Krafts Schattenkanon. Eine Ergänzung. Teil 24: Ruth Landshoff-Yorck, Die Vielen und der Eine (1930)
300 Jahre Literaturgeschichte hat sich der Münchner Schriftsteller und Publizist Thomas Kraft vorgenommen, um für das Literaturportal Bayern einige Schätze zu heben. Rund 40 unentdeckte Romane und Erzählungen deutschsprachiger Autorinnen und Autoren – darunter bekannte wie weniger bekannte – finden in dieser kurzweiligen Reihe (neu) ans Licht.
*
Die Berlinerin ist ein kreatives Multitalent, tummelt sich in Theater- und Filmkreisen, kennt jeden und verkörpert einen neuen Frauentyp: selbstbewusst, sportlich, androgyn. Ein Glamourgirl der europäischen Kulturszene. Vor dem Zweiten Weltkrieg gilt Ruth Landshoff-Yorck als eine Art IT-Girl, das die Jet-Set-Zentren Europas belebt. Intensiv, schnell und lebenshungrig. Ein Star der wilden Zwanziger. Die Magazine reißen sich um sie. Vor den Nazis flieht sie 1937 in die USA und engagiert sich im antifaschistischen Widerstand.
Ursprünglich aus dem jüdischen Bürgertum stammend, 1904 als Ruth Levy geboren – ihr Cousin ist Fritz Landshoff, der später den Exil-Verlag Querido in Amsterdam führt, und der Verleger Samuel Fischer ihr Onkel – besucht sie in Berlin die Schauspielschule, spielt in Friedrich Wilhelm Murnaus Film-Klassiker Nosferatu (1922) und bei Max Reinhardt am Theater mit. Sie pfeift auf Konventionen und Geschlechterrollen, lebt mit Männern und Frauen.
Mit Marlene Dietrich steht die kokette junge Frau mit dem blonden Bubikopf auf der Bühne und verhilft Dietrich zu ihrer Rolle in Der blaue Engel. Selbstkritisch bemerkt sie später, dass sie selbst überhaupt kein Talent zum Schauspielern habe. Sie versucht sich in verschiedenen Bereichen: Film, Theater, Malen – alles Schritte, ihre Kreativität auszuprobieren, bis sie zum Schreiben gelangt.
Glamouröse Fotos, die sie mit Zigarette lässig im Mundwinkel zeigen, tauchen in Modemagazinen auf. Sie gehört zu den ersten autofahrenden Frauen in Berlin. In ihrem Cabriolet rast sie durch ganz Europa, spielt Tennis und Hockey, fährt auch Motorrad. Und sie beginnt über ihren extravaganten Lebensstil zu schreiben. Die Reportagen, Skizzen und Anekdoten erscheinen in Blättern wie Sport im Bild oder Die Dame. Es sind pointierte Texte, die das temporeiche Leben der Republik einfangen.
Landshoff arbeitet von 1927 bis 1930 als Reporterin und Kolumnistin für den Ullstein-Verlag, vor allem für die illustrierte Mode-Zeitschrift Die Dame, aber auch für die deutsche Ausgabe der Vogue, Sport und Bild, die Berliner Illustrierte Zeitung, für Tempo sowie die Literarische Welt. Es sind vor allem Zeitgeistartikel, die sie schreibt, spritzige Texte, Reportagen, Berichte, literarische Skizzen, Reiseimpressionen und Kurznovellen. Häufig geht es darin um Befindlichkeiten von jungen Frauen der damaligen Zeit, um die „Neue Frau“. Es sind schnelle Texte eines schnellen Lebens. Derartige Kurztexte sind in der Weimarer Republik überaus beliebt. Sie bedient sich dabei einer Erzählweise, bei der es im Wesentlichen um Authentizität und weniger um Erfindung geht.
Bei Rowohlt erscheint 1930 ihr erster Roman Die Vielen und der Eine, über die junge Berliner Reporterin Louis Lou, die große Ähnlichkeit mit der Autorin hat. Er findet einige Beachtung und wird etwa von Franz Hessel, Mechtilde Lichnowsky und auch von Annette Kolb besprochen: „Sie hat eine große und liebenswürdige Eigenschaft, sie schreibt nicht langweilig. Aber sie hat einen weiten Weg und wird sich gehörig entsnoben müssen.“
Geplant waren sieben Romane, für die sie bereits einen Vertrag hatte, zwei davon waren auch bereits geschrieben. Vom zweiten, Leben einer Tänzerin, liegen bereits die Druckfahnen vor, die ihr nach Paris geschickt werden. Der Roman erscheint jedoch nicht mehr in Deutschland. Diesen und ihren dritten bereits geschriebenen Roman Die Schatzsucher von Venedig nahm sie mit ins US-amerikanische Exil.
Mit Hilfe der Schauspielerin Helen Hayes gelingt es ihr, eine Aufenthaltsgenehmigung für die USA zu bekommen, wo sie ab März 1937 lebt. Sie findet innerhalb kurzer Zeit Zugang zum literarischen Leben ihrer neuen Heimat, wovon Porträts z. B. von Carson McCullers und Thornton Wilder in ihren späteren literarischen Impressionen zeugen.
Viele ihrer Verwandten werden Opfer des Holocaust. Sie selbst muss sich eine neue Existenz aufbauen und macht eine Verwandlung zur engagierten Antifaschistin durch. In ihrem Roman Sixty to Go greift sie die Situation von Flüchtlingen im unbesetzten Südfrankreich auf.
Auch nach dem Krieg bleibt Ruth Landshoff-Yorck ihrem unkonventionellen Lebensstil treu. Sie verkehrt in Schwulen-Clubs, trifft mit der Avantgarde zusammen, begegnet Andy Warhol, Patricia Highsmith und Salvador Dalí. Für das Theater schreibt sie Stücke über Rassismus und Homophobie. Ihr Biograf Thomas Blubacher sagt über die letzte Lebensphase:
Sie war mit dabei, als der Off-Off-Broadway, als diese alternative Szene New Yorks, sich gründete. Für diese jungen Literaten war es natürlich unglaublich faszinierend, Ruth Landshoff-York zu begegnen, was auch hieß, dem alten Europa zu begegnen. Mit einer Frau zu sprechen, die eben Bert Brecht kannte oder Kurt Weill zu ihren Freunden zählte oder Thomas Mann. Wie so viele hatte sie es dann natürlich nicht leicht, nach dem Krieg in der Bundesrepublik wieder anzuknüpfen. Alfred Andersch war ein ganz entschiedener Fürsprecher für diese Literatin, die sozusagen wieder neu entdeckt werden musste in den 50er- und 60er-Jahren.
Kontakte zu deutschen Emigranten hat sie kaum. Schnell gelingt es ihr, auf Englisch zu schreiben. Erst sind es noch kleinere Arbeiten wie Artikel und Gedichte in amerikanischen Zeitschriften, in denen sie sich politischen Themen der Emigration zuwendet, die in den USA durchaus auf Interesse stoßen. Rückblickend auf die Zeit vor dem Faschismus sieht sie sich als „das absurde junge Mädchen, das seine Zeit nicht begreift“. Nun aber begreift sie und widmet ihr Schreiben dem literarischen Kampf gegen den Nationalsozialismus. Sie verfasst Radiostücke und Erzählungen mit deutlich propagandistischer Tendenz. Außerdem ist sie Sprecherin für den Radiosender Voice of America, der 1942 vom Büro für Kriegsberichterstattung gegründet wird und Programme für die von Deutschland besetzten Teile Europas produziert, sowie Mitarbeiterin des „Office of War Information“ und anderer Einrichtungen, die gegen den Faschismus kämpfen.
Ruth Landshoff-Yorck lebt bis zu ihrem Tod 1966 als Publizistin, Übersetzerin und Theaterautorin in New York. Eine dauerhafte Rückkehr nach Deutschland ist für sie ausgeschlossen, sie wird offiziell US-Bürgerin. Sie versteht sich als Vermittlerin zwischen den Kulturen.
Durch ihre Kontakte in Deutschland ermutigt, versucht sie nach dem Zweiten Weltkrieg erneut, auf Deutsch zu schreiben. Gelegentlich erscheinen Beiträge von ihr in deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften wie den Frankfurter Heften, der Kunstzeitschrift DU und Texte und Zeichen. Eine größere Resonanz, ein Anknüpfen an ihre frühen Erfolge in Deutschland gar, bleiben jedoch völlig aus.
Landshoff-York gilt als „Poet Lady“ von Greenwich Village, die sich ganz der Avantgarde verschrieben hat. Nach und nach wird ihre Lage in New York schwieriger. Sie wohnt in einer heruntergekommenen „Kaltwasserwohnung“, oft fehlt ihr das Geld zum Leben, obwohl sie von anderen Emigranten unterstützt wird. Das letzte Buch, das von Ruth Landshoff-Yorck zu Lebzeiten erschien, waren ihre „biographischen Impressionen“, die 1963 unter dem Titel Klatsch, Ruhm und kleine Feuer herauskommen. Der Band ist eine Sammlung von Porträts zahlreicher Personen, die sie persönlich gekannt hat: von Charlie Chaplin über Annemarie Schwarzenbach und Jean-Paul Sartre bis hin zu Arturo Toscanini. Am 19. Januar 1966 stirbt Ruth Landshoff-Yorck während einer Theatermatinée in New York an einem Herzinfarkt.
In ihrem ersten Roman über die junge Berliner Reporterin Louis Lou erzählt sie von jenem temporeichen und intensiven Leben im Umfeld der Avantgarde: Die Vielen und der Eine (1931). Die Heldin Louis Lou ist Reporterin, reist zum Beginn nach Amerika und verliebt sich dort auf einem Empfang in einen jungen Mann – natürlich ein Millionärssohn, den sie, nachdem sie die vielen anderen bekommen hat, am Ende auch noch kriegt. Leicht und schnell erzählt, spielt der Roman mit den Mitteln der Avantgarde genau wie mit Klischees aus Illustrierten und Film. Rasant wechseln die Rollen und Orte. New York, rauschende Partys in Kalifornien, homosexuelle Subkultur. Auf Luxuslinern geht es zurück in die Boheme von Montparnasse, ins Oxforder Studentenmilieu und endet für die einen im Opiumrausch und in den Armen blonder Matrosen und für die anderen in einer Berliner Ballnacht. Alles ist in Bewegung; und althergebrachte Konventionen existieren in Ruths Weltbild nicht. So sagt auch eine der Figuren im Roman: „Ihr könnt euch immer neu erfinden.“
Louis Lou wird von den Printmedien in Szene gesetzt, ohne dass sie über irgendeinen spezifischen Beruf verfügte, der dies nach traditioneller Auffassung rechtfertigen würde. Sie liefert den Journalisten die richtigen Phrasen, weiß sich medientauglich zu profilieren: „… dieses junge Mädchen ohne jede Notabilität – die kein Filmstar war und keine Schauspielerin, die keine Antiquitäten handelte, keinen Schmuck besaß und keinen Onkel, der Gouverneur war oder auch nur Fürst in ihrer Heimat. Er wusste, was er tat, als er Louis Lou einladen ließ … Schöne Mädchen gab es zu der Zeit mehr, als Spatzen auf den Dächern von New York – aber es gab wenige, die so reizende Antworten wussten auf Fragen von Reportern.“
Louis Lou lebt ihr eigenes Image. Als Leser erfährt man nicht mehr von ihr, als dass sie von Reportern umringt in New York eintrifft und im Rest der Geschichte frech und kapriziös durch die Welt reist, dabei viele Männer verschleißt und es auch den Einen gibt. Aber selbst dieser, Percy, hat am Ende des Romans noch kein eigenes Bild von Louis Lou, sondern in seinem Flugzeug „ein Bild von Louis Lou angebracht, dass er aus einer Zeitschrift geschnitten hatte“. Der Roman reproduziert die Erfahrung einer Zeitschriftenlektüre und zeigt zugleich, wie diese Lektüre als Zeitschriftenleben aussehen könnte. Friedrich Sieburg hat es folgendermaßen auf den Punkt gebracht: „Bei ihr ist alles Sekt.“
Ruth Landshoff-Yorck: Die Vielen und der Eine. Roman. Mit einem Nachwort von Walter Fähnders. AvivA Verlag, Berlin 2001. Neuausgabe mit einem Nachwort von Theresia Enzensberger. Rowohlt, Hamburg 2020
Lesen Sie nächste Woche über einen Roman, der die Vorboten des Nationalsozialismus und des Kriegs in der abenteuerlichen Geschichte eines Identitätsverlustes spürbar macht.
Krafts Schattenkanon. Eine Ergänzung. Teil 24: Ruth Landshoff-Yorck, Die Vielen und der Eine (1930)>
300 Jahre Literaturgeschichte hat sich der Münchner Schriftsteller und Publizist Thomas Kraft vorgenommen, um für das Literaturportal Bayern einige Schätze zu heben. Rund 40 unentdeckte Romane und Erzählungen deutschsprachiger Autorinnen und Autoren – darunter bekannte wie weniger bekannte – finden in dieser kurzweiligen Reihe (neu) ans Licht.
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Die Berlinerin ist ein kreatives Multitalent, tummelt sich in Theater- und Filmkreisen, kennt jeden und verkörpert einen neuen Frauentyp: selbstbewusst, sportlich, androgyn. Ein Glamourgirl der europäischen Kulturszene. Vor dem Zweiten Weltkrieg gilt Ruth Landshoff-Yorck als eine Art IT-Girl, das die Jet-Set-Zentren Europas belebt. Intensiv, schnell und lebenshungrig. Ein Star der wilden Zwanziger. Die Magazine reißen sich um sie. Vor den Nazis flieht sie 1937 in die USA und engagiert sich im antifaschistischen Widerstand.
Ursprünglich aus dem jüdischen Bürgertum stammend, 1904 als Ruth Levy geboren – ihr Cousin ist Fritz Landshoff, der später den Exil-Verlag Querido in Amsterdam führt, und der Verleger Samuel Fischer ihr Onkel – besucht sie in Berlin die Schauspielschule, spielt in Friedrich Wilhelm Murnaus Film-Klassiker Nosferatu (1922) und bei Max Reinhardt am Theater mit. Sie pfeift auf Konventionen und Geschlechterrollen, lebt mit Männern und Frauen.
Mit Marlene Dietrich steht die kokette junge Frau mit dem blonden Bubikopf auf der Bühne und verhilft Dietrich zu ihrer Rolle in Der blaue Engel. Selbstkritisch bemerkt sie später, dass sie selbst überhaupt kein Talent zum Schauspielern habe. Sie versucht sich in verschiedenen Bereichen: Film, Theater, Malen – alles Schritte, ihre Kreativität auszuprobieren, bis sie zum Schreiben gelangt.
Glamouröse Fotos, die sie mit Zigarette lässig im Mundwinkel zeigen, tauchen in Modemagazinen auf. Sie gehört zu den ersten autofahrenden Frauen in Berlin. In ihrem Cabriolet rast sie durch ganz Europa, spielt Tennis und Hockey, fährt auch Motorrad. Und sie beginnt über ihren extravaganten Lebensstil zu schreiben. Die Reportagen, Skizzen und Anekdoten erscheinen in Blättern wie Sport im Bild oder Die Dame. Es sind pointierte Texte, die das temporeiche Leben der Republik einfangen.
Landshoff arbeitet von 1927 bis 1930 als Reporterin und Kolumnistin für den Ullstein-Verlag, vor allem für die illustrierte Mode-Zeitschrift Die Dame, aber auch für die deutsche Ausgabe der Vogue, Sport und Bild, die Berliner Illustrierte Zeitung, für Tempo sowie die Literarische Welt. Es sind vor allem Zeitgeistartikel, die sie schreibt, spritzige Texte, Reportagen, Berichte, literarische Skizzen, Reiseimpressionen und Kurznovellen. Häufig geht es darin um Befindlichkeiten von jungen Frauen der damaligen Zeit, um die „Neue Frau“. Es sind schnelle Texte eines schnellen Lebens. Derartige Kurztexte sind in der Weimarer Republik überaus beliebt. Sie bedient sich dabei einer Erzählweise, bei der es im Wesentlichen um Authentizität und weniger um Erfindung geht.
Bei Rowohlt erscheint 1930 ihr erster Roman Die Vielen und der Eine, über die junge Berliner Reporterin Louis Lou, die große Ähnlichkeit mit der Autorin hat. Er findet einige Beachtung und wird etwa von Franz Hessel, Mechtilde Lichnowsky und auch von Annette Kolb besprochen: „Sie hat eine große und liebenswürdige Eigenschaft, sie schreibt nicht langweilig. Aber sie hat einen weiten Weg und wird sich gehörig entsnoben müssen.“
Geplant waren sieben Romane, für die sie bereits einen Vertrag hatte, zwei davon waren auch bereits geschrieben. Vom zweiten, Leben einer Tänzerin, liegen bereits die Druckfahnen vor, die ihr nach Paris geschickt werden. Der Roman erscheint jedoch nicht mehr in Deutschland. Diesen und ihren dritten bereits geschriebenen Roman Die Schatzsucher von Venedig nahm sie mit ins US-amerikanische Exil.
Mit Hilfe der Schauspielerin Helen Hayes gelingt es ihr, eine Aufenthaltsgenehmigung für die USA zu bekommen, wo sie ab März 1937 lebt. Sie findet innerhalb kurzer Zeit Zugang zum literarischen Leben ihrer neuen Heimat, wovon Porträts z. B. von Carson McCullers und Thornton Wilder in ihren späteren literarischen Impressionen zeugen.
Viele ihrer Verwandten werden Opfer des Holocaust. Sie selbst muss sich eine neue Existenz aufbauen und macht eine Verwandlung zur engagierten Antifaschistin durch. In ihrem Roman Sixty to Go greift sie die Situation von Flüchtlingen im unbesetzten Südfrankreich auf.
Auch nach dem Krieg bleibt Ruth Landshoff-Yorck ihrem unkonventionellen Lebensstil treu. Sie verkehrt in Schwulen-Clubs, trifft mit der Avantgarde zusammen, begegnet Andy Warhol, Patricia Highsmith und Salvador Dalí. Für das Theater schreibt sie Stücke über Rassismus und Homophobie. Ihr Biograf Thomas Blubacher sagt über die letzte Lebensphase:
Sie war mit dabei, als der Off-Off-Broadway, als diese alternative Szene New Yorks, sich gründete. Für diese jungen Literaten war es natürlich unglaublich faszinierend, Ruth Landshoff-York zu begegnen, was auch hieß, dem alten Europa zu begegnen. Mit einer Frau zu sprechen, die eben Bert Brecht kannte oder Kurt Weill zu ihren Freunden zählte oder Thomas Mann. Wie so viele hatte sie es dann natürlich nicht leicht, nach dem Krieg in der Bundesrepublik wieder anzuknüpfen. Alfred Andersch war ein ganz entschiedener Fürsprecher für diese Literatin, die sozusagen wieder neu entdeckt werden musste in den 50er- und 60er-Jahren.
Kontakte zu deutschen Emigranten hat sie kaum. Schnell gelingt es ihr, auf Englisch zu schreiben. Erst sind es noch kleinere Arbeiten wie Artikel und Gedichte in amerikanischen Zeitschriften, in denen sie sich politischen Themen der Emigration zuwendet, die in den USA durchaus auf Interesse stoßen. Rückblickend auf die Zeit vor dem Faschismus sieht sie sich als „das absurde junge Mädchen, das seine Zeit nicht begreift“. Nun aber begreift sie und widmet ihr Schreiben dem literarischen Kampf gegen den Nationalsozialismus. Sie verfasst Radiostücke und Erzählungen mit deutlich propagandistischer Tendenz. Außerdem ist sie Sprecherin für den Radiosender Voice of America, der 1942 vom Büro für Kriegsberichterstattung gegründet wird und Programme für die von Deutschland besetzten Teile Europas produziert, sowie Mitarbeiterin des „Office of War Information“ und anderer Einrichtungen, die gegen den Faschismus kämpfen.
Ruth Landshoff-Yorck lebt bis zu ihrem Tod 1966 als Publizistin, Übersetzerin und Theaterautorin in New York. Eine dauerhafte Rückkehr nach Deutschland ist für sie ausgeschlossen, sie wird offiziell US-Bürgerin. Sie versteht sich als Vermittlerin zwischen den Kulturen.
Durch ihre Kontakte in Deutschland ermutigt, versucht sie nach dem Zweiten Weltkrieg erneut, auf Deutsch zu schreiben. Gelegentlich erscheinen Beiträge von ihr in deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften wie den Frankfurter Heften, der Kunstzeitschrift DU und Texte und Zeichen. Eine größere Resonanz, ein Anknüpfen an ihre frühen Erfolge in Deutschland gar, bleiben jedoch völlig aus.
Landshoff-York gilt als „Poet Lady“ von Greenwich Village, die sich ganz der Avantgarde verschrieben hat. Nach und nach wird ihre Lage in New York schwieriger. Sie wohnt in einer heruntergekommenen „Kaltwasserwohnung“, oft fehlt ihr das Geld zum Leben, obwohl sie von anderen Emigranten unterstützt wird. Das letzte Buch, das von Ruth Landshoff-Yorck zu Lebzeiten erschien, waren ihre „biographischen Impressionen“, die 1963 unter dem Titel Klatsch, Ruhm und kleine Feuer herauskommen. Der Band ist eine Sammlung von Porträts zahlreicher Personen, die sie persönlich gekannt hat: von Charlie Chaplin über Annemarie Schwarzenbach und Jean-Paul Sartre bis hin zu Arturo Toscanini. Am 19. Januar 1966 stirbt Ruth Landshoff-Yorck während einer Theatermatinée in New York an einem Herzinfarkt.
In ihrem ersten Roman über die junge Berliner Reporterin Louis Lou erzählt sie von jenem temporeichen und intensiven Leben im Umfeld der Avantgarde: Die Vielen und der Eine (1931). Die Heldin Louis Lou ist Reporterin, reist zum Beginn nach Amerika und verliebt sich dort auf einem Empfang in einen jungen Mann – natürlich ein Millionärssohn, den sie, nachdem sie die vielen anderen bekommen hat, am Ende auch noch kriegt. Leicht und schnell erzählt, spielt der Roman mit den Mitteln der Avantgarde genau wie mit Klischees aus Illustrierten und Film. Rasant wechseln die Rollen und Orte. New York, rauschende Partys in Kalifornien, homosexuelle Subkultur. Auf Luxuslinern geht es zurück in die Boheme von Montparnasse, ins Oxforder Studentenmilieu und endet für die einen im Opiumrausch und in den Armen blonder Matrosen und für die anderen in einer Berliner Ballnacht. Alles ist in Bewegung; und althergebrachte Konventionen existieren in Ruths Weltbild nicht. So sagt auch eine der Figuren im Roman: „Ihr könnt euch immer neu erfinden.“
Louis Lou wird von den Printmedien in Szene gesetzt, ohne dass sie über irgendeinen spezifischen Beruf verfügte, der dies nach traditioneller Auffassung rechtfertigen würde. Sie liefert den Journalisten die richtigen Phrasen, weiß sich medientauglich zu profilieren: „… dieses junge Mädchen ohne jede Notabilität – die kein Filmstar war und keine Schauspielerin, die keine Antiquitäten handelte, keinen Schmuck besaß und keinen Onkel, der Gouverneur war oder auch nur Fürst in ihrer Heimat. Er wusste, was er tat, als er Louis Lou einladen ließ … Schöne Mädchen gab es zu der Zeit mehr, als Spatzen auf den Dächern von New York – aber es gab wenige, die so reizende Antworten wussten auf Fragen von Reportern.“
Louis Lou lebt ihr eigenes Image. Als Leser erfährt man nicht mehr von ihr, als dass sie von Reportern umringt in New York eintrifft und im Rest der Geschichte frech und kapriziös durch die Welt reist, dabei viele Männer verschleißt und es auch den Einen gibt. Aber selbst dieser, Percy, hat am Ende des Romans noch kein eigenes Bild von Louis Lou, sondern in seinem Flugzeug „ein Bild von Louis Lou angebracht, dass er aus einer Zeitschrift geschnitten hatte“. Der Roman reproduziert die Erfahrung einer Zeitschriftenlektüre und zeigt zugleich, wie diese Lektüre als Zeitschriftenleben aussehen könnte. Friedrich Sieburg hat es folgendermaßen auf den Punkt gebracht: „Bei ihr ist alles Sekt.“
Ruth Landshoff-Yorck: Die Vielen und der Eine. Roman. Mit einem Nachwort von Walter Fähnders. AvivA Verlag, Berlin 2001. Neuausgabe mit einem Nachwort von Theresia Enzensberger. Rowohlt, Hamburg 2020
Lesen Sie nächste Woche über einen Roman, der die Vorboten des Nationalsozialismus und des Kriegs in der abenteuerlichen Geschichte eines Identitätsverlustes spürbar macht.