Friedrich Hebbel über München

Der Münchner Bürger arbeitet weniger und genießt mehr wie irgendein anderer. Überhaupt ist es der Gedanke an den Genuss, der ganz München elektrisiert. Und der höchste Genuss, ein gutes Glas Bier, wie leicht und wie billig ist er zu haben! Wer drei Kreuzer in der Tasche trägt, kann eintreten, in welches Kaffeehaus oder in wel­chen Garten er will; er wird aufs Prompteste bedient und bekommt, als immer schmeckende Zugabe, ein freundli­ches Gesicht obendrein. Mag über alles dies hochmütig witzeln, wem es behagt: Es liegt etwas Wohltuendes darin, dass Menschen der verschiedensten Klassen, die ander­wärts schneidend-scharf voneinander abgesperrt sind, hier ein und dasselbe Bedürfnis haben und es in einem und demselben Local befriedigen. Es ist für den Geringen eine Art Satisfaction, wenn er zuweilen mit dem in der Gesellschaft höher Gestellten in irgendeine, wenn auch noch so gleichgültige Berührung tritt, und diese Satisfaction ist ihm zu gönnen, da er, weit entfernt, zudringlich und prä­tentiös zu sein, sich grade in der Nähe des über ihm Stehenden am meisten zu bescheiden weiß.

Friedrich Hebbel, Reiseeindrücke, um 1838 (Zit. aus: Friedrich Hebbel: Historische Schriften. Reiseeindrücke I. Berlin 1913, S. 377f.)

 

Friedrich Hebbel (1813-1863), deutscher Schriftsteller; Aufenthalt in München: 1836 bis 1839

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek