Info
Geb.: 20. 5.1922 in Klingnau
Gest.: 28.1.1992 in Basel
© Felicitas Timpe/Bayerische Staatsbibliothek

Kuno Raeber

Der studierte Historiker Kuno Raeber (1922-1992) ist in seiner literarischen Tätigkeit zeitlebens Dichter, Schriftsteller, Dramatiker sowie Publizist, besonders für den Hörfunk (BR, Süddeutscher Rundfunk, NDR).

Werdegang

Kuno Raeber wird am 20. Mai 1922 im schweizerischen Klingnau (AG) geboren. Sein Familienname ist damals Zehnder, denn sein Vater, der Arzt Dr. Meinrad Zehnder, und seine Mutter Josepha, geborene Räber, sind noch verheiratet. Der Vater verlässt die Familie 1926 und der Schriftsteller verbringt seine Kindheit mit der Mutter und drei Geschwistern im Haus des mütterlichen Großvaters, des katholischen Verlegers Räber in Luzern. Erst nach der Scheidung der Eltern wird der Geburtsname der Mutter zum Familiennamen, er schreibt sich als Erwachsener Raeber.

Ab 1935 besucht Kuno Raeber die Luzerner Kantonsschule. Schon als Schüler möchte er Dichter werden, und nach der Matura beginnt er 1943 zu studieren. An der Universität Basel begeistert er sich für die Lehren seines Studentenseelsorgers Hans Urs von Balthasar und beginnt unter dessen Einfluss im Januar 1945 ein Noviziat bei den Jesuiten in Balzers (Liechtenstein), das schon nach kurzer Zeit abgebrochen wird. Diese Erfahrung führt zu einem abrupten Verlust seiner intensiven kirchlichen Bindung und stürzt ihn in eine tiefe Depression. 1946 verbringt er vier Monate an der Universität Paris und nimmt dann das Studium der Geschichte und Philosophie in Basel wieder auf. 1947 unternimmt er eine erste Reise nach Rom, die wegweisend für seine künftige Poetik wird. Er schließt bei Werner Kaegi sein Studium mit einer Dissertation über die Geschichtsbibel des Reformationstheologen Sebastian Franck ab und wird 1950 zum Dr. phil. promoviert. Im gleichen Jahr heiratet er Mareile Georgi, die Tochter eines Basler Neurologen. 

1951 wechselt das junge Paar nach Rom, und Raeber übernimmt die Leitung der Schweizer Schule in Rom. Von 1952 bis 1955 ist er Assistent für Geschichte am Leibniz-Kolleg der Universität Tübingen. In dieser Zeit entdeckt er die Lyrik der Moderne, liest gleichzeitig römische Dichter und entwickelt im Tagebuch (WA[1] VI, 157–248) Grundsätze seiner Poetik. Von 1955 bis 1957 ist er Protektor am Europa-Kolleg der Universität Hamburg unter Leitung von Bruno Snell. Während Raeber in Rom, Tübingen und Hamburg seinen Lehrberuf praktiziert, beschäftigt er sich ab 1954 mit dem Habilitationsthema „Staatsnation und Sprachnation“, das ihn trotz fehlendem Habilitationsabschluss bis weit in die 80er Jahre beschäftigt (WA V, 301–313) und sogar am 20.9.1979 im BR als Radioessay gesendet wird.

Seit 1958 lebt er als freier Schriftsteller in München, und diese Stadt bleibt sein dauerhafter Wohnsitz. Er arbeitet für Presse und Rundfunk, schließt eine lebenslange Freundschaft mit Ingeborg Bachmann (WA V, 69–92) und entdeckt das Werk von Jorge Luis Borges (WA V, 100–109). Da ihm inzwischen seine Homosexualität bewusst geworden ist, gerät sein privates Leben in Schwierigkeiten, 1959 erfolgt die Scheidung und Trennung von Frau und den zwei Töchtern. 1963 verbringt Raeber sechs Monate in Griechenland. Der Autor wird als "Poet in Residence" an das Oberlin College, Ohio berufen, wo er im Herbst 1967 seine letzte akademische Tätigkeit aufnimmt.

1968 reist er in den Universitätsferien mehrfach nach New York, wo er bei der Tochter seines dichterischen Vorbilds Hofmannsthal wohnt. Seit 1957 betätigt er sich auch als Publizist. Von 1977 bis 1978 lebt er als Stipendiat des Istituto Svizzero in Rom. 1988 unternimmt eine Reise nach Ägypten. Im April 1991 macht Raeber eine Reise nach Istanbul – die Stadt, die für ihn als Byzanz zum Grundbild der Ewigen Stadt gehört – aber danach behindert seine Erkrankung die weitere Arbeit. Am 28. Januar 1992 stirbt Kuno Raeber in einem Pflegeheim für Aidskranke in Basel. 

Wichtige Werke (Auswahl)

Hier finden Sie eine vertiefte chronologische Darstellung seiner Einzelwerke als PDF. 

Kuno Raeber schreibt Radioessays (besonders für BR, SDR und NDR) sowie Buchrezensionen über historische Gestalten, kulturelle und literarische Personen oder Werke und über sein dichterisches Selbstverständnis. Seit den 1940er Jahren erscheinen einzelne Gedichte in Zeitungen und Zeitschriften. Seit 1941 führt Raeber (mit einer Unterbrechung zwischen 1966 und 1977) Tagebuch, in dem er private Probleme und Erlebnisse, aber auch alltagspolitische, historische und poetologische Ereignisse und Überlegungen anspricht (WA VI). Dort erwähnt er in einem Eintrag vom 31.7.1952 erstmals sein Bedürfnis, seine Texte vorwiegend in Kaffeehäusern zu schreiben, wobei dies „seinen Grund wohl auch in meiner Neigung zur Abstraktion, in meinem Glauben, dem Eigentlichen und Allgemeinen nur in der Trennung vom Besonderen und Zufälligen mich nähern zu können, das Kaffeehaus gibt mir das Gefühl des Nichtzuhause, der Ausgesetztheit, das ich offenbar brauche, um etwas hervorzubringen. Im Zimmer, wo mich meine Bücher und Geräte anschauen, da laste ich gleichsam auf mir selber, drücke ich selber meinen inneren Flügel nieder.“ Obwohl er sie konkret kaum erwähnt, sind für einige Orte (jeweils 3 in München und Rom, eines in New York) Kaffeehäuser namentlich gesichert, in denen Raeber seine Texte in Notizbüchern oder handschriftlich auf Manuskriptseiten schreibt. Kurios: In zwei Filmen der Münchner Abendschau von 1977 und 1991 sitzt Raeber in demselben Café mit demselben Personal (Café Venezia).

1945 schreibt er einen kulturleuchtenden Hymnus an den europäischen Einheitsgedanken (Europa – Ein Entwurf [WA VII, 43–52]), den er in drei deutschsprachigen Zeitschriften veröffentlicht. 1950 erscheint sein erster Lyrikband Gesicht im Mittag (WA I, 7–22) mit 14 Gedichten in feierlichem Ton nach Mustern des Ästhetizismus der Jahrhundertwende in einer Auflage von 100 Exemplaren. Bis zu seinem Lebensende behält er seit November 1951 in seinem gesamten Werk die textgenetische Abfolge bei, wonach erste Entwürfe in Notizbüchern festgehalten werden, dann handschriftliche  Fassungen (Manuskripte) auf Einzelblättern im A4 Format mit den Bezeichnungen A, B, C, D etc. erfolgen und schließlich als druckfähiges Endprodukt ein Typoskript erstellt wird. Er publiziert den Lyrikband Die verwandelten Schiffe (WA I, 23–80), der ihm weithin Anerkennung verschafft. Während seines Habilitationsvorhabens ab 1954 profiliert er seine Textarbeit mit neuartigen Gedichten und dem ersten Theaterstück Der Opernabend (WA VII, 77–123), das erst 2010 publiziert wird. 1959 wird bei einer Lesung sein Entwurf eines Erzähltextes bei der Gruppe 47 als Päderastenprosa verrissen, der Roman Die Lügner sind ehrlich (WA II, 7–141) erscheint trotzdem 1960. Außerdem veröffentlicht er im selben Jahr den Lyrikband gedichte (WA I, 81–132), gefolgt von den Reiseskizzen Calabria (WA II, 143–229) ein Jahr später. 1963 kommt der Gedichtband FLUSSUFER (WA I, 133–187) heraus, im Anschluss verfasst er während seiner Zeit in Griechenland Entwürfe zu den Hörspielen Der Brand (WA II, 313–338) und Der Tod des Diokletian (WA VII, 221–250) sowie den Erzähltext Die Düne (WA II, 231–311).

In New York entstehen die endgültige Fassung der 1964 begonnenen Erzählungen Mißverständnisse (WA II, 339–458) und Entwürfe zum Roman Alexius unter der Treppe oder Geständnisse vor einer Katze (WA III, 7–240), der erst 1973 publiziert wird. Während seiner Zeit als Stipendiat des Istituto Svizzero in Rom, arbeitet er an dem 1972 begonnenen Roman Der Anschlag, der vom Attentat auf Michelangelos Pietà-Skulptur im Petersdom ausgelöst wurde. Der Text erscheint nach schwieriger Verlagssuche erst 1981 unter dem Titel Das Ei (WA III, 249–395), im gleichen Jahr wie der Lyrikband »Reduktionen« (WA I, 189–291). Auch das Theaterstück Vor Anker (WA III, 403–483) wird in diesem Jahr abgeschlossen, aber nie aufgeführt, das gleiche gilt für sein von 1983 bis 1984 entstandenes Schauspiel Bocksweg (WA IV, 7–43). In diesen Jahren beschäftigt sich Raeber intensiv mit der Mundart seiner Kindheit, und 1985 erscheint sein letzter Gedichtband Abgewandt Zugewandt (WA I, 293–393) mit Texten in hochdeutsch und Luzerner Alemannisch. 1989 erscheint der 1985 begonnene, hauptsächlich in Rom geschriebene Roman Wirbel im Abfluß unter dem Titel Sacco di Roma (WA IV, 45–314).

Stil / Rezeption

1994 gibt Jörg Trobitius ein von Kuno Raeber seit 1988 bearbeitetes und im letzten Teil in der Notizbuchfassung abgeschlossenes ‚Erzähltriptychon’ Bilder Bilder (WA IV, 315–552) posthum heraus, in dem die über Jahrzehnte entwickelte Poetik des Bildes abgeschlossen wird. Sein in Jahrzehnten geschaffenes Werk hat zu Lebzeiten wenig Anerkennung erfahren, weil zum einen Raebers Ausrichtung auf die "vollkommene Form" konträr zu inhaltlichen Schwerpunkten der Gegenwartsliteratur steht. Zum anderen manifestieren sich seine Aufnahme der Anregungen von Borges, seine Spiele mit dem kulturellen Gedächtnis, dem Karneval oder mit der Literatur als Palimpsest bevor die Literaturtheorie solchen Vorstellungen in postmodernen Zeiten breitere Beachtung verschafft.

Preise & Auszeichnungen

Kuno Raeber erhält für sein literarisches Werk zahlreiche Auszeichnungen: 1969 die Ehrengabe der Bayerischen Akademie der Schönen Künste auf Empfehlung von Horst Bienek (WA VI, 407–412), 1973 den Tukan Preis der Stadt München, 1973 erhält er die Ehrengabe der Stiftung zur Förderung des Schrifttums e.V., 1976 den Werkbeitrag des Eidgenössischen Department des Innern + STIFTUNG PRO ARTE. 1977 ist er Stipendiat des schweizerischen Kulturinstitut in Rom. 1979 wird ihm das Werkjahr von Stadt und Kanton Luzern (Luzerner Literaturpreis) verliehen, 1989 der Werkpreis von Luzern (Luzerner Literaturpreis), 1989 der Preis der schweizerischen Schillerstiftung und 1991 der Luzerner Kunstpreis.

Verfasst von: Bayerische Staatsbibliothek / Dr. Matthias Klein & Dr. Christiane Wyrwa

Sekundärliteratur:

[1] Von 2002 bis 2010 erscheint eine siebenbändige Werkausgabe (= WA), herausgegeben von Christiane Wyrwa und Matthias Klein. 

klein, richard a. (Hg.) (1992): Der Dichter Kuno Raeber. Deutungen und Begegnungen. scaneg, München. 

Detering, Heinrich (Hg.) (2016): Kuno Raeber. Text+Kritik 209, München.

Morgenthaler, Walter; Binder, Thomas (Hg.) (2020): Kuno Raeber „Dieses enorme Gedicht …“. Ausgewählte Gedichte in ihren Fassungen. Chronos Verlag, Zürich.

Morgenthaler, Walter; Fues, Wolfram Malte (Hg.) (2022): Kuno Raebers Romanwerk. Chronos Verlag, Zürich.

Fues, Wolfram Malte; Morgenthaler, Walter (2022): Kuno Raebers Beschwörungen. Schwabe Verlag, Basel.

Morgenthaler, Walter; Binder, Thomas (Hg.) (2024): Kuno Raeber Der Anschlag / Das Ei. Notizbuch und Druckfassung. Chronos Verlag, Zürich.


Externe Links:

Website über den Autor

Informationen zu Kuno Raeber im scaneg Verlag (WORT)

Informationen zu Kuno Raeber im scaneg Verlag (BILD)

Informationen zu Kuno Raeber im scaneg Verlag (LEBEN)

Informationen zu Kuno Raeber im scaneg Verlag (VISION)

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