Info
Frequenz: monatlich vom April 1911 bis April 1919
Auflage: 3.000 Exemplare
Preis: 30 Pfennig
Hg.: Erich Mühsam
Verlag: Kain-Verlag München
Inhalt: Politik, Lyrik

Kain

Zeitschrift für Menschlichkeit

Im April 1911 erscheint in München die erste Ausgabe des Kain, der „Zeitschrift für Menschlichkeit.“ Gründer, Herausgeber, Verleger und einziger Mitarbeiter („Mitarbeiter dankend verbeten“, Jg.1, Nr.1) ist der Schriftsteller Erich Mühsam, der seit 1909 seinen festen Wohnsitz in München genommen hat und seitdem eifrig in der Schwabinger Bohème verkehrt. So wird Kain zum persönlichen Organ des Herausgebers für seine politischen und gesellschaftlichen Ansichten. Den Untertitel "Zeitschrift für Menschlichkeit" wählt Mühsam, um das Ziel seiner Arbeit zu charakterisieren: den Zustand reiner Menschlichkeit herzustellen, der bis jetzt noch nirgends vorhanden sei, einen Zustand von natürlicher und wechselseitiger Einstellung der Menschen zueinander, von Ehrlichkeit, Gerechtigkeit und Kampfeswille.

Zur politischen Ausrichtung der Zeitschrift schreibt Mühsam im Vorwort der ersten Ausgabe:

Auf Anfragen sei jetzt schon festgestellt, dass Kain weder als anarchistische Zeitschrift bewertet werden will, noch etwa ein Organ des ,Sozialistischen Bundes' darstellt. Da der Herausgeber seine Anschauungen gern mit der Bezeichnung ,Anarchismus' charakterisiert, und da seine anarchistischen Überzeugungen sich mit den Lehren des ,Sozialistischen Bundes' eng berühren, so wird der Leser in dieser Zeitschrift natürlich keine Beiträge finden, die etwa nicht sozialistisch und anarchistisch empfunden wären.

Den Namen des biblischen Brudermörders für den Titel seiner Zeitschrift wählt Mühsam, weil er Kain für den ersten Revolutionär der Menschheit hält. In seinem Gedicht „Kain“, 1911 in der Zeitschrift erschienen, schreibt er:

„Eure geballten Fäuste schrecken mich nicht! Brudermörder Ihr selbst - und tausendfach schlimmer! (...) Aufrecht steh ich vor euch und fordre meinen Teil! ... Gebt mir Freiheit und Land! - und als Bruder für immer kehrt euch Kain zurück, der Menschheit zum Heil!“

Bis November 1912 druckt Mühsam in Kain regelmäßig Auszüge aus seinem Tagebuch aus dem Gefängnis, das während seiner Inhaftierung in Charlottenburg 1909 aufgrund des Vorwurfs der Geheimbündlerei, von dem er schlussendlich freigesprochen worden ist, entstanden ist. Neben politischen Essays und Kommentaren zum Tagesgeschehen erscheinen in Kain außerdem zahlreiche Gedichte Mühsams, Buchbesprechungen und Theaterkritiken. Immer wieder protestiert Mühsam gegen die gesellschaftlichen Zustände, gegen Einschränkungen der individuellen Freiheit und gegen die Behandlung durch die Polizei und den Staat sowie gegen die Zensur.

Kain ruft bei den Zeitgenossen erwartungsgemäß gespaltene Reaktionen hervor. Einige Schwabinger Dichter, allen voran Graf Paul Keyserling jr., geben 1912 unter dem Pseudonym Balduin Bählamm (Eine Anspielung auf Wilhelm Buschs Karikatur des verhinderten Dichters) die Spottschrift „Abel. Zeitschrift für Sklaverei“ heraus. In seinen Tagebüchern berichtet Mühsam aber auch, dass Kain von Heinrich Mann besonders gelobt worden sei:

„Auf dem Wege zur Torggelstube ging ich gestern noch ins Café Odeon, wo ich Heinrich Mann und Dr. Brantl traf. Mann sagte mir große Schmeicheleien über die letzte Kain-Nummer, die allgemein sehr gefallen hat, und meinte: ,Sie haben jetzt die wertvollste Zeitschrift, die existiert.' Das aus dem Munde des bedeutendsten Mannes zu hören, der gegenwärtig im geistigen Deutschland wirkt, ist recht angenehm.“ (Tagebucheintrag vom 26.06.1912)

 Kain wird während des Ersten Weltkriegs vom Juli 1914 bis zum November 1918 eingestellt. Im Jahr 1919 erscheint Kain erst wöchentlich, dann alle vierzehn Tage und dient Mühsam vor allem zur Propagierung einer deutschen Revolution. Zusammen mit Gustav Landauer und Ernst Toller gehört Mühsam schließlich zu den führenden Köpfen der Bayerischen Räterepublik. Nach deren Sturz im Mai 1919 wird er zu 15 Jahren Festungshaft in Niederschönenfeld verurteilt. Die Verhaftung bedeutet auch die Einstellung und das Ende von Kain. 1924 wird Mühsam begnadigt und aus Bayern ausgewiesen. In Berlin gründet er dann die anarchistische Wochenschrift Fanal als „Organ der sozialen Revolution“.