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Rezension zu „Karl Jakob Hirsch. Ein Exilant im Nachkriegsdeutschland“

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Karl Jakob Hirsch, Buchcover © Allitera Verlag

Mit dem Sammelband Karl Jakob Hirsch. Ein Exilant im Nachkriegsdeutschland (Allitera Verlag 2024) erinnert das Herausgeberteam Gabriele von Bassermann-Jordan und Waldemar Fromm an den in Vergessenheit geratenen Künstler und Literaten Karl Jakob Hirsch. Die Autorin Birgit Müller-Wieland hat diese Erinnerungen für das Literaturportal Bayern rekapituliert. 

„Es sind so viele. So viele liegen hier und warten.“

Der Name sagt mir nichts: Karl Jakob Hirsch. 

Bevor ich den Untertitel lese, nimmt mich das Schwarz-Weiß-Foto auf dem Buch gefangen, der ernste, fast trotzige Gesichtsausdruck eines jungen Mannes im Profil. 

Er befindet sich vorm spaltbreit offenen Fenster eines steinernen Hauses, in Seitenansicht, sein Hemdkragen hebt sich blendend weiß ab vom groben Tweed-Sakko, das einen Kontrast bildet zur glatten Haut seines Gesichts.

Im Tageslicht blitzen die Brillengläser, aber der Blick des Jungen scheint in sich gekehrt –, als hätte das verschattete Hausinnere, das sich hinter dem weißen Fensterrahmen auftut, eine Sogkraft, die ihn hineinziehen möchte; denn schon löst sich der schwarze Haarschopf darin auf, verschmilzt mit der Dunkelheit.

Tauchen Vergessene und Verschollene aus der Literatur- und Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts auf – manche zufällig, manche, weil Angehörige, Nachkommende sich dem Verschwinden entgegenstemm(t)en – werde ich an die Aussage einer der Hüterinnen der Frankfurter Exilbibliothek erinnert: „Es sind so viele. So viele liegen hier und warten.“

Um aus dem Schatten der Geschichte und der Archive ans Helle zu treten, bedarf es also einiger günstiger Faktoren – im Fall des 1952 verstorbenen Literaten und bildenden Künstlers Karl Jakob Hirsch waren dies die Tatkraft und das Durchhaltevermögen seiner dritten Frau Ruth Gassner-Hirsch, die dessen künstlerisches Weiterleben ermöglicht(e). Sie hatte seinen Nachlass ab den frühen 60er-Jahren im Archiv der West-Berliner Akademie der Künste aufbewahren lassen und nach etlichem Hin und Her schließlich 1986 nach München geholt, wo es ihr gelang, eine Kooperation mit der Universitätsbibliothek der LMU herzustellen und eine Stiftung zu gründen. 

Zu deren Richtlinien zählt die Förderung des Gesamtwerks durch Publikationen, Ausstellungen und Vorträge. Eines dieser Projekte, nämlich die Ausstellung Karl Jakob Hirsch. Ein Exilant im Nachkriegsdeutschland, welche vom 15. Oktober 2022 bis 20. Januar 2023 in der Universitätsbibliothek zu besichtigen war, liegt nun als gleichnamige Dokumentation in dem von Gabriele von Bassermann-Jordan und Waldemar Fromm herausgegebenen Begleitband vor, der im Allitera Verlag erschienen ist. 

Hirschs Bestseller Kaiserwetter fiel der Bücherverbrennung zum Opfer

Das eingangs beschriebene Bild zeigt den Neunzehnjährigen im Jahr 1911, und vielleicht ist die Aufnahme sogar in München oder Umgebung entstanden, denn in diesem Jahr hatte er sich für einige Monate an der Kunstschule von Wilhelm von Debschitz eingeschrieben. Aus einer jüdischen Arztfamilie in Hannover kommend, wollte er, nachdem die Amputation eines Fingers eine musikalische Karriere als Pianist zunichte gemacht hatte, bildender Künstler werden. Sowohl in München als auch in Worpswede lernte er zeichnen und malen, knüpfte Kontakte, hielt sich 1913 in Paris auf und wechselte ab 1914 zwischen Berlin und Worpswede hin und her. Den Krieg lehnte er ab, musste ihn jedoch ab 1916 mitmachen. Davor heiratete er seine erste Frau, die Ärztin Auguste Lotz. 

Sein weiteres bewegtes Leben wird in den Beiträgen des Bandes, die sich dem Untertitel gemäß vorwiegend der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg widmen, mit erzählt: Es reicht vom Engagement nach der Novemberrevolution 1918/19 im Rat geistiger Arbeiter und im Bund proletarischer Kunst über erste Dichtungen, expressionistische Grafiken bis zur Tätigkeit als Bühnenbildner zuerst an der Volksbühne, von 1922 bis 1925 am Lessing-Theater. 

Zunehmend wurde das Schreiben für ihn wichtiger, er verfasste literarische Texte, journalistische Arbeiten und Kritiken. 1929 wurde seine Ehe geschieden; Karl Jakob Hirsch heiratete daraufhin seine zweite Frau Wera Carus-Frischen, mit der er 1932 den Sohn Ralph bekam. 

Ein Jahr zuvor war es zu Karl Jakob Hirschs größtem Erfolg gekommen: mit dem Roman Kaiserwetter, welcher fehlende Rechtsstaatlichkeit und den quer durch die gesellschaftlichen Schichten anzutreffenden moralischen Niedergang am Beispiel Hannover vor dem ersten Weltkrieg beschrieb, gelang ihm ein Bestseller. 

Auch die Nationalsozialisten lasen das Buch – doppelt gebrandmarkt durch seinen jüdischen Verfasser – als Spiegel der damaligen Gegenwart, und so wurde Kaiserwetter am 10. Mai 1933 wie so viele Werke der deutschsprachigen Literatur verbrannt. 

1934 erfolgte das Berufsverbot, 1936 emigrierte Hirsch in die Schweiz, 1937 in die USA. 

Man kann nur ahnen, was hinter diesen dürren Fakten steckt, welches Maß an Verzweiflung, Aufbegehren, Akzeptanz des Unausweichlichen, welche Abschiede zu verkraften waren. Diesen schwierigen Zeiten hielt auch die zweite Ehe nicht stand; sie wurde 1943 geschieden.  

Die Verzweiflung des Exilrückkehrers

In seinem New Yorker Exil schrieb Karl Jakob Hirsch unter dem Pseudonym Joe Gassner regelmäßig für die deutschsprachige Neue Volkszeitung sowie für den Aufbau

In ersterer Zeitschrift erschienen neben Glossen und Kritiken auch Fortsetzungsromane. Da er aber von diesen Einnahmen nicht leben konnte, arbeitete er ab 1942 als Briefzensor beim Civil Service, was ihm allerdings nur durch die amerikanische Staatsbürgerschaft möglich war, die er ab 1941 erhalten hatte. Mit dem Civil Service kehrte er 1945 – mittlerweile zum Protestantismus konvertiert – nach Deutschland zurück und landete in Pullach bei München; wie allen Mitgliedern von Besatzungsbehörden war ihm hier zunächst jeglicher Kontakt zur deutschen Bevölkerung verboten. Eine seiner Mitarbeiterinnen - die aus Berlin stammende Ruth Niemann – wurde schließlich 1948 seine dritte Ehefrau. 

So sehr sich Karl Jakob Hirsch auch bemühte, an seine früheren literarischen Erfolge anzuknüpfen – weder Verlage noch Rundfunk oder Zeitungen boten ihm aus unterschiedlichen Gründen Möglichkeiten für ein Auskommen in finanzieller und literarisch anerkennender Hinsicht. 

Ab 1948 verschlechterte sich sein gesundheitlicher Zustand, sodass er aufgrund der Not mit seiner Frau überlegte, in die sowjetisch besetzte Zone zu übersiedeln. Nicht nur die materielle Lage führte zu diesem Entschluss: Als politisch wacher Mensch nahm Hirsch auch die Fortsetzung antisemitischer und minderheitenfeindlicher Haltungen in der Bevölkerung wahr und hoffte wie viele „Remigrierte“ auf den Antifaschismus als Staatsräson in Ostdeutschland. Verlockend schien ihm die wertschätzende Stellung von Kunst und Kultur (freilich, und das war damals nicht leicht zu erkennen, unter Aufsicht des Ministeriums der Staatssicherheit). 

Im Gegensatz zu Westdeutschland gab es für Kulturschaffende in der DDR staatliche Unterstützung bzw. Hilfe auch bei der Wohnungssuche, gezielte Eingliederung in den Kulturbetrieb. Voraussetzung hierfür war ab 1950 die Aufnahme in den Schriftstellerverband der DDR; diese erforderte den Nachweis einer gefestigten ideologischen Eignung. Es ist erschütternd zu lesen, wie verzweifelt Karl Jakob Hirsch seine (früheren) Kontakte zu Johannes R. Becher, Hanns Eisler, Arnold Zweig, Rudolf Leonhard, Stephan Hermlin und anderen zu aktivieren versuchte, um in seinen Briefen seine sozialistische Haltung, die Ablehnung von Kapitalismus und somit der Politik der amerikanischen Besatzung hervorzuheben. Die Verbrennung seiner Bücher 1933 stellte er einzig motiviert aufgrund ihrer Inhalte und nicht seiner jüdischen Herkunft wegen dar. Seine Hinwendung zum Protestantismus versuchte er zu verschweigen, das 1945 publizierte Buch Heimkehr zu Gott, welches diese Hinwendung thematisierte, hatte, wie er im Antrag formulierte, „nichts mit irgendeiner kirchlichen Gesinnung zu tun“.

Doch es kam zu keinem Umzug mehr. Im Sommer 1952 starb Karl Jakob Hirsch in München – und wurde zu einem Vergessenen. 

Der Vergessene 

Posthum erschienen zwar etliche seiner Bücher wie Kaiserwetter (DDR 1953, Bundesrepublik 1973), Hochzeitsmarsch in Moll (1986), Quintessenz meines Lebens (1990), Der alte Doktor (1994), Manhattan-Serenade (2001) und Einer muss es ja tun (2003); eine breitere Leser:innenschaft konnten diese jedoch nicht erreichen.

Der 2024 erschienene Sammelband leuchtet nun wesentliche Aspekte des Werkes aus und ermuntert mit seiner Vielfalt an Themen und Fragestellungen zur weiteren Lektüre.

Neben profunden Einführungen und Überblicken (Klaus-Rainer Brintzinger, Gabriele von Bassermann-Jordan, Waldemar Fromm, Theresa Ellinger, Lisa Kellerer) untersuchen weitere Beiträge das Verhältnis des Autors zum Rundfunk (Sebastian Fröhlich), zum Film (Georg Beuerlein), die kulturjournalistischen Arbeiten (Lisa Bögl), die Bedeutung der Musik (Dajana Dukic, Veronika Graf), Frauenbilder (Catharina Lechner) und den zwischen 1941 bis 1952 stattfindenden Briefwechsel zwischen Karl Jakob Hirsch und Thomas Mann (Gabriele von Bassermann-Jordan).

„Ich bin ein Autor, der aus rassischen Gründen aus Deutschland vertrieben wurde, dessen Werke verboten und verbrannt worden sind, der aber nun versucht, seine künstlerische und materielle Existenz wieder aufzubauen. Nach erfolgreichem Anfang ist mir dies ohne jede Begründung vollständig misslungen.“ 

Dies schrieb Karl Jakob Hirsch ein Jahr vor seinem Tod desillusioniert an den Intendanten des Bayerischen Rundfunks. Er bezog sich hierbei auf die Kluft, die sich aufgetan hatte zwischen ihm, der mit seiner journalistischen und literarischen Arbeit die Aufarbeitung des Nationalsozialismus vorantreiben wollte, und der zunehmenden Tendenz der kulturellen und politischen Öffentlichkeit, die Bevölkerung unterhalten zu wollen und die Vergangenheit zu verdrängen. 

Wie Scheinwerfer aus der Vergangenheit richten sich seine Sätze auf unsere Gegenwart: „Es gellen mir die Ohren, wenn die Buchhändler und die Verleger von der 'Überdrüssigkeit' des Publikums erzählen, das nicht mehr vom KZ und von ähnlichen Dingen hören will. [...] Jeder Mensch, jeder Deutsche ist für sein Land verantwortlich“. 

 

Karl Jakob Hirsch. Ein Exilant im Nachkriegsdeutschland. Hg. von Gabriele von Bassermann-Jordan und Waldemar Fromm. Allitera Verlag, München 2024, 300 S., ISBN: 978-3-96233-463-5 

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