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Der Tukan-Preis 2025 geht an Pierre Jarawan

Der diesjährige Tukan-Preis wird an Pierre Jarawan für seinen Roman Frau im Mond (Berlin Verlag) vergeben. Über die Vergabe beschloss der Kulturausschuss des Stadtrats auf Empfehlung einer Jury am 9. Oktober. Der mit 8.000 Euro dotierte Tukan-Preis zeichnet jährlich eine sprachlich, formal und inhaltlich herausragende literarische Neuerscheinung aus. In die Auswahl kommen alle belletristischen Veröffentlichungen von Münchner Autorinnen und Autoren. Zur Diskussion standen in diesem Jahr insgesamt 67 Bücher. Die Preisverleihung findet am 2. Dezember 2025 im Literaturhaus München statt.  

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In Pierre Jarawans Roman Frau im Mond gibt es einen Schlüsselmoment, dem das Buch auch seinen Titel verdankt.  Maroun el Shami, zehn Jahre alt, Immigrant aus dem Libanon, die Mutter vor Kurzem gestorben, sitzt 1931 in einem Kinosaal in Montreal. Die Hände zu Fäusten geballt, starrt der Junge wie hypnotisiert auf die Leinwand. Dort läuft Fritz Langs letzter Stummfilm Frau im Mond, ein frühes Science-Fiction-Epos, das an Raketen-Technik vieles vorwegnahm, was später im Apollo-Programm der NASA Realität werden sollte. Und auch der kleine Maroun kommt zu der Erkenntnis, dass jede noch so abwegige Idee Tatsache werden kann, wenn man nur beharrlich an sie glaubt. 35 Jahre später wird er eine Rakete ins All schießen. Vom Libanon aus.

Die Jurybegründung 

Wie Fritz Lang setzt Pierre Jarawan auf Breitwand, wenn er von jener wahren, aber unglaublichen Geschichte der Lebanese Rocket Society erzählt. Und wie der Stummfilm hat auch sein Buch mit knapp 500 Seiten – nach heutigen Belletristik-Standards – deutlich Überlänge, was für den Autor und sein Lektorat geradezu verteidigungspflichtig gewesen sein dürfte. Da wagt also ein Vertreter der jungen Gegenwartsliteratur die Langstrecke, vertraut ganz nonchalant auf die alte Magie des Erzählens – und darauf, dass ihm die Leser*innen ausreichend Lebenszeit schenken. Was nicht selbstverständlich ist, denn Jarawan scheut weder Umwege noch kühne Ausschweifungen, in denen man sich verlieren könnte. Doch er behält alle Fäden in der Hand, soviel in den 100 Jahren kanadisch-libanesischer Geschichte, die sein Roman umspannt, auch geschieht. Aus dem Jungen Maroun wird ein Raumfahrt-Ingenieur mit Visionen, er heiratet, verliert seine Frau, ebenso Tochter und Schwiegersohn; die Enkelinnen wachsen beim Großvater auf. Eine von ihnen, Lilit, ist die Ich-Erzählerin, die Chronistin dieser raffiniert mäandernden, an Geheimnissen und Magnetfeldern so reichen Familiengeschichte, die immer auch über sich hinausweist.

Frau im Mond ist bildintensiv erzählt, in warmem, leichtem Ton, denn Jarawan liebt seine Figuren. Und doch ist dieses Buch kein kulinarischer Pageturner, durch den man sich mühelos hindurchsuchten könnte. Zu schwer sind die Themen: Menschen, die Flucht und Vertreibung erfahren, zwischen den Kulturen um Identität ringen. Der Genozid an den Armeniern zu Anfang des 20. Jahrhunderts kommt ebenso vor wie die Weltwirtschaftskrise, der Zweite Weltkrieg oder die aktuelle, desaströse Situation im Libanon. Das Buch steuert auf Beiruts ultimative Katastrophe zu, die verheerende Explosion im Hafen 2020. In 50 Kapiteln zählt Pierre Jarawan bis zu diesem Moment herunter, auch das eine Hommage an Fritz Lang, der in seinem Film Frau im Mond einst den Countdown erfand. 

Nach Am Ende bleiben die Zedern (2016) und Ein Lied für die Vermissten (2020) ist Frau im Mond (alle Berlin Verlag) der dritte Roman, den Pierre Jarawan der Heimat seines Vaters widmet. Es ist der Abschluss einer beeindruckenden Libanon-Trilogie. Und nach Ansicht der Tukan-Jury sein literarisch bisher überzeugendstes Buch. 

Der Preisträger 

Pierre Jarawan wurde 1985 in Amman, Jordanien, als Sohn eines libanesischen Vaters und einer deutschen Mutter geboren. Er kam im Alter von drei Jahren nach Deutschland und wuchs in Kirchheim unter Teck auf. Er studierte an der Münchener Hochschule für Fernsehen und Film. Seine Romane Am Ende bleiben die Zedern (2016) und Ein Lied für die Vermissten (2020) wurden mit Preisen bedacht und in zahlreiche Sprachen übersetzt. 

Weitere Empfehlungen 

Zudem spricht die Jury zwei weitere Buchempfehlungen aus:

Slata Roschal: Ich brauche einen Waffenschein / ein neues bitteres Parfüm / ein Haus in dem mich keiner kennt (Wunderhorn Verlag)
Ralf Westhoff: Niemals Nichts (Rowohlt Berlin)

Die Jury 

Der Jury gehörten unter der Leitung von Kulturreferent Marek Wiechers an: Agnes Brunner (C.H. Beck Verlag), Jutta Czeguhn (Süddeutsche Zeitung), Pamela Scholz (Glockenbachbuchhandlung), Dr. Klaus Hübner (Literatur in Bayern, Münchner Feuilleton), Dr. Johannes John (Bayerische Akademie der Wissenschaften), Franz Xaver Karl (Bayerischer Rundfunk) sowie aus dem Stadtrat: Marion Lüttig (Fraktion Die Grünen-Rosa Liste), Thomas Niederbühl (Fraktion Die Grünen-Rosa Liste), Andreas Babor (Fraktion der CSU mit FREIE WÄHLER), Beatrix Burkhardt (Fraktion der CSU mit FREIE WÄHLER), Marian Offman (Fraktion SPD/Volt).

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