Disziplin und Improvisation

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© Jörg Maurer

Fühlen Sie sich beobachtet und überwacht? Tanzen Ihnen Punkte vor den Augen? Verspüren Sie plötzlich ein Gefühl der dumpfen und ungezielten Wut? Haben Sie das Bedürfnis, etwas zu zerstören? Haben Sie unbestimmte Mordgedanken? Wenn Sie eines oder mehrere dieser Symptome bei sich feststellen, dann befinden Sie sich möglicherweise in einem Kurort des bayerischen Voralpenlands – und es ist gerade Föhn.

(Jörg Maurer: Föhnlage. Alpenkrimi. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009, S. 5)

Der Föhn, ein typisch bayerisches Phänomen, das zwar auch in den Nachbarländern Österreich und der Schweiz vorkommt, spielt in Jörg Maurers Debütroman eine entscheidende Rolle für alle Beteiligten, besonders für den ermittelnden Kommissar Hubertus Jennerwein. Ihn plagt bei Föhn nicht nur eine heftige Migräne, sondern auch eine seltene neuropsychologische Störung: Akinetopsie oder Bewegungsblindheit. Wenn sie auftritt, erlebt Jennerwein die Welt als Comicstrip. Sein erster Fall scheint hervorragend in dieses Genre zu passen: Mitten in einem Konzert in einem idyllischen bayerischen Alpen-Kurort stürzt ein Mann von der Decke ins Publikum. Die Bilanz: zwei Tote. War es ein Unfall, Selbstmord, Mord?  Kommissar Jennerwein muss sich mit widersprüchlichen Zeugenaussagen und Spekulationen herumschlagen.

Sein Schöpfer, Jörg Maurer, gewährt im Interview Einblicke in seine Schreibwerkstatt:

Jörg Maurer, was haben Kabarett und Krimi miteinander zu tun?

Bei mir sehr viel. Ein Krimi muss unterhaltend sein. Man will, bei allem Grusel, lachen. Wenn ein Krimi knallhart, ohne jeglichen Funken von Humor geschrieben ist, dann kann ich ihn eigentlich nicht ganz ernst nehmen. Raymond Chandler ist hier mein großes Vorbild: Je härter und verbrecherischer die Handlung ist, desto mehr federt er sie ab durch einen Schuss Humor. Und auch sonst haben die beiden Kunstformen, Krimi und Kabarett, viel miteinander zu tun. Es geht zum Beispiel in beiden Genres um Spannungsbögen - eine gut gebaute Pointe und ein spannender Kapitelabschluss sind sich ähnlicher, als man denkt. Und dann natürlich: In beiden Genres wird gnadenlos an das Gute im Menschen geglaubt. Aber gnadenlos! Kabarettisten haben ohnehin immer eine entsprechende messianische Botschaft im Gesicht. Und der Kriminalroman ist meiner Ansicht nach das einzige Genre, bei dem man sich darauf verlassen kann, dass die Geschichte moralisch hochwertig und staatstragend ausgeht: Das Böse wird vernichtet, das Gute siegt. Das ist bei keinem anderen Genre so deutlich.

„Gravierende Baumängel, fehlende Nasen, verschwundene Begleiterinnen“ – assoziiert Ihre weibliche Hauptfigur Frau Dr. Schmalfuß. Welche Rolle spielen Improvisation und Assoziation in Ihrer Arbeit?

Assoziation ist das Ah! und Oh! bei allen kreativen Prozessen, nicht nur bei künstlerischen. Die Assoziation ist eine zuverlässigere Helferin als die Logik. Die Logik ist eine rechthaberische Schulmeisterin. Die Assoziation ist die Führerin aus allen verfahrenen Handlungssträngen. Gerade Romanschreiben kann ich mir ohne bedenkenloses Assoziieren gar nicht vorstellen. Ein bisschen Logik kann man dann immer noch hineinbringen. Aber haben wir im Alltag nicht Logik genug?

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Gunna Wendt

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