Max Halbe in Bernried

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Im Garten von Max Halbe in Bernried, um 1900. V.l.n.r.: Otto Julius Bierbaum, Georg Schaumberg, Oskar Panizza, Michael Georg Conrad, Hanns von Gumppenberg, Julius Schaumberger (Archiv Monacensia)

Max Halbe lebt seit 1895 in München, wo er u.a. das „Intime Theater für dramatische Experimente“ gründet. In seiner Autobiografie Jahrhundertwende. Geschichte meines Lebens 1893-1914 schreibt er über Bernried am Starnberger See im Sommer 1899, wie ihn die Stätte schon seit Jahren gelockt hat, „um zu träumen, zu dichten, zu gestalten“:

Wir wohnten im Taneraschen Hause (eines bekannten Jugendschriftstellers jener Tage). Unter uns wohnte Paul Cassirer, damals noch fast unbekannten Namens, über uns Korfiz Holm. Das Haus hatte also etwas von einem literarischen Bienenstock, nur dass in ihm mit einer einzigen Ausnahme keiner arbeitete. Seine Insassen waren ja auch nicht zum Arbeiten hier, sondern zum Vergnügen. Die einzige Ausnahme war ich selbst. Ich hatte ein dramatisches Manuskript aus München mit herausgenommen und mir das Wort gegeben, nicht eher nach der Stadt zurückzukehren, als bis ich es vollendet hätte. Es war das Tausendjährige Reich. Acht Jahre war es her, seit ich mich mit dem Stoff trug; etwa vier Jahre, seit ich ihn, entmutigt, zum alten Eisen geworfen hatte. Andere Erlebnis- und Erfahrungsgeschichten hatten sich darüber gebreitet. Was darunterlag war gestorben. [...]

Unvergesslich diese Tage, diese Wochen der Niederschrift des düsteren, schwerblütigen Werkes am heitersten Gestade! Während ich in meiner abgeschiedenen Hinterstube an meiner Arbeit saß, nur dann und wann Atem schöpfend ans Fenster trat, konnte ich unsere „Kolonie“, Männlein und Weiblein, munter daherspazieren, auf Bänken herumlungern, im Waldesdunkel verschwinden und auf jegliche Weise faulenzen sehen. Aber es war keine Bitterkeit bei dem Gedanken. Denn ich sah, wie ich vorwärts kam, wie von Tag zu Tag sichtlicher das Werk sich zum Ganzen rundete. An einem schönen warmen Augusttag 1899 konnte ich meinen faulenzenden Freunden melden, dass das Tausendjährige Reich fertig sei.

Nur einer von ihnen hatte außer mir noch gearbeitet. Es war Lovis Corinth. Nach seiner Gewohnheit hatte er sich die Motive da und dort geholt, am Strand, im Bauerngärtchen, im schaukelnden Kahn auf dem See. Und in ein paar Morgenstunden war das groß und flott gemalte Bild am Frühstückstisch mit der Wäsche im Hintergrund entstanden, auf dem meine rechts vorn sitzende Frau einer vagabundenähnlichen Mannsperson einen Pfirsich reicht. Es befindet sich jetzt in der städtischen Galerie zu München. Jene vagabundenähnliche Mannsperson in der grünlich verschossenen Kluft war der obengenannte Karl Rößler. (Zit. aus: Max Halbe: Jahrhundertwende. Erinnerungen an eine Epoche. München 1976, S. 267-269, S. 273f.)

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek

Sekundärliteratur:

Tworek, Elisabeth (2011): Literarische Sommerfrische. Künstler und Schriftsteller im Alpenvorland. Ein Lesebuch. Allitera Verlag, München, S. 106, S. 251.