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04.11.2013, 09:12 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [271]: Neuerliches Bamberger Extempore Nr. 4

Da ist ja wieder der König – sein König, der gute König Max, sein physiognomischer Doppeltgänger. Huldigend, natürlich, mit einer Wappeneule in den Frankenfarben auf der klugen Stirn. Er wusste, denn er hatte es einmal geschrieben, dass die Eule die Begleiterin der Weisheit (Minerva) und wirklich die Heroldin des Todes (nach der gemeinen Meinung) ist.[1] Ihn schaudert nicht, die Weisheit liegt ihm nahe, der Tod näher, aber was wird der gute König sagen? Unsinn! Der gute König ist längst tot! Aber Marcus lebt – Dr. Marcus, er muss ihn treffen. Ihn und seine charmante Frau: Maria Juliana Marcus.

Maria Juliana... ein herrlicher Name. „Juliana“, noch eine „Juliana“, das war kein Zufall, die Marcs oder Marks und Markus waren eng miteinander verwandt, die ganze Stadt (schien ihm) eine einzige Markserei. Julia war nicht nur die Nichte, auch die Großnichte des Dr. Markus gewesen – benannt nach der Frau des Doktors, einer Forstmeisterstochter. Auch Drotta ist eine Forstmeisterstocher – die reizende Drotta, die ihrem Quintus eine hübsche Tracht Prügel androht, wenn der nicht so will wie sie.

Damals waren sie, allerdings ohne die Frau Markus, auch ohne Hoffmanns Frau, die er immer nur „die Frau“ nannte, zusammen bei Kunz gewesen. Hoffmann hatte ihn mitgebracht, diesen interessanten Doktor, mit dem man sich so großartig über medizinische Fragen unterhalten konnte. Marcus, fast ebenso geübt auf dem Felde sarkastischen Spottes wie er, blieb mir keinen Ausfall auf medizinische Kunst und ihre Jünger übrig, hatte Kunz geschrieben. Der Mann war etwas, das wusste er sogar in Bayreuth. Zur Schule gegangen in Korbach und Kassel (auch da, denkt er, sollte ich demnächst einmal wieder hin), dann zum fränkischen Krankenhausdirektor reüssiert, wobei nach seinen Plänen das Allgemeine Krankenhaus in Bamberg errichtet wurde, dessen Vorbild noch für spätere deutsche Krankenhausbauten das Modell bildete. Seit Marcus gibt es auch die bayerische Pockenschutzimpfung. Verfasser vieler medizinischer Schriften, Vorsitzender der Aktiengesellschaft des Theaters, an dem Herr Hoffmann diente, den Kunstverein hatte er auch mitbegründet, außerdem war er einmal Leibarzt des Fürstbischofs gewesen. Den „Musikdirektor“ Hoffmann hat er in die guten Familien eingeführt, den Dichter beflügelt, indem er ihn dazu inspirierte, sich ausgiebig mit der modernsten medizinischen Fachliteratur zu befassen. Schließlich war Bamberg, dank ihm, dem Doktor, ein Zentrum der modernen Gesundheitspflege und -wissenschaft – nicht nur der Ort einer (anerkannten!) Kreisirrenanstalt zu St. Getreu. Mit dem Dr. Langermann in Bayreuth, der aus der Irrenanstalt im Prinzessinenhaus eine psychische Heilanstalt für Geisteskranke gemacht hatte, konnte man sich verständigen. Jean Paul schätzte ihn, auch er kannte sich ja – später, vor seinem irdischen Ableben, eher notgedrungen, wie er zugeben musste – in der medizinischen Literatur sehr gut aus: bei Puchelt[1], der mich über meine Übel, die ich zu wenig in den Venen und zu viel in den Nerven gesucht, sehr aufgekläret hat, bei Tissot[2], bei Kreysig[3], bei dem berühmten Monographen der Phtysis[4], seinem Bayreuther Arzt.[5]

Marcus, ein guter Mann, 1816 ist er gestorben, aber er blieb unvergessen. Es stimmt ja: Als Mensch und Beamter erscheint M. in einem sehr günstigen Lichte; er war ein edler Charakter, ein pflichtgetreuer, gewissenhafter Beamter, als welcher er sich große Verdienste um die Regelung des Hebammenwesens, die Verwaltung der Spitäler, um Versorgungsanstalten für unheilbare Kranke und Geisteskranke, um die Einführung der Vaccination etc. erworben hat. Aber was steht denn hier?

M. war ein genialer Kopf und für die Wissenschaft begeistert, aber es fehlte ihm an der besonnenen Kritik; von feuriger Einbildungskraft beherrscht, enthusiasmirte er sich für jede neue Idee, die ihm imponirend entgegentrat, so u. A. auch für den Mesmerismus, er schwankte von einer Theorie zur andern und brachte auf diesen Kreuz- und Querzügen ebenso viele glückliche Gedanken wie große Irrthümer zu Stande.

Was für ein Unsinn! Der Mesmerismus bleibt aktuell! Ich selbst habe oft – und mit größtem Erfolg – magnetisiert! Nicht nur Platen konnte es bezeugen! Denn baut nicht die Seele den Körper? Vermag nicht die entfesselte Psyche, losgelöst von des Körpers Banden, sich ihrer Gottähnlichkeit bewusst, weit über alles Irdische hinaus zu schweben?[6]

Der Doktor zog mich dann doch noch in ein Gespräch. Wie es denn weiter- und ausginge mit Gustav. Er lebt noch – und dann? Er und seine Frau warteten seit vielen Jahren begierig auf die Fortsetzung des Romans. Ich hätte doch jetzt Zeit, sagt er. Wir wollen's gehen lassen, lächelte ich. Er lächelte nicht zurück.

Fotos: Frank Piontek, 26./27.10. 2013

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[1] Teufelspapiere I. Zusammenkunft: IX. Ob nicht die Wissenschaften sowol als das peinliche Recht den besten Gebrauch von den Aerzten machen könnten.

[2] Friedrich August Benjamin Puchelt: Das Venensystem in seinen krankhaften Verhältnissen dargestellt. Leipzig 1818.

[3] Samuel Auguste Tissot: Traité sur le nerfs. Paris 1780.

[4] Friedrich Ludwig Kreysig: Die Krankheiten des Herzens. Berlin 1814-17.

[5] Johann Adam Walther: Über das Wesen der phtisischen Constitution und der Phtisis in ihren verschiedenen Modifikationen, 1819-22.

[6] Der Brief, in dem Jean Paul diese Namen erwähnt, findet sich im Bayreuther Jean-Paul-Museum.

[7] Nach einem Bericht von Dr. Alois Clemens, Frankfurt 1818.