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31.08.2022, 17:31 Uhr
Bernhard Robben
Text & Debatte
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© Penguin (Random House)

Warum ich „Die satanischen Verse“ von Salman Rushdie nicht übersetzt habe

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Salman Rushdie © Rachel Eliza Griffiths

Bernhard Robben, 1955 im Emsland geboren, hat zahlreiche Bücher von Salman Rushdie ins Deutsche übersetzt. Er ist auch Übersetzer von Autoren wie Ian McEwan, Hanif Kureishi oder John Burnside. „Wer übersetzen will, muss sich nämlich verwandeln können“, schreibt er auf seiner Homepage. Robben, der häufig auch literarische Veranstaltungen moderiert, lebt in Brunne bei Fehrbellin.

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Im Herbst 1988 wohnte ich in Oxford und überlegte, welches Buch ich für einen Kurzurlaub am Strand unweit von Norwich einpacken sollte. Auf der Shortlist für den Booker-Prize stand in jenem Jahr auch der neue Roman Die satanischen Verse von Salman Rushdie, einem Autor, von dem ich bis dahin nur wenig gehört hatte. Aus privaten Gründen interessierte ich mich seit einiger Zeit für den Islam und den Propheten Mohammed. Als ich sah, dass es in den Satanischen Versen unter vielem anderen auch darum ging, war die Entscheidung gefallen.

Ich war von meiner Lektüre so begeistert, dass ich Ian McEwan davon erzählte, der damals ebenfalls in Oxford wohnte und bei dem ich sonntags gelegentlich auf einen Kaffee zu Besuch kam. „Wenn du magst“, sagte er, „komm nächsten Sonntag wieder, dann wird Salman hier sein. Es freut ihn bestimmt, wenn du ihm erzählst, wie gut dir der Roman gefällt.“

Am darauffolgenden Sonntag konnte ich mit Salman Rushdie ein Interview für Ende Dezember vereinbaren. Kurz zuvor bat ich aber noch einmal um einen Aufschub, da ich zur Vorbereitung auf unser Gespräch auch Die Mitternachtskinder lesen wollte. Als wir dann Mitte Januar 1989 telefonierten, war es Rushdie, der um einen Aufschub bat, da tags zuvor mehrere tausend Moslems in Bradford protestiert und sein Buch auf den Straßen verbrannt hatten. „Verschieben wir das Interview um einige Tage, bis sich die Lage wieder beruhigt hat.“ Am 12. Februar kamen bei einer Anti-Rushdie Demonstration in Islamabad sechs Menschen ums Leben; am Valentinstag, am 14. Februar, verkündete Ayatollah Khomeini, dass der Autor der Satanischen Verse und alle an der Publikation des Buches Beteiligten zum Todes verurteilt seien. Aus den wenigen Tagen Aufschub wurden Jahre.

Natürlich wollte im Februar 1989 alle Welt ein Interview mit Salman Rushdie, der mit seiner damaligen Frau Marianne Wiggins aber längst in den Untergrund abgetaucht war. Im März verständigte sich das Literarische Quartett, nicht über Die Satanischen Verse reden zu wollen. Niemand hatte eine Zeile des Buches gelesen. Warum nicht? Unter anderem wohl auch deshalb, weil jeder, der in jenen Tagen vor dem Internet und dem Online-Buchhandel einen Roman im Original lesen wollte, sich das Werk über seinen Buchladen bestellte und mit etwas Glück innerhalb von zwei bis drei Monaten ein Exemplar in den Händen hielt.

Die wenigen, die eine Kundenkarte einer Buchhandlung besaßen, Blackwells in Oxford etwa oder Heffers in Cambridge, meldeten sich dort und schätzten sich glücklich, wenn sich schon nach drei Wochen ein Buch im Postkasten fand. Es hatte in jenen Tagen also nahezu niemand eine Ausgabe der Satanischen Verse zur Hand, weshalb mich die ZEIT, als sie erfuhr, dass ich den Roman zur Vorbereitung meines Interviews mit Salman Rushdie gelesen hatte, aus Oxford in die Verlagsräume nach Hamburg holte. Ich sollte für eine Sonderbeilage eine Inhaltsgabe des Romans verfassen, damit die ZEIT-Leser so erfahren, worum es in dem Buch eigentlich ging.

Nach Brandanschlägen auf Buchhandlungen und mehreren Bombendrohungen gegen Verlage, beschloss der Verlag Kiepenheuer & Witsch, das Buch nicht zu veröffentlichen. In den folgenden Tagen schien kein Verlag bereit, das Risiko eingehen zu wollen. Hans Magnus Enzensberger, Arno Widmann, damals taz, und Frank Berberich von Lettre International entschieden schließlich, falls sich kein Verlag finden lasse, Die satanischen Verse kapitelweise in Lettre, taz und – wenn möglich – zeitgleich in allen deutschen Tageszeitungen zu veröffentlichen (außer der taz war meines Wissens aber keine weitere Zeitung dazu bereit). Ich wurde daraufhin gefragt, ob ich das Buch übersetzen würde, und ich sagte nach einigem Zaudern zu.

Ehe es dazu kam, wurde der Verlag Artikel 19 gegründet, ein Zusammenschluss mehrerer Verlage einzig für die Publikation dieses Buches. Weil die Übertragung ins Deutsche schon viel zu lange hinausgezögert worden war, entschied man sich, nun mehrere Übersetzer gleichzeitig daran arbeiten zu lassen, die möglichst in einer Stadt wohnen sollten – dies, wie gesagt, in den Tagen vorm Internet –, damit auf kurzem Kommunikationsweg aufkommende Fragen geklärt werden konnten. Ich wohnte schon damals auf dem Land, dieser Kelch ging also an mir vorüber.

Salman Rushdie habe ich erst viel später wiedergetroffen, umringt von einer Meute Sicherheitsbeamter. Mit jedem weiteren Roman, jeder nachfolgenden Begegnung wurde der Sicherheitsaufwand geringer, bis Salman Rushdie sich in den letzten Jahren wieder nahezu frei und ohne „Schatten“ bewegen konnte. Trotzdem war jedes Mal, wenn wir zusammen auf die Bühne gingen, die Angst da, es könnte passieren, wie es im August 2022 in Chautauqua tatsächlich passiert ist. Jedes Mal, wenn wir zusammen auf der Bühne saßen, meldete sich flüchtig die Angst, jemand aus dem Publikum könnte auf die Bühne springen und den Autor der Satanischen Verse angreifen. Ich habe nie wirklich daran geglaubt. Doch jetzt ist der Albtraum wahr geworden.

Jeden Morgen setze ich mich in diesen Tagen an den Schreibtisch, um den jüngsten Roman von Salman Rushdie ins Deutsche zu übertragen. Jeden Tag freue ich mich auf seine überbordende Fabulierkunst, freue mich über seine unbändige Schreib- und Lebenslust und wünsche ihm, wünsche uns, dass er noch viele Bücher schreibt.