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31.07.2025, 11:00 Uhr
Thomas Kraft
Text & Debatte

Krafts Schattenkanon. Eine Ergänzung. Teil 25: Maria Lazar, Leben verboten! (1932)

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Maria Lazar. Quelle: Wikipedia (gemeinfrei).

300 Jahre Literaturgeschichte hat sich der Münchner Schriftsteller und Publizist Thomas Kraft vorgenommen, um für das Literaturportal Bayern einige Schätze zu heben. Rund 40 unentdeckte Romane und Erzählungen deutschsprachiger Autorinnen und Autoren –  darunter bekannte wie weniger bekannte – finden in dieser kurzweiligen Reihe (neu) ans Licht.

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Maria Lazars Roman Leben verboten! aus dem Jahr 1932 ist eine laut Verleger Albert C. Eibl „antifaschistische Tendenzschrift mit oppositionell-subversivem Subtext“. Jedenfalls spielt der Roman im von der Weltwirtschaftskrise gebeutelten Berlin und Wien des Jahres 1931 und bildet eine explosive Mischung aus Thriller, Sozialkolportage und Zeitroman. Durch einen glücklichen Umstand entrinnt ein jüdischer Unternehmer dem Unfalltod und treibt durch ein Europa, das am Abgrund steht und die Vorboten des Nationalsozialismus und des Krieges wahrnimmt.

Was passiert? Der Bankier Ernst von Ufermann soll, um sein seit der Weltwirtschaftskrise bedrohtes Unternehmen zu retten, für Geschäftsverhandlungen nach Frankfurt am Main fliegen. Doch bei einem Zwischenfall am Flughafen Tempelhof werden ihm Ticket und Brieftasche gestohlen. Es ist noch früher Morgen, Ufermann treibt wie benommen durch den „geometrischen Dschungel“ der Großstadt und erfährt erst in der Wohnung einer Gelegenheitsfreundin, was schnell schon die Zeitungsausgaben melden: Er sei unter den bis zur Unkenntlichkeit verbrannten Opfern eines Flugzeugabsturzes nahe Frankfurt. Ufermann wird wie alle Passagiere des Flugs für tot gehalten. Doch er ist am Leben – und hat nun ein Problem. So entsteht, mit flackernd schnellen, expressiv filmhaften Schnitten erzählt, eine ziemlich kuriose Handlung in Berlin, Wien, Prag und Ungarn, durch die Ufermann als sein eigener Doppelgänger zwischen bürgerlicher Gesellschaft, Nutten, Kleingangstern und politischen Fanatikern treibt. Derweil kassiert seine Frau als vermeintliche Witwe eine enorme Lebensversicherung und ehelicht flugs seinen Teilhaber. Ufermann gerät in die Fänge gewaltbereiter Nationalsozialisten, die ihm zu einer neuen Identität verhelfen, für die er aber im Gegenzug Kurierdienste übernehmen muss. „Schicksal ist, was andere über einen verfügen. Und Schuld ist, ein solches Schicksal über sich verhängen zu lassen“, heißt es im Roman.

Das ihn umgebende gesellschaftliche Szenario besteht aus hoher Arbeitslosigkeit, einer steigenden Anzahl an Gewaltverbrechen, der Auflösung sozialer und rechtlicher Ordnungen, Nationalismus, Antisemitismus und Terror. Als Ufermann nochmals nach Berlin an seine alte Wirkungsstätte zurückkehrt, muss er feststellen, dass das niemanden mehr interessiert – weder beruflich noch privat. „Leben verboten!“ bewahrheitet sich auch hier. Seine Frau lebt mit seinem Geschäftspartner zusammen, und niemand hat Interesse an Aufklärung und Gerechtigkeit. Ufermann kommt schließlich bei dem Sprengstoffanschlag auf eine Eisenbahnbrücke in Ungarn ums Leben.

Das klingt abenteuerlich und ist es auch. Doch Lazar verknüpft dieses tragische Schicksal auf eindrückliche Weise mit den 1931/32 bereits spürbaren Vorboten der bevorstehenden Machtergreifung durch die Nationalsozialisten. Die Gesellschaft ist zerrüttet, und die Gewalt greift um sich.

Maria Lazar ist das jüngste von acht Kindern einer vermögenden jüdischen Wiener Familie. Nach dem Ende der Schulzeit arbeitet sie als Lehrerin an Landerziehungsheim am Semmering. Als Kind ist sie mit ihrer Wiener Mitschülerin Helene Weigel befreundet. Und als Bert Brecht mit dieser 1933 vor den Nazis floh, hat Maria Lazar für Weigel und den Brecht-Clan ein Haus der mit ihr befreundeten dänischen Schriftstellerin Karin Michaëlis auf der Insel Thurø besorgt. Trotz solcher Verbindungen ist die Schriftstellerin nach ihrem Tod aus dem öffentlichen Gedächtnis fast völlig verschwunden.

Ihren Erstlingsroman liest auch Thomas Mann, jedoch ohne Vergnügen, während Robert Musil die „behende Kraft im Figuralen“ gefällt. Leben verboten! erscheint 1934 in London in einer gekürzten Ausgabe unter dem englischen Titel No right to live. Während der Jahre ihres Exils schreibt Lazar zahlreiche Beiträge für skandinavische und Schweizer Zeitungen und lebte unter anderem von Übersetzungen literarischer Werke aus dem Dänischen und Schwedischen ins Deutsche. 1939 zieht sie, durch die Heirat mit dem Journalisten Friedrich Strindberg schwedische Staatsbürgerin geworden, mit ihrer Tochter Judith Lazar nach Schweden. Nachdem bei ihr eine unheilbare Knochenkrankheit diagnostiziert worden ist, beendet sie am 30. März 1948 in Stockholm ihr Leben durch Suizid.
 
Maria Lazar: Leben verboten! Roman. Erstmals aus dem Nachlass hrsg. u. mit einem Nachwort von Johann Sonnleitner. DVB (Das vergessene Buch) Verlag, Wien 2020

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