Coburg

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Coburger Markt 1857, Photographie von Francis Bedford

Jean Paul und Coburg

Auf die Hochzeit von Johann Paul Friedrich Richter und Karoline Mayer folgen unstete Jahre. Das Ehepaar lebt anfangs in Meiningen, jedoch nur zwei Jahre lang, von Juni 1801 bis Juni 1803. Dann zieht die mittlerweile dreiköpfige Familie Richter - Tochter Emma wird im September 1802 geboren - nach Coburg, wo die schwangere Ehefrau im November 1803 mit Sohn Max niederkommt. Die Gründe dieses Wohnortwechsels lassen sich heute nurmehr schwer nachvollziehen. »Den Umzug nach Coburg versteht niemand so recht«, schreibt auch der Jean-Paul-Biograf Helmut Pfotenhauer und zitiert eine angebliche Aussage des Schriftstellers, der angegeben habe, »daß er für sein neues Werk, die FLEGELJAHRE (Leseprobe), neue Anschauungen brauche und diese in einer neuen Umgebung mit anderen Menschen zu finden hoffe.« Tatsächlich vollendet Jean Paul die FLEGELJAHRE in Coburg. Jedoch waren zuvor bereits zwei Bände erschienen - was nicht unbedingt auf eine Schreibblockade hindeutet.

Coburg nimmt vielleicht nicht im Werk, aber doch in der literarischen Biografie Jean Pauls eine wichtige Rolle ein. Während des gut einen Jahres, das die Familie Richter in Coburg lebt, entstehen eben nicht nur die FLEGELJAHRE, sondern wird auch der Grundstein für Jean Pauls erstes großes theoretisches Werk gelegt, die VORSCHULE DER ÄSTHETIK, an der zwischenzeitlich »wie ein Vieh« arbeitet. Dieses Buch enthält einen Nekrolog auf Herder, Jean Pauls vielleicht wichtigstes Vorbild, der im Dezember 1803 stirbt. Und noch einen weiteren literarisch bedeutenden Schritt macht der Schriftsteller in Coburg: Im März 1804 berichtet er seinem Freunde Emanuel, dass er »die alte Orthographie« wieder angenommen habe. Zuvor hatte Jean Paul sich seine eigene Rechtschreibung ersonnen, nun passt er sich der deutschen Regelorthographie, der Adelungschen Rechtschreibung, an.

Im August 1804 - kaum einen Monat, nachdem Jean Paul die VORSCHULE beendet hat - zieht die Familie Richter nach Bayreuth: Der endgültig Wohn- und Lebensort ist gefunden.

Adamiberg

Als der Tuchhändler Johann Georg Ketschenbach im Jahr 1741 von den Messen in Leipzig und Naumburg zurück in seine Heimatstadt Coburg fährt, wird ihm all sein eben eingenommenes Geld gestohlen. Er muss seinen Berggarten verkaufen - und findet im Kaufmann Johann Andreas Adami einen geeigneten Interessenten. Ab 1774 - längst hat sich für das Areal die Bezeichnung »Adamiberg« eingebürgert - beginnt Adamis Schwiegersohn, der Hoftrompeter Johann Georg Waldsachs, mit dem Umbau des Geländes zum Gesellschaftsgarten, dem ersten seiner Art in Coburg. 1778 errichtet er für sich dort ein kleines Gartenhaus.

Dieses Häuschen entdeckt 25 Jahre später der Schriftsteller Jean Paul, der eben mit seiner Familie von Meiningen nach Coburg gezogen ist. Da er mittlerweile zweifacher Vater ist, fällt ihm das Schreiben in der familiären Wohnung zunehmend schwer, und so mietet er das Häuschen auf dem Adamiberg, seinem »Arbeits- und Verklärungsberg«, um dort zu arbeiten: »Ich schreibe hier auf dem Adamiberg, wahrscheinlich dem einzigen, der nicht mit dem Paradies versank«. Das Außer-Haus-Schreiben wird fortan zur Gewohnheit: Auch in Bayreuth verlässt Jean Paul die eigene Wohnung im Grunde täglich, um die eigens für ihn eingerichtete Stube in der Rollwenzelei aufzusuchen.

Im Jahr 1816, als die Familie Richter längst in Bayreuth lebt, wird an dem Häuschen auf dem Adamiberg eine Büste von Jean Paul angebracht. 1844 erwirbt der Geheime Oberfinanzrat Albert Friedrich Schnür den Garten, rund 25 Jahre später errichtet sein Bruder, der Kreisgerichtsdirektor Georg Ottilius Gottfried Schnür, einen neoromanischen Pavillon im Grundstück neben dem Gartenhaus, vor das er in Erinnerung an den prominenten Mieter Jean Paul einen Gedenkstein setzen lässt.

Gymnasiumsgasse (Jean Pauls Wohnung)

Während der Zeit, die die Familie Richter in Coburg lebt, mietet sie eine Wohnung im Haus des Kammersekretärs Johann Georg Gruner in der Gymnasium(s)gasse 5. Die Wohnung liegt im ersten Stock nach hinten mit Blick auf den Hof. Zu diesem Zeitpunkt existiert der heutige Anbau noch nicht. Im zweiten Stock hat der Dichter noch ein Arbeitszimmer. Am anderen Ende der Straße liegt das 1605 gegründete Gymnasium Casimirianum.

Die junge Ehe gerät langsam, aber sicher zur Gewohnheit - für den Schriftsteller Jean Paul eine ungewohnte und nicht immer schöne Erfahrung. An Emanuel schreibt er: »Ich habe meine Bücher. C. [seine Ehefrau Karoline] ihre Kinder – das ist alles.« Wenig später setzt er nach: »die Lebens-Poesie vor der Ehe blüht zwar in der Ehe noch auf dem Papiere nach und vielleicht reicher und wahrer, aber ins Leben [...] ist sie schwer mehr zu treiben.«

Dass die Stadt die großen Hoffnungen des Schriftstellers - die Gegend sei »aus 4 oder 5 Eden zusammenbauet«, schreibt er vor dem Umzug - nicht erfüllt hat, besagt allein schon das Weiterziehen nach nur gut einem Jahr. Entsprechend spärlich sind die Aussagen von Jean Paul über diese Zeit. Allerdings beschäftigt die Familie ein Dienstmädchen, deren Sohn Friedrich Hofmann später ebenfalls ein Schriftsteller und zudem Autor sowie zeitweise Herausgeber der Zeitschrift DIE GARTENLAUBE wird. 1873 veröffentlicht er einen Artikel über die Anekdoten, die seine Mutter von den »Jean Pauls« berichtete. Zu den täglichen Aufgaben von »Liesl« gehört es, dem Schriftsteller die Manuskripte zu seinem Schreibort auf den Adamiberg zu bringen.

[Friedrich Hofmann, Gartenlaube 1873]

Als eines Morgens meine Mutter mit der vollen Mappe zu ihm ins Gartenhaus trat, wo er an seinem Schreibtische saß, rief er ihr entgegen: »Liesle! (bekanntlich unsere fränkische Abkürzung des Namens Elizabeth) Weißt Du, was Du jetzt unterm Arm getragen hast? « - Nein, Herr Legationsrath! - »Siehst Du, wenn Du’s gewusst hättest, wärst Du am End’ davor erschrocken. « I gar! Warum denn? - »Nu merk’ auf (Er öffnete die Mappe, in welcher viele große und kleine beschriebene Blätter und Papierschnitzel zum Vorschein kamen.) »Du hast ein ganzes Gewitter unterm Arm getragen. Siehst Du, die kleinen Blättle, das sind lauter Blitze, und die großen, das ist lauter Donner. Nu merk’ auf! Wenn Du die Mappe einmal fallen lassen solltest und der Wind jagt Dir die Blätter fort, so springe nur ja nach den kleinen, die raffe nur alle zusammen, die großen kannst Du fliegen lassen. Denn, siehst Du, den Donner, den mach’ ich selber und den kann ich immer machen, aber die Blitze kommen vom Himmel, und die kommen nicht wieder, wenn sie einmal fort sind!«

Hinter der Mauer

Im Jahr 1803 wird der Coburger Schuhmacher-Sohn Johann Andreas Ortloff (1769-1828), nachdem er Jura und Philsophie studiert hat, zum Coburger Polizeidirektor befördert. Zur selben Zeit kommt Jean Paul mit seiner Familie nach Coburg. Die beiden freunden sich schnell an, auch weil Ortloff den Schriftsteller nicht nur mit Büchern, sondern auch mit Bier reichlich versorgt.

Auch am Neujahrsabend 1804 ist Jean Paul bei Ortloff in der Straße »Hinter der Mauer« (heute: »Kleine Mauer«) zu Gast, und als er sich schließlich auf den Heimweg macht, überkommt ihn bald ein dringendes Bedürfnis - dem er sogleich nachgibt: Er uriniert vor dem Haus am Spithaltor gegen eine Mauer - und wird dabei zu seinem Unglück auch noch von zwei Frauen beobachtet, die ihn umgehend anzeigen. Die Strafe beträgt einen Reichstaler, doch der Schriftsteller ist darüber schwer erzürnt. Sein Protestschreiben ist erhalten geblieben, er »verstrickt sich gar mit Ministern in Dispute über die Auslegung der Coburger Defäkier-Gesetze«, schreibt eine Zeitung. Manche behaupten, die Wut über diese »Piss-Steuer« sei ein Grund gewesen für den Umzug der Familie Richter nach Bayreuth.

Schloss Ehrenburg

Im Schloss Ehrenburg residiert seit 1800 Franz Friedrich Anton von Sachsen-Coburg-Saalfeld (1750-1806). Mit dem Herzog entwickelt Jean Paul bald eine freundschaftliche Beziehung; allerdings gilt das Interesse des Regenten weniger der Literatur als vielmehr den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen des Dichters: Er zählt viel sowohl auf die Wettervorhersagen als auch auf die medizinischen Ratschläge von Jean Paul. Und der lässt sich nicht allzu lange bitten: Angesichts der Schlaflosigkeit des Herzogs empfiehlt er »am Morgen zum Es=Frühstück einige Gläser spanischen oder ungarischen Wein oder Bischof - Mittags zum Essen die leichtern französischen Weine - zwischen dem Diner und Souper das stärkste  Bier - abends Thée mit Rak - zum Souper die ältern besten Rheinweine oder stat dieser nach dem Essen Puntsch, der Ihnen durch seine schweistreibende Kraft vorzüglich dienen wird. [...] Haben Ihro Durchlaucht sich nur einmal eine Woche lang in die Gewohnheit des Schlafes zurükgeholfen: so können Sie mit diesen Reizmitteln almählig absezen.«

Unwohl fühlt sich Jean Paul nur, wenn er den Sitten bei Hof gehorchen muss. Am 21. Dezember 1803 wird Prinzessin Victoire von Coburg mit dem Prinzen von Leiningen verheiratet, der Schriftsteller ist eingeladen und leiht sich deshalb einen Degen und erwirbt zudem einen Hut, Seidenstrümpfe und »Patentschnallen«. An seinen Freund Emanuel schreibt er nur wenige Tage später einen fast wehmütig klingenden Brief, der einen ersten Unmut über Coburg benennt: »ach es komt am Ende mit mir so weit, daß ich mich nicht mehr kenne, sondern elegant aussehe …«

Dem Schlosseingang fast direkt gegenüber liegt das Haus No. 222 (heute: Steingasse 18), wo Theodor von Kretschmann wohnt, den Franz von Sachsen-Coburg-Saalfeld geholt hat, um endlich die eminenten Schulden des Herzogtums zu reduzieren. Jean Paul isst wöchentlich bei Kretschmann - und wird deshalb verhört, als der Minister zunehmend in die Kritik gerät (siehe Kanzleigebäude).

Kanzleigebäude

Die Maßnahmen des leitenden Ministers Theodor von Kretschmann, um die Finanzen des Herzogtums in Ordnung zu bringen, werden bei der Bevölkerung von Coburg nicht gut gelitten. Als der straffe Bürokrat und Sanierer auch noch anordnet, die Häuser der Stadt neu zu nummerieren, begehren die Bürger derart heftig auf, dass Herzog Franz ein Regiment sächsischer Dragoner zu Hilfe ruft. Und auch ein Mitglied der Regierung erhebt das Wort gegen Kretschmann: Der Vizepräsident Karl August von Wangenheim wirft dem Minister nicht nur vor, er würde schlechte Arbeit machen, sondern zudem, dass er auf betrügerische Weise mit den Finanzen spekuliert - und wird daraufhin vom Herzog seines Amts enthoben. Doch Wangenheim protestiert auch dagegen und reicht Klage ein.

Während des Prozesses wird auch Jean Paul - der mit beiden befreundet ist, jedoch Kretschmann näher steht - mehrmals in das Kanzleigebäude (heute: Markt 10) zitiert, um eine Aussage zu machen. Beim ersten Mal sieht er dem ungewöhnlichen Ereignis noch erfreut entgegen, er gehe hin, erklärt er, »um meinen Spaß und meine Prüfung zu haben«. Beim zweiten Mal befragt der Richter ihn ungeduldiger und drängt ihn gar in die Ecke, als er ihm die Kenntnis der Wangenheimschen Pläne gegen Kretschmann nachzuweisen versucht. Jean Paul zieht sich zwar elegant aus der Affäre, steckt aber dennoch in der Zwickmühle, da er erkannt hat, »daß K. [Kretschmann] entsezlich lügt - alle Menschen zu Maschinen macht wie jeder Minister - keine Gesetze achtet als die er giebt«, wie er im Februar 1804 an Emanuel schreibt. Auch diese Erfahrung mag den Beschluss, nach nur gut einem Jahr Coburg schon wieder zu verlassen, befeuert haben.

Die Staatskrise hat derweil ein gedrucktes Nachspiel: 1805 erscheint Wangenheims zweibändiges Werk BEITRAG ZUR GESCHICHTE DER ORGANISATION DER COBURG-SAALFELDISCHEN LANDE DURCH DEN MINISTER TH. V. KRETZSCHMANN, in dem er die Angelegenheit noch einmal detailliert auseinanderlegt.

Verfasst von: Bayerische Staatsbibliothek / Dr. Peter Czoik & Katrin Schuster

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