Krafts Schattenkanon. Eine Ergänzung. Teil 39: Johannes Weidenheim, Heimkehr nach Maresi (1994)
300 Jahre Literaturgeschichte hat sich der Münchner Schriftsteller und Publizist Thomas Kraft vorgenommen, um für das Literaturportal Bayern einige Schätze zu heben. Rund 40 unentdeckte Romane und Erzählungen deutschsprachiger Autorinnen und Autoren – darunter bekannte wie weniger bekannte – finden in dieser kurzweiligen Reihe (neu) ans Licht.
*
Seit dem Untergang des Sowjetimperiums sind uns die deutschsprachigen Kulturinseln Osteuropas – in Moldau, Bessarabien, in der Bukowina – wieder näher gerückt. Wie an den Rändern unseres Sprachraums ethnische Minderheiten deutscher Abstammung den Kampf um kulturelle Identität bis heute führen, gehört zu den wichtigen Themen der zeitgenössischen deutschen Literatur.
Der Donauschwabe Johannes Weidenheim, 1918 in der Kleinstadt Batschka-Topola als Ladislaus Jakob Johannes Schmidt geboren, führt uns in seinem Roman Heimkehr nach Maresi (1994) in die einst auch von Deutschen mitbesiedelte Wojwodina, die Tiefebene zwischen Donau und Theis. Der Norden „war schon immer die Generalrichtung gewesen für die Maresier in die Welt. Entweder war es dann geradeaus weitergegangen nach Budapest zur Massage im Széchény-Bad, oder westwärts nach Wien in den Prater – und eben ostwärts nach Auschwitz ins Gas.“ Die Pannonische Tiefebene, die nach dem Zweiten Weltkrieg als Provinz Nordserbiens zu Jugoslawien gehörte, hatte sich seit ihrer Kolonisierung durch schwäbische Bauern Ende des 18. Jahrhunderts zu einem ethnischen Melting Pot entwickelt, in dem über die Jahrhunderte hinweg serbische, ungarische, jüdische und schwäbische Lebenswirklichkeiten mal friedlich koexistierten, mal blutig aufeinanderprallten.
Weidenheim ist ein Nachkomme pfälzischer Einwanderer, die unter Joseph II. in der Wojwodina angesiedelt werden. Er wächst im donauschwäbischen Werbaß dreisprachig (deutsch, ungarisch, serbokroatisch) auf. Nach der Schule arbeitet er als Lehrer und Journalist in Neusatz und Belgrad. Im Zweiten Weltkrieg ist er zunächst jugoslawischer, dann deutscher Soldat, von 1941 bis 1943 als Redakteur beim deutschen Sender in Belgrad. Nach dem Krieg wohnt er zunächst in der Lüneburger Heide und arbeitet als Holzfäller und Dorfschullehrer. Nachdem er bei einem Erzählwettbewerb gewonnen hat, gibt er seine Anstellung auf und wird freier Schriftsteller. Außerdem ist er als Redakteur und Übersetzer tätig. Von 1980 bis zu seinem Tod 2002 lebt er in Bonn.
Im Kreis der Gruppe 47 gilt er als vielversprechendes Talent. Seine Romane Nichts als ein bisschen Musik (1947) über das Schicksal einer „Zigeunerkapelle“, Kale-Megdan (1948) über die Lebenskrisen des ehemaligen Lehrers Stefan Mornau und des Schriftstellers Karlo Prica und ihre existenzphilosophischen Dialoge vor der Kulisse von Belgrad, Das türkische Vaterunser (1955) über eine Schicksalsgemeinschaft, eine Gruppe von Außenseitern im Armeleutehaus, und der Kneipen- und Dialogroman Treffpunkt jenseits der Schuld (1956) über den Erfahrungsaustausch zweier Exilanten über ihr Vaterland Jugoslawien fanden durchaus Beachtung. Dann wird es still um den Autor. Der aber bleib produktiv, auch wenn in den 1960er-Jahren experimentellere Formen gefragt sind. Immerhin geht Weidenheims Bekanntheitsgrad weit über die donauschwäbische Kulturszene hinaus, so dass seine provokanten Einwürfe in der von ihm mitbetreuten Zeitschrift Neuland für einige Unruhe sorgen. „Weidenheim trat als überzeugter Pazifist auf, bekannte sich zu einem linksorientierten Christentum und plädierte für einen Dialog mit den kommunistisch regierten Ländern. In einigen Lösungsvorschlägen gesellschaftlicher Probleme näherte er sich auf bedenkliche Weise den Positionen des offiziellen Staatssozialismus.“ (Peter Motzan)
1963 veröffentlicht Weidenheim die Novelle Lebenslauf der Katharina D, die 1991 als Pannonische Novelle wiederaufgelegt wird. Darin erzählt Weidenheim das Leben der donauschwäbischen Bäuerin Katharina Delhaes von der Geburt bis zu ihrem Tod in den sechziger Jahren in Wien nach. Mit ethnografischem und sozialkritischem Gespür rekonstruiert Weidenheim die Welt des Großdorfes, in dem Delhaes aufwächst, heiratet und sich mit ihrer Familie in dieser eigentümlichen Ordnung aus sozialer Kontrolle und Geborgenheit durchzusetzen sucht. Die beiden Weltkriege rauben ihr den Ehemann und die beiden Söhne, sie wird in die Steiermark evakuiert und landet schließlich in einem Barackenlager in Wien. In einer wilden Phantasie tritt sie ihre letzte Reise an. Ohne schmückendes Beiwerk, schlicht und nackt hat Weidenheim diese Biografie nachgezeichnet, zu Recht wird er als „Meister der Aussparung“ (Erich Hackl) gerühmt. Dass er dabei auch zu selbstkritischen Tönen fähig ist, belegt der Roman Mensch, was für eine Zeit oder Eine Laus im deutschen Pelz (1968), in dem er die Verirrungen und die Wandlung seines Alter Egos, des Unterscharführers Simon Lazar Messer, schildert, der auf der Flucht nach Deutschland zum Deserteur wird. Die hier geschilderten Fragen nach Schuld und Sühne führen direkt in die Biografie Weidenheims, der Unteroffizier der Waffen-SS-Division „Prinz Eugen“ gewesen und als Rundfunkmoderator der „Volksdeutschen Stunde“ beim Besatzungssender Belgrad eingesetzt worden ist.
Als Antrieb seines Schreibens nennt Weidenheim immer wieder sein Heimweh nach Pannonien. Diesem idealisierten Ort gibt er die Chiffre „Maresi“, gestaltet nach dem Vorbild seines Heimatdorfes Werbaß. Doch die Erinnerungen an die Kindheit zeigen weder eine heile Welt noch die dumpfe Provinz. So erzählen auch die im Sammelband Lied vom Staub (1992) versammelten, zwischen 1950 und 1985 geschriebenen Novellen und Skizzen neben den geschilderten Zeugnissen deutscher Kultur auch von den Schattenseiten, dem latenten Fremdenhass und der Gespaltenheit der Gemeinden.
Heimkehr nach Maresi (1994) darf als die Summe seines literarischen Schaffens gelten, mit dem er sich kritisch und faktentreu um die Vergegenwärtigung dieses vergessenen Lebensraums bemüht hat – ganz einem Erzählen verpflichtet, das sich an Autoren wie Joseph Roth und Franz Werfel orientiert. In diesem Roman wird vom Besuch des Simon Lazar Messer in seinem Heimatort Maria-Theresiendorf, kurz Maresi genannt, erzählt. Nach vierzig Jahren taucht er beim Spaziergang durch das Dorf in dessen wechselhafte Vergangenheit ein, rekapituliert in großen Bögen Kulturgeschichtliches, entdeckt scheinbar Vergessenes und schwelgt in Erinnerungen an die eigene Kindheit. Jedes Haus evoziert den Blick zurück, die Zeitebenen des Gestern und Heute rutschen geschmeidig ineinander. Weidenheim bündelt viele kleine Stimmen zu einem gewaltigen Chor, lässt in der Fortführung von Motiven und Themen eine grandiose literarische Sinfonie erschallen, die melodiös und sinnlich vom Aufstieg und Untergang der Kulturen und damit von Freud und Leid der Menschen kündet.
Es sind liebenswerte Geschichten wie von Jettchen mit dem Holzbein, vom Kinderschreck „hoorich Emil“, vom legendären „Siebzehnundvier-Spiel“ des Fritzi Krumes mit dem k.u.k.-Oberrevisor Graf Ebédházy, vom „Kulturjuden Markus Singer“, der zwar nur koscheres Fleisch aß, aber ein großer Verehrer von Richard Wagner war, und von Wilma, die nicht kochen konnte und deswegen nach New York auswandern musste – Geschichten, die die Welt einer Kindheit heraufbeschwören, wie es sie, will man dem Erzähler glauben, nur in Maresi gegeben hat.
Breiten Raum nehmen die Erlebnisse Messers während des Zweiten Weltkriegs ein, als ein Großteil deutschstämmiger Kolonisten nationaler als die Reichsdeutschen sein wollte. Sie spalten sich in „Grüßgott!-Deutsche“ und „Heil!-Deutsche“ und entdecken inmitten dieses Vielvölkergemischs, „dass sie ja eigentlich schon immer Judenfresser waren“. Als im Zuge des russischen Vormarsches Titos Partisanen im Oktober 1944 Maresi besetzen, rechnen sie mit den Deutschen, die nicht rechtzeitig geflohen sind, grausam ab.
Auf Simon Messers Reise in die Vergangenheit begegnen ihm Reste deutscher Kultur. Diese Überbleibsel sind stumme Zeugen einer Zeit, die Weidenheim als Partikel im organischen Fluss des Lebens und damit als Erinnerungen, die den Menschen überleben werden, verstanden haben will. Denn „vielleicht war ganz Maresi in Wahrheit nur scheintot – und nun müsste nur jemand daherkommen und ein Zauberwort sprechen, und alles stünde wieder auf und begönne ganz leicht, ganz vorsichtig die steif gewordenen Glieder zu rühren“. Simon Messer war nach Maresi gekommen, um die Gebeine seiner Eltern auf dem Friedhof umzubetten. Aber er erkrankt schwer und wird in ein Krankenhaus nach Belgrad verlegt. Die Aussöhnung mit dem Ort seiner Geburt, aus dem er einst hat fliehen müssen, findet am Ende nicht statt: „Sie hatten ihn aus seinem Maresi hinausgeworfen, bei Nacht und Nebel, ohne ihn zu fragen. Eines aber konnte keine Macht der Welt ihm nehmen: die Erinnerung.“
Johannes Weidenheim: Heimkehr nach Maresi. Roman. Otto Müller Verlag, Salzburg 1994
Lesen Sie nächste Woche, welcher erschütternde Roman einer jüdischen Autorin aus Bayern über die Verfolgung durch die Nationalsozialisten erst 2022 postum erschienen ist.
Krafts Schattenkanon. Eine Ergänzung. Teil 39: Johannes Weidenheim, Heimkehr nach Maresi (1994)>
300 Jahre Literaturgeschichte hat sich der Münchner Schriftsteller und Publizist Thomas Kraft vorgenommen, um für das Literaturportal Bayern einige Schätze zu heben. Rund 40 unentdeckte Romane und Erzählungen deutschsprachiger Autorinnen und Autoren – darunter bekannte wie weniger bekannte – finden in dieser kurzweiligen Reihe (neu) ans Licht.
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Seit dem Untergang des Sowjetimperiums sind uns die deutschsprachigen Kulturinseln Osteuropas – in Moldau, Bessarabien, in der Bukowina – wieder näher gerückt. Wie an den Rändern unseres Sprachraums ethnische Minderheiten deutscher Abstammung den Kampf um kulturelle Identität bis heute führen, gehört zu den wichtigen Themen der zeitgenössischen deutschen Literatur.
Der Donauschwabe Johannes Weidenheim, 1918 in der Kleinstadt Batschka-Topola als Ladislaus Jakob Johannes Schmidt geboren, führt uns in seinem Roman Heimkehr nach Maresi (1994) in die einst auch von Deutschen mitbesiedelte Wojwodina, die Tiefebene zwischen Donau und Theis. Der Norden „war schon immer die Generalrichtung gewesen für die Maresier in die Welt. Entweder war es dann geradeaus weitergegangen nach Budapest zur Massage im Széchény-Bad, oder westwärts nach Wien in den Prater – und eben ostwärts nach Auschwitz ins Gas.“ Die Pannonische Tiefebene, die nach dem Zweiten Weltkrieg als Provinz Nordserbiens zu Jugoslawien gehörte, hatte sich seit ihrer Kolonisierung durch schwäbische Bauern Ende des 18. Jahrhunderts zu einem ethnischen Melting Pot entwickelt, in dem über die Jahrhunderte hinweg serbische, ungarische, jüdische und schwäbische Lebenswirklichkeiten mal friedlich koexistierten, mal blutig aufeinanderprallten.
Weidenheim ist ein Nachkomme pfälzischer Einwanderer, die unter Joseph II. in der Wojwodina angesiedelt werden. Er wächst im donauschwäbischen Werbaß dreisprachig (deutsch, ungarisch, serbokroatisch) auf. Nach der Schule arbeitet er als Lehrer und Journalist in Neusatz und Belgrad. Im Zweiten Weltkrieg ist er zunächst jugoslawischer, dann deutscher Soldat, von 1941 bis 1943 als Redakteur beim deutschen Sender in Belgrad. Nach dem Krieg wohnt er zunächst in der Lüneburger Heide und arbeitet als Holzfäller und Dorfschullehrer. Nachdem er bei einem Erzählwettbewerb gewonnen hat, gibt er seine Anstellung auf und wird freier Schriftsteller. Außerdem ist er als Redakteur und Übersetzer tätig. Von 1980 bis zu seinem Tod 2002 lebt er in Bonn.
Im Kreis der Gruppe 47 gilt er als vielversprechendes Talent. Seine Romane Nichts als ein bisschen Musik (1947) über das Schicksal einer „Zigeunerkapelle“, Kale-Megdan (1948) über die Lebenskrisen des ehemaligen Lehrers Stefan Mornau und des Schriftstellers Karlo Prica und ihre existenzphilosophischen Dialoge vor der Kulisse von Belgrad, Das türkische Vaterunser (1955) über eine Schicksalsgemeinschaft, eine Gruppe von Außenseitern im Armeleutehaus, und der Kneipen- und Dialogroman Treffpunkt jenseits der Schuld (1956) über den Erfahrungsaustausch zweier Exilanten über ihr Vaterland Jugoslawien fanden durchaus Beachtung. Dann wird es still um den Autor. Der aber bleib produktiv, auch wenn in den 1960er-Jahren experimentellere Formen gefragt sind. Immerhin geht Weidenheims Bekanntheitsgrad weit über die donauschwäbische Kulturszene hinaus, so dass seine provokanten Einwürfe in der von ihm mitbetreuten Zeitschrift Neuland für einige Unruhe sorgen. „Weidenheim trat als überzeugter Pazifist auf, bekannte sich zu einem linksorientierten Christentum und plädierte für einen Dialog mit den kommunistisch regierten Ländern. In einigen Lösungsvorschlägen gesellschaftlicher Probleme näherte er sich auf bedenkliche Weise den Positionen des offiziellen Staatssozialismus.“ (Peter Motzan)
1963 veröffentlicht Weidenheim die Novelle Lebenslauf der Katharina D, die 1991 als Pannonische Novelle wiederaufgelegt wird. Darin erzählt Weidenheim das Leben der donauschwäbischen Bäuerin Katharina Delhaes von der Geburt bis zu ihrem Tod in den sechziger Jahren in Wien nach. Mit ethnografischem und sozialkritischem Gespür rekonstruiert Weidenheim die Welt des Großdorfes, in dem Delhaes aufwächst, heiratet und sich mit ihrer Familie in dieser eigentümlichen Ordnung aus sozialer Kontrolle und Geborgenheit durchzusetzen sucht. Die beiden Weltkriege rauben ihr den Ehemann und die beiden Söhne, sie wird in die Steiermark evakuiert und landet schließlich in einem Barackenlager in Wien. In einer wilden Phantasie tritt sie ihre letzte Reise an. Ohne schmückendes Beiwerk, schlicht und nackt hat Weidenheim diese Biografie nachgezeichnet, zu Recht wird er als „Meister der Aussparung“ (Erich Hackl) gerühmt. Dass er dabei auch zu selbstkritischen Tönen fähig ist, belegt der Roman Mensch, was für eine Zeit oder Eine Laus im deutschen Pelz (1968), in dem er die Verirrungen und die Wandlung seines Alter Egos, des Unterscharführers Simon Lazar Messer, schildert, der auf der Flucht nach Deutschland zum Deserteur wird. Die hier geschilderten Fragen nach Schuld und Sühne führen direkt in die Biografie Weidenheims, der Unteroffizier der Waffen-SS-Division „Prinz Eugen“ gewesen und als Rundfunkmoderator der „Volksdeutschen Stunde“ beim Besatzungssender Belgrad eingesetzt worden ist.
Als Antrieb seines Schreibens nennt Weidenheim immer wieder sein Heimweh nach Pannonien. Diesem idealisierten Ort gibt er die Chiffre „Maresi“, gestaltet nach dem Vorbild seines Heimatdorfes Werbaß. Doch die Erinnerungen an die Kindheit zeigen weder eine heile Welt noch die dumpfe Provinz. So erzählen auch die im Sammelband Lied vom Staub (1992) versammelten, zwischen 1950 und 1985 geschriebenen Novellen und Skizzen neben den geschilderten Zeugnissen deutscher Kultur auch von den Schattenseiten, dem latenten Fremdenhass und der Gespaltenheit der Gemeinden.
Heimkehr nach Maresi (1994) darf als die Summe seines literarischen Schaffens gelten, mit dem er sich kritisch und faktentreu um die Vergegenwärtigung dieses vergessenen Lebensraums bemüht hat – ganz einem Erzählen verpflichtet, das sich an Autoren wie Joseph Roth und Franz Werfel orientiert. In diesem Roman wird vom Besuch des Simon Lazar Messer in seinem Heimatort Maria-Theresiendorf, kurz Maresi genannt, erzählt. Nach vierzig Jahren taucht er beim Spaziergang durch das Dorf in dessen wechselhafte Vergangenheit ein, rekapituliert in großen Bögen Kulturgeschichtliches, entdeckt scheinbar Vergessenes und schwelgt in Erinnerungen an die eigene Kindheit. Jedes Haus evoziert den Blick zurück, die Zeitebenen des Gestern und Heute rutschen geschmeidig ineinander. Weidenheim bündelt viele kleine Stimmen zu einem gewaltigen Chor, lässt in der Fortführung von Motiven und Themen eine grandiose literarische Sinfonie erschallen, die melodiös und sinnlich vom Aufstieg und Untergang der Kulturen und damit von Freud und Leid der Menschen kündet.
Es sind liebenswerte Geschichten wie von Jettchen mit dem Holzbein, vom Kinderschreck „hoorich Emil“, vom legendären „Siebzehnundvier-Spiel“ des Fritzi Krumes mit dem k.u.k.-Oberrevisor Graf Ebédházy, vom „Kulturjuden Markus Singer“, der zwar nur koscheres Fleisch aß, aber ein großer Verehrer von Richard Wagner war, und von Wilma, die nicht kochen konnte und deswegen nach New York auswandern musste – Geschichten, die die Welt einer Kindheit heraufbeschwören, wie es sie, will man dem Erzähler glauben, nur in Maresi gegeben hat.
Breiten Raum nehmen die Erlebnisse Messers während des Zweiten Weltkriegs ein, als ein Großteil deutschstämmiger Kolonisten nationaler als die Reichsdeutschen sein wollte. Sie spalten sich in „Grüßgott!-Deutsche“ und „Heil!-Deutsche“ und entdecken inmitten dieses Vielvölkergemischs, „dass sie ja eigentlich schon immer Judenfresser waren“. Als im Zuge des russischen Vormarsches Titos Partisanen im Oktober 1944 Maresi besetzen, rechnen sie mit den Deutschen, die nicht rechtzeitig geflohen sind, grausam ab.
Auf Simon Messers Reise in die Vergangenheit begegnen ihm Reste deutscher Kultur. Diese Überbleibsel sind stumme Zeugen einer Zeit, die Weidenheim als Partikel im organischen Fluss des Lebens und damit als Erinnerungen, die den Menschen überleben werden, verstanden haben will. Denn „vielleicht war ganz Maresi in Wahrheit nur scheintot – und nun müsste nur jemand daherkommen und ein Zauberwort sprechen, und alles stünde wieder auf und begönne ganz leicht, ganz vorsichtig die steif gewordenen Glieder zu rühren“. Simon Messer war nach Maresi gekommen, um die Gebeine seiner Eltern auf dem Friedhof umzubetten. Aber er erkrankt schwer und wird in ein Krankenhaus nach Belgrad verlegt. Die Aussöhnung mit dem Ort seiner Geburt, aus dem er einst hat fliehen müssen, findet am Ende nicht statt: „Sie hatten ihn aus seinem Maresi hinausgeworfen, bei Nacht und Nebel, ohne ihn zu fragen. Eines aber konnte keine Macht der Welt ihm nehmen: die Erinnerung.“
Johannes Weidenheim: Heimkehr nach Maresi. Roman. Otto Müller Verlag, Salzburg 1994
Lesen Sie nächste Woche, welcher erschütternde Roman einer jüdischen Autorin aus Bayern über die Verfolgung durch die Nationalsozialisten erst 2022 postum erschienen ist.
