Info
Geb.: 15. 4.1913 in Rendsburg
Gest.: 21.1.1997 in München
Hans Egon Holthusen (links) im Gespräch, Max Beckmann-Ausstellung, Juni/Juli 1951 (Bayerische Staatsbibliothek München/Timpe)
Titel: Prof. Dr. phil.

Hans Egon Holthusen

Die Inanspruchnahme der untergründigen geistigen und politischen Kräfte der Epoche, die Auseinandersetzung mit der Alternative Christentum oder Nihilismus, die Ablehnung des Totalitarismus in der Nachfolge Jaspers und die Frage nach der Erneuerung des Literatur- und Poetikbegriffs stehen im Mittelpunkt von Hans Egon Holthusens (1913-1997) literarischer Arbeit. Seine Vergangenheit als freiwilliges SS-Mitglied in den Jahren 1933 bis 1937 wird in Deutschland öffentlich diskutiert und von Holthusen drei Jahrzehnte später essayistisch thematisiert. 

Werdegang

Der Sohn eines evangelischen Pfarrers verbringt seine Jugend in Hildesheim. Dort besucht er das Gymnasium Andreanum und studiert zwischen 1931-1937 Germanistik, Philosophie und Geschichte in Tübingen, Berlin und München. Seine Promotion schließt er mit einer Arbeit über Rilkes Sonette an Orpheus ab. Von 1937 bis 1939 arbeitet er als Universitätslektor bzw. Lektor für ausländische Studenten an der Deutschen Akademie in München, nebenbei publiziert er literaturwissenschaftliche Aufsätze und schreibt Lyrik.

Von 1933 bis 1937 ist Holthusen freiwilliges Mitglied der SS. Im Jahr 1937 wird er ebenfalls Mitglied der NSDAP. Ab 1939 ist er als Funker in Polen, Frankreich, Russland eingesetzt; er verliert seinen Bruder Walter im Krieg. Seine Zeit in der Wehrmacht verbringt Holthusen in der Dolmetscherkompanie des Wehrkreises VII, was ihn in Zusammenhang mit der Freiheitsaktion Bayern (FAB) gegen das NS-Regime bringt. Der Kompaniechef Rupprecht Gerngross leitet eine der zentralen Gruppen dieses Aufstandsversuchs im Raum München in der Nacht vom 27. auf den 28. April 1945. Besondere Aktivitäten Holthusens bei dem Aufstand sind nicht belegt. Aber die Zugehörigkeit genügt, um seine behauptete wachsende Gegnerschaft zum Nationalsozialismus zu untermauern. Die Münchner Spruchkammer stuft ihn 1948 als betroffen, aber entlastet an.

Holthusen lebt bis 1961 als freier Schriftsteller in München. Während dieser Zeit unternimmt er zahlreiche Vortragsreisen ins europäische Ausland sowie in die USA. Ab 1959 erhält Holthusen mehrere Gastprofessuren an amerikanischen Universitäten: Northwestern University (1959-1960), University of Pittsburgh (1965), Indiana University (1967). Von 1968 bis 1981 ist er Professor an der Northwestern University in Evanston (Chicago). 1961-64 hat er die Stellung eines Programmdirektors am Goethe-Haus in New York inne.

Für sieben Jahre (1956-63) ist Holthusen als Direktor der Abteilung „Dichtung“ der Akademie der Künste in Berlin tätig, deren Mitglied er bis zum Jahre 1983 ist. Danach tritt er aus, weil sich für ihn die Akademie unter ihrem Präsidenten Günter Grass zum „Instrument der Friedensbewegung“ und der politischen Linken entwickelt hat. 

Obwohl er Amerika eng verbunden bleibt, gerät Holthusen wegen seiner freiwilligen SS-Mitgliedschaft in den Jahren 1933 bis 1937 von dort in die Kritik. Diese führt in den 1960er-Jahren in Deutschland dazu, dass seine politische Vergangenheit öffentlich diskutiert wird: Bei der Vergabe des Fontane-Preises, in dessen Jury auch Holthusen sitzt, lehnt die designierte Preisträgerin Mascha Kaléko die Entgegennahme der Auszeichnung ab. In der Zeitschrift Merkur veröffentlicht Holthusen zudem einen Essay Freiwillig zur SS (1966), auf den der Shoah-Überlebende und Schriftsteller Jean Améry mit einem offenen Brief antwortet. Holthusen behauptet in seinem Entnazifizierungsverfahren, er habe der SS faktisch nur bis zum Juni 1937 angehört, da er sich durch Fernbleiben und Verschleierung des Aufenthaltsortes dem Dienst in der SS entzogen habe. Er sei nie offiziell ausgetreten, weil das als unmöglich gegolten habe. 

Wichtige Werke (Auswahl)

In seinen Werken während des Zweiten Weltkriegs, so zum Beispiel Der Aufbruch. Aufzeichnungen aus dem polnischen Kriege (1940) oder der Leichenrede Worte am Grade des Kradfahrers E. (1940) rechtfertigt Holthusen den Krieg und zeigt Elemente einer Blut-und-Boden-Symbolik auf. Seinem gefallenen Bruder widmet er 1943 einen Sonettzyklus, der trotz kritischer Akzente pathetische Töne voll nationalem Ethos anschlägt. Für Veröffentlichungen nach dem Krieg tilgt Holthusen diese Stellen. 

Seinen ersten Gedichtband Hier in der Zeit veröffentlicht er 1949, zeitgleich erscheint die Studie Die Welt ohne Transzendenz zu Thomas Manns Doktor Faustus. Die Inanspruchnahme der untergründigen geistigen und politischen Kräfte der Epoche, die Auseinandersetzung mit der Alternative Christentum oder Nihilismus, die Ablehnung des Totalitarismus in der Nachfolge Jaspers, die Frage nach der Erneuerung des Literatur- und Poetikbegriffs stehen im Mittelpunkt des geistigen Interesses Hans Egon Holthusens (M. M. Brambilla). Holthusens erste Gedichte beschäftigen sich deshalb mit Kriegserlebnissen (Klage um den Bruder, 1947; Hier in dieser Zeit, 1949) und sind an der Dichtungstheorie Rilkes bzw. T. S. Eliots orientiert. Sein letzter lyrischer Band Labyrinthische Jahre (1952) widmet sich mehr allgemeinen moralisch-sittlichen Lebensfragen. Als Essayist und Kritiker führt er die „Sinnfrage von Kunst und Literatur“ in den Raum (Der unbehauste Mensch, 1951, Opus 19, 1983); gegenüber linksorientierten Autoren wie Brecht, Hans Magnus Enzensberger, Grass und Sartre äußert er sich ideologiefeindlich. Neben der Ästhetik des Expressionismus (Gottfried Benn) wird ihm die sittlich-moralische Funktion von Literatur zum Maßstab.

Die eigenen Übersee-Erfahrungen verarbeitet er in dem umstrittenen Roman Das Schiff (1956), der – in der Tradition von Sebastian Brants Narrenschiff (1494) – das gesamte Zeitalter in Betracht zieht und dessen Figuren zum Spiegelbild der Gesellschaft werden. Darüber hinaus schreibt er ein amerikanisches Tagebuch Indiana Campus (1969) sowie eine Kulturgeschichte Chicagos (Chicago. Metropolis am Michigansee, 1981). Nach 1967 kristallisieren sich zwei Arbeitsschwerpunkte Holthusens heraus: einmal die Verpflichtung des Literaturkritikers, das alte Literaturgut gegenüber „Erscheinungsformen einer sogenannten Kulturrevolution“ zu bewahren und zu pflegen; dann die rigorose Stellung gegen alle „parteigängerischen Standpunkte“ in der Literatur, vor allem der linken „literarischen Opposition“ (Kreiselkompaß, 1976; Sartre in Stammheim, 1982). Beachtung finden ferner seine Mörike-Biographie von 1971 sowie die Schrift Ein deutsches Thema. Nazizeit und Nazischuld als literarischer Gegenstand (1974).

Preise & Auszeichnungen

Für seine Verdienste wird Hans Egon Holthusen mit dem Literaturpreis der deutschen Wirtschaft (1953), dem Kulturpreis der Stadt Kiel (1956), dem Bayerischen Verdienstorden (1973), dem Jean-Paul-Preis (83), dem Bayerischen Maximiliansorden und Kunstpreis des Landes Schleswig-Holstein (beide 1984) sowie mit dem Großen Bundesverdienstkreuz (1987) ausgezeichnet.

Mitgliedschaften

Seit 1960 gehört er der Bayerischen Akademie der Schönen Künste an, die er von 1968 bis 1974 leitet. Ab 1981 ist er Fellow am neugegründeten Wissenschaftskolleg in Berlin.

Verfasst von: Bayerische Staatsbibliothek / Dr. Peter Czoik

Sekundärliteratur:

Brambilla, Marina Marzia (2006): Hans Egon Holthusen. Eine Darstellung seiner schriftstellerischen Tätigkeit. Shaker Verlag, Aachen.

Holthusen, Hans Egon. In: Munzinger Online/Personen - Internationales Biographisches Archiv, URL: http://www.munzinger.de/document/00000002689, (20.11.2011).

Kraft, Thomas (Hg.) (2003): Lexikon der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur seit 1945. Bd. 1. Nymphenburger Verlag, München.


Externe Links:

Literatur von Hans Egon Holthusen im BVB

Literatur über Hans Egon Holthusen im BVB

Datenbank Holthusen (Universitätsbibliothek Hildesheim)