplett übernommen. Für Friederike Manner, 1904 in Wien geboren, Verlagslektorin und freie Journalistin, ändert sich daraufhin ihr gesamtes Leben. Mit einem jüdischen Arzt verheiratet, den sie gerade verlassen will, entschließt sie sich, ihre Pläne aus moralischen Erwägungen und in der Hoffnung auf den Schutz ihrer Familie als „Arierin“ vor der drohenden Verfolgung zu revidieren. Ein Leben auf der Flucht beginnt.

1938 emigriert sie mit ihrer Familie über die Schweiz nach Jugoslawien, das 1941 von deutschen Truppen besetzt wird. Kurz darauf wird ihr Mann, gemeinsam mit hunderten anderen jüdischen Geiseln, von Angehörigen des Sicherheitsdienstes im Konzentrationslager Šabac erschossen. Fortan arbeitet Friederike Manner als Schreibkraft in der unter deutscher Besatzung stehenden Stadtverwaltung Belgrads, bis sich die Niederlage der Wehrmacht auf dem Balkan abzeichnet. Da sie Vergeltungsaktionen der Partisanen gegen deutschsprachige Zivilisten fürchtet, kehrt die Familie 1944 nach Wien zurück. Manner weigert sich, in einem Rüstungsbetrieb zu arbeiten, und flieht mit ihrer Familie aufs Land. Nach der Befreiung durch die Alliierten geht sie mit ihren Kindern nach Wien zurück: „Von den Toten auferstanden, sind wir unerwünscht und unheimlich, auch hier die Fremdlinge, die eine Axt im Herzen tragen.“

„Früher dachte ich nicht viel an Politik“, lässt Friederike Manner ihr literarisches Alter Ego, die junge Klara, im Roman Die dunklen Jahre sagen. „Erst der 12. Februar hat mich aufgeweckt. Damals hätten wir kämpfen sollen ...“ Solche Sätze gehören zu den markanten stilistischen Merkmalen des Romans, den Manner 1948 unter dem Pseudonym Martha Florian, benannt nach dem Mädchennamen ihrer Mutter, veröffentlicht. In sieben Kapiteln und mit engem Bezug auf autobiografische Erlebnisse schildert die gebürtige Wienerin die „verzweifelte Einsamkeit des Exils“, das für sie als überzeugte Sozialistin bereits mit dem Bürgerkrieg begonnen hat: „Die Leiche Österreichs stank schon, eh sie starb.“

Wie die Autorin selbst erlebt auch Klara, Mutter von zwei Kindern und zunächst noch mit einem jüdischen Arzt verheiratet, die Jahre von 1934 bis 1945 in der Schweiz und danach in Serbien. Im von den Deutschen besetzten Belgrad ist sie längst Alleinerzieherin, findet Arbeit und ein paar Freunde, doch „zu komplizierten Gefühlen hat sie wenig Zeit, wenig Kraft und gar keine Lust.“ In diese Erzählung eingewoben sind Gedichte, Tagebuchauszüge sowie längere Briefe, in denen es etwa heißt: „Manches schreibt sich leichter, als es sich sagt. Papier errötet nicht.“ Klara, ebenso wie die Autorin, kehrt 1945 nach Wien zurück, doch das Wiedersehen ist keineswegs versöhnlich. Im Gegenteil: „Ich bin so von Herzen allein – ich bin so böse auf die Menschen, auf Gott, aber auch auf mich selbst“, heißt es im Roman. „Es muss doch am Wiener Boden liegen. Oder geht es mir zu gut? Wie kommt es, dass ich, die ich die quälende Schwermut für alle Zeiten überwunden glaubte, nun wieder an Depressionen leide?“

Für die Autorin, die nach dem Krieg ihre Tätigkeit als Journalistin in Wien wiederaufnimmt, endet diese Selbstbefragung tragisch. 1956 nimmt sie sich das Leben: „Warum war da niemals etwas gewesen, wofür ich kämpfen wollte? Jetzt, ja, jetzt war ich zum Kampf tausendmal bereit, aber nur zum Kampf gegen etwas – auch heute noch wusste ich nicht, wofür zu kämpfen es sich gelohnt hätte. Vaterland, Glaube, das waren nur leere Worte für mich; Sozialismus war etwas Grundlegendes, aber nichts Endgültiges ...“

„Manner schreibt nüchtern und schwärmerisch zugleich“, so der Schriftsteller Erich Hackl. „Und sie tut es auf eine Weise, die uns glauben lässt, in ihr eine Gefährtin gefunden zu haben, eine Zeitgenossin, die für das, was ihr zugestoßen ist, mit den Erfahrungen der Jahre, Jahrzehnte danach eine gültige Form gefunden hat. So hellsichtig erscheinen einem ihre Beobachtungen und Überlegungen, so gegenwärtig.“

Der Roman kann als ein Dokument seiner Zeit gelesen werden, insbesondere als Beitrag zum Exil, das keine Sicherheit bot, sondern lediglich eine Zwischenstation war, ein Ort fortwährender Verfolgung. Manner beschreibt präzise ihre Exil-Orte Zürich und Belgrad, schildert ihre Erfahrungen mit serbischen Arbeitskollegen und deutschen Soldaten, aber auch mit den Deportationen und Pogromen in Donauschwaben. Ihre Erzählungen sind hoffnungslos und verzweifelt, mitfühlend und desillusioniert, da sich der Widerstand der linken Kräfte nicht formiert und sie ahnt, „was in den kommenden Jahren geschehen wird“ – und dass sie nichts dagegen tun kann. Ihre Entscheidung, „gleichsam mit Scheuklappen vor den Augen“ zu leben, „nur auf das eine Ziel gerichtet: die Kinder durchzubringen. Alles andere ist nur noch am Rande meines Lebens, wird wahrscheinlich nie mehr wirklich werden.“

Friederike Manner: Die dunklen Jahre. Roman. Hrsg. von Evelyne Polt-Heinzl. Edition Atelier, Wien 2019.

Lesen Sie nächste Woche über den Roman der österreichischen Autorin Elisabeth Freundlich, der auf den antifaschistischen Widerstand in Europa zurückblickt.