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30.04.2025, 11:50 Uhr
Thomas Kraft
Text & Debatte

Krafts Schattenkanon. Eine Ergänzung. Teil 13: Auguste Hauschner, Der Tod des Löwen (1916)

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Auguste Hauschner

300 Jahre Literaturgeschichte hat sich der Münchner Schriftsteller und Publizist Thomas Kraft vorgenommen, um für das Literaturportal Bayern einige Schätze zu heben. Rund 40 unentdeckte Romane und Erzählungen deutschsprachiger Autorinnen und Autoren –  darunter bekannte wie weniger bekannte – finden in dieser kurzweiligen Reihe (neu) ans Licht.

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Auguste Hauschner, geborene Auguste Sobotka (1850–1924), beginnt ihre literarische Tätigkeit erst in der Mitte ihres Lebens. Aufgewachsen in Prag in einer jüdischen Kaufmannsfamilie, zieht sie um 1875 mit ihrem Ehemann, dem Fabrikanten Benno Hauschner, nach Berlin. Nach dessen Tod im Jahr 1890 eröffnet sie einen Salon, der als Treffpunkt für Künstler und Intellektuelle der Berliner Kulturszene dient. Zu ihren Gästen zählen unter anderem ihr Cousin Fritz Mauthner, Gustav Landauer, Max Liebermann und Max Brod. Insgesamt veröffentlicht Hauschner fünfzehn Romane und verfasst zahlreiche Artikel für Zeitschriften wie Simplicissimus und Das Literarische Echo. Ihre Korrespondenz führt sie mit namhaften Persönlichkeiten wie Romain Rolland, Arthur Schnitzler, Ludwig Thoma, Thomas Mann, Stefan Zweig und Martin Buber. Trotz ihres langen Aufenthalts in Berlin bleibt sie ihrer Heimatstadt Prag in ihren literarischen Werken stets verbunden.

In ihrem historischen Roman Der Tod des Löwen lässt Hauschner das magische und mystische Prag zur Zeit des böhmischen Königs Rudolf II. lebendig werden. Die Stadt ist in Aufruhr, und ein blutroter Meteor hängt als böses Omen über ihr. Der König, von Paranoia geplagt und in der Angst um seinen Thron, beauftragt Alchemisten und Astronomen, eine Lösung zu finden. Als diese scheitern, zwingt er den berühmten Rabbi Löw, den Erschaffer des Golems, ihn in die Geheimnisse der Kabbala einzuweihen und ihm Zugang zu der Kammer seiner kranken Tochter zu verschaffen. Doch sein Handeln bringt nicht nur das Mädchen an den Rand des Todes, sondern entfremdet auch die verschiedenen Glaubensgemeinschaften Prags voneinander. Während im jüdischen Viertel die ersten Häuser brennen, beginnt der Königslöwe, das geliebte Tier des Monarchen, im Käfig zu toben.

Hauschner porträtiert den Kaiser als einen zutiefst Verwirrten, der durch seinen Palast irrt und sich nachts inkognito in die Stadt begibt, auf der Suche nach Erlösung. Die Furcht des Kaisers wird zunehmend unerträglich: Neben dem unheilvollen Kometen quält ihn auch das Siechtum seines Lieblingstieres. Denn der Glaube besagt, dass der Tod des Löwen auch das Ende des Herrschers herbeiführt. Die Autorin lässt den Kaiser in einem Moment unruhigen Schlafs von einem lauten, verwirrenden Lärm aufschrecken, der ihn in den Wahnsinn zu treiben scheint: „Der Kaiser fuhr mit einem Schrei aus unruhigem Schlummer auf. Noch hielt er den wilden Lärm, dessen Nachhall ihm in den Ohren dröhnte, für die Täuschung eines Traums, da wiederholte sich das Kampfgetöse. Ein Schuss … noch einer …“

Der Roman ist eine Meisterarbeit der Mystik und der schwarzen Romantik, die ein düsteres und bedrohliches Prag schildert – wie in Gustav Meyrinks Der Golem. Der Hradschin, die Altstädter Rathausuhr, die verqualmten Alchemistenlabore und das finstere Judenviertel bilden die Kulissen für das Unheimliche, das Hauschner geschickt einsetzt, um ein bevorstehendes Unheil zu prophezeien.

Die Autorin verweist auf die tief verwurzelten Mythen Prags und spinnt diese in die Handlung ein: Tycho Brahe, Rabbi Löw und der Golem erscheinen auf der Bildfläche. Der Kaiser, von der Panik über die drohende Machtlosigkeit ergriffen, wendet sich an die Astronomen Tycho Brahe und Renus Cysatus, in der Hoffnung, eine Deutung des Kometen zu erhalten. Doch sie zögern, da sie die düstere Zukunft voraussehen. In einer der eindrucksvollsten Szenen warnt ein mutiger Obrist den Kaiser, die Schicksalsbotschaft des Himmels nicht zu missachten, und fordert ihn auf, rechtzeitig gegen Krieg und Pest zu handeln. Doch der Kaiser, von Zorn erfüllt, begegnet der Warnung mit Ablehnung und schlägt den Ratgeber nieder.

Der Höhepunkt des Romans führt den Kaiser in das Judenviertel, wo er von Rabbi Löw in die Kabbala eingeweiht werden möchte, um Zugang zu magischen Kräften zu erlangen. Der Kaiser verspricht, die jüdische Bevölkerung von allen Repressionen zu befreien, doch der Rabbi ist in einem moralischen Konflikt gefangen: „Und nun stand er neben ihm, der Feind, der Gegner. Und dem Rabbi war es, als wären seine Hände eine Waage: Hier Wohl und Weg des Judenstamms, dort sein Verderben.“ Am Ende des Romans brennt das Ghetto, und der Groll der Götter richtet sich gegen den Kaiser. Das Szenario erinnert an das brennende Rom und die Legende von Nero. Wie diesem wird auch Rudolf II. später Wahnsinn attestiert.

Die dicht gewebte Handlung entfaltet sich in nur drei Tagen im Januar 1612, den letzten Tagen im Leben von Rudolf II., dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Die Schauplätze, insbesondere die Königsburg auf dem Hradschin und das Judenviertel, werden mit eindrucksvollen, atmosphärischen Beschreibungen zum Leben erweckt. Hauschners Sprache ist kraftvoll und bildreich, angereichert mit expressiven und teilweise expressionistischen Elementen.

Der Tod des Löwen bildet eine Ausnahme in Hauschners Gesamtwerk, da es der einzige historische Roman ist, den sie verfasst. Die Novelle wird 1916 erstmals veröffentlicht und von Hugo Steiner-Prag illustriert, einem Künstler, der bereits mit seinen Bildern zu Andersens Märchen und zu E.T.A. Hoffmanns Erzählungen sowie dem 1915 erschienenen Golem Meyrinks Bekanntheit erlangt hatte. Steiner-Prag, mit seinem Hang zu dunkel-mystischen Darstellungen, ist somit der ideale Illustrator für dieses Werk.

Auguste Hauschner: Der Tod des Löwen. Mit elf Radierungen von Hugo Steiner-Prag. Homunculus Verlag, Erlangen 2019

Lesen Sie nächste Woche, wie der Roman Taifun den Kunstbetrieb der 1920er-Jahre geißelt und dabei starke Parallelen zum heutigen Kunstbetrieb aufweist.