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25.06.2025, 08:00 Uhr
Thomas Lang
Spektakula

Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin zum Kaufhaus-Besitzer und Verleger Salman Schocken 2025

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Aus der Ausstellung "Inventuren – Salman Schockens Vermächtnis". © Jüdisches Museum Berlin, Foto: Roman März.

Der Mitbesitzer einer Kaufhauskette und Verleger Salman Schocken gründet 1931 den Schocken-Verlag. In dessen „Bücherei“ erscheinen bis 1938 rund 90 Bücher. Sie richten sich an ein vorwiegend jüdisches deutsches Lesepublikum. Das Jüdische Museum zu Berlin informiert von 20.5.-2.10.25 in einer Ausstellung über diesen Aspekt des früheren literarischen Lebens in Deutschland.

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„The alternative between capitalism and socialism is false” („Die Alternative Kapitalismus-Sozialismus ist keine wirkliche Alternative“) steht auf einem der von der Decke hängenden, silbern glänzenden Banner zu lesen, und auf einem anderen „I placed my life in hard hands“ („Ich legte mein Geschick in harte Hände“). – Beide Sätze sind Zitate, eines stammt von Hanna Arendt, das andere von Else Lasker-Schüler. Die scheinbar in leiser Bewegung befindlichen Texte dominieren visuell den Ausstellungsraum im Jüdischen Museum Berlin (JMB). Der US-amerikanische Schriftsteller Joshua Cohen hat die teilweise mit deutschen Einsprengseln versehenen englischen Texte verfasst. Sie bilden eine assoziative und spielerische Antwort auf jene rund 90 Bücher, die zwischen 1931 und 1938 in der Schocken-Bücherei erschienen sind.

Eine Anzahl der Bände sind in einer langen, gekurvten Vitrine ausgestellt. Einige Alltagsobjekte in Einzel-Glaskästen fallen zunächst mehr ins Auge. Es handelt sich um Stücke aus den Beständen des Jüdischen Museums Berlin, die für den Warenbestand jüdischer Kaufhäuser wie Tietz oder Wertheim stehen. So ähnlich könnten die Kunden von Schocken empfunden haben, wenn sie zwischen Kleidung, technischen Accessoires und Kosmetika zur Buchabteilung passierten und dort die zurückgenommen gestalteten Bände der Schocken-Bücherei entdeckten. Häufig zeigen die Cover keine Illustrationen, sondern fallen durch kräftige Einfarbigkeit auf. Wie bei der wesentlich verspielteren Insel-Bücherei tragen die Oktavbändchen vorn ein Titelschildchen.

Der 1877 in der Region Posen geborene Salman Schocken und sein älterer Bruder Simon gründen ab der Jahrhundertwende und vor allem nach dem Ersten Weltkrieg 19 Kaufhäuser von Breslau bis Stuttgart. Auch Augsburg ist Standort eines Schocken-Kaufhauses. Schocken führt keine Rabattschlachten. „Gleiche, gute Leistungen bei allen Waren, zu jeder Zeit für jeden Käufer“, ist ein Motto, das jeder Kunde in seinen Häusern lesen kann – ein durchaus demokratischer Gedanke. Und so sind auch die Ausgaben seiner Bücherei nicht luxuriös und prächtig, sondern solide und relativ kostengünstig für ein breites Publikum zu erwerben.

Das verlegerische Ziel ist es, den durch einen in Deutschland immer offener zutage tretenden Antisemitismus unter Druck stehenden, häufig assimilierten Juden wieder einen geistigen Halt zu bieten: „Rückbesinnung auf jüdische Werte und Traditionen ist gleich Selbstbehauptung.” (Zitiert nach Wikipedia.) So finden sich von Heinrich Heine über Adalbert Stifter bis Hermann Cohen und Martin Buber sowie dem damals noch zu entdeckenden Franz Kafka belletristische oder philosophische Werke ebenso wie solche, die sich mit jüdischer Identität und Kultur befassen.

Nr. 68 der Reihe soll Die Judenbuche von Annette von Droste-Hülshoff sein, wie Martina Lüdecke mir berichtet, als sie mich dankenswerterweise durch die Ausstellung führt. Zusammen mit der Leiterin der Bibliothek im JMB, Monika Sommerer, hat sie die Ausstellung „Inventuren“ kuratiert. Vermutlich mit Blick auf den ihrer antisemitischen Propaganda entgegenstehenden Gehalt der Novelle verbieten die Nazis Schocken die Publikation. Anstelle des schon gedruckten Bandes erscheint Schneersohns Geschichte von Chajim Grawitzer dem Gefallenen. So wird die Nr. 68 der Bücherei zweimal vergeben.

Brücke in die Gegenwart

Der Vertrieb erfolgt außer in den Warenhäusern auch über den Jüdischen Buchvertrieb Ludwig Freund. 1938 wird Schocken die verlegerische Tätigkeit in Deutschland vom NS-Staat verboten. Er gründet den Verlag zunächst in Palästina und 1945 in den USA neu. Die Marke „Schocken Books“ hält heute die Penguin-Randomhouse-Gruppe. Zeitweise ist Hanna Arendt als Herausgeberin für den US-Verlag tätig. Die ersten Übersetzungen von Franz Kafkas Romanen ins Englische erscheinen hier. So wird Schocken Books zu einem eminent wichtigen Kulturvermittler zwischen Europa und Amerika. Auch in den USA stellt Salman Schocken einen Bildungsbedarf fest. Die amerikanischen Juden seinerzeit beschreibt er der Verlags-Website zufolge als „Menschen mit Autos und elektrischer Kühlung, die in leeren Häusern leben – leer an Büchern und Geist“ (Übersetzung thl). Dem will Salman Schocken mit seiner Library begegnen und seinen Lesern Gelegenheit bieten, sich mit „den Schätzen aus tausenden Jahren jüdischer Kultur“ vertraut zu machen.

Dieses kulturell-gesellschaftliche Engagement zeigt der Unternehmer bereits 1915, als er mit Martin Buber die zionistische Zeitschrift Der Jude gründet (in der Kafka seine Geschichten „Ein Bericht für eine Akademie“ sowie „Schakale und Araber“ publiziert, vergleiche den Essay „Nachdenken über Kafka und den Zionismus“ von Seth Rogoff). 1929 ruft er außerdem das Schocken-Institut zur Erforschung der hebräischen Poesie ins Leben.

Seine Kaufhäuser muss Schocken bereits kurz nach Errichtung der NS-Diktatur weit unter Wert abgeben. Er emigriert Ende 1933 nach Palästina und später in die USA. Schocken kauft die in Tel Aviv ansässige Zeitung Ha'aretz, die bis heute von der Familie gehalten wird. In den USA beginnt Schocken Books, seine Library auf Englisch herauszubringen. Die aus Köln stammende Großmutter des Schriftstellers Joshua Cohen ist nach der Emigration in die USA als Übersetzerin tätig. Vokabellisten in vielen Schocken-Büchern, die sie dem Enkel hinterlässt, zeugen von ihrem Erlernen der englischen Sprache.

Der 1980 geborene US-Autor Joshua Cohen, bekannt durch seine Romane Buch der Zahlen sowie dem mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Buch Die Netanjahus, hat daher eine persönliche Verbindung mit Schocken Books. Vergeblich versucht er mit einem Konsortium an Geldgebern, die dümpelnde Marke aus dem Konzern herauszukaufen und als einen geistigen Ort neu zu beleben. Der Süddeutschen Zeitung gegenüber bedauert der Schriftsteller, dass viele traditionsreiche Verlage als Imprint von Konzernen heute nur noch „Spuren einer vergangenen Ära“ seien, „in der die Verlage von den Persönlichkeiten lebten, die sie gründeten und finanzierten“. Ähnlich Salman Schocken möchte er also einem geistigen Identitätsverlust entgegentreten.

Das Jüdische Museum Berlin ruft mit der Ausstellung „Inventuren“ ein vergessenes Stück deutscher Kulturgeschichte und geistigen Widerstands gegen den Nationalsozialismus wieder ins Gedächtnis. Die Idee einer neuen Schocken Library geht jedoch über eine Wiederbelebung weit hinaus. Denn die freie Meinungsäußerung der jüdischen US-Amerikaner ist seit dem 7. Oktober bedroht. Israelische Bücher und linke jüdische Stimmen, so sagt Cohen dem Berliner Tagesspiegel zufolge, seien dort unterrepräsentiert.

Die Verbindung von Kommerz und Kultur, die Spannung zwischen beidem, ist ein wichtiges Thema in den Texten, die Cohen für die Ausstellung verfasst hat. Sie reagieren auf die ausgestellten Objekte und knüpfen dabei Verbindungen etwa zwischen einem ausgestellten steifen Hemdkragen und einem, so fasse ich es auf, exemplarischen jüdischen „Er“: „The high, stiff collar of his shirt pressed into his neck as if the hand of history were gripping him by the throat and refusing him a voice.“ – („Der hohe, steife Kragen seines Hemdes drückte sich in seinen Nacken, als würde die Hand der Geschichte ihn an der Kehle packen und ihm eine Stimme verweigern.“) Joshua Cohen zielt in der Ausstellung auf die „Wechselwirkungen von Kapital und Kultur, Einkaufen und Museumsbesuch sowie über Fragen der Aneignung und Wiederaneignung.“ Auf diese Fragen hätten die bei Schocken veröffentlichten Autorinnen und Autoren „die Welt vor rund 100 Jahren“ hingewiesen, so der Pressetext zur Ausstellung.

Die Einzelobjekte in voneinander getrennten Glas-Vitrinen wirken dabei etwas verloren. Sie lassen das Gefühl und Ambiente des Warenhauses höchstens rudimentär aufleben. Umso mehr kommen die Texte von Joshua Cohen auf den glitzernden Bannern zur Geltung. Besucher können sie auch als vom Autor selbst gesprochene Audios anhören. Eine Leihbroschüre beinhaltet außerdem die deutschen Fassungen seiner Texte.

Noch bis zum 12.10.25 ist die lohnenswerte Ausstellung im Berliner Jüdischen Museum zu sehen. Der Eintritt ist frei.

„Inventuren. Salman Schockens Vermächtnis“, Jüdisches Museum Berlin, Libeskind-Bau EG, Eric F. Ross Galerie Lindenstraße 9-14, 10969 Berlin