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05.06.2025, 10:24 Uhr
Thomas Kraft
Text & Debatte

Krafts Schattenkanon. Eine Ergänzung. Teil 18: Hans Herbert Grimm, Schlump (1928)

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Cover des Antikriegsromans "Schlump" von Hans Herbert Grimm © Verlag Kiepenheuer & Witsch

300 Jahre Literaturgeschichte hat sich der Münchner Schriftsteller und Publizist Thomas Kraft vorgenommen, um für das Literaturportal Bayern einige Schätze zu heben. Rund 40 unentdeckte Romane und Erzählungen deutschsprachiger Autorinnen und Autoren –  darunter bekannte wie weniger bekannte – finden in dieser kurzweiligen Reihe (neu) ans Licht.

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Trotz des Werbeaufwands, den der Verleger Kurt Wolff betreibt, bleibt Grimms Roman Schlump weitgehend unbeachtet. Erich Maria Remarques Anti-Kriegsroman Westen nichts Neues zieht alle Aufmerksamkeit auf sich. Zehn Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs ist das Publikum noch nicht reif für Grimms Schelmenstück über „Geschichten und Abenteuer aus dem Leben des unbekannten Musketiers Emil Schulz, genannt Schlump. Von ihm selbst erzählt“, wie das Buch in Anspielung auf den berühmten Schelmenropman Simplicissimus von Grimmelshausen im Untertitel benannt ist. Das liegt vielleicht mit daran, dass der jugendliche Held sich dank seiner naiven Liebenswürdigkeit durch die Kriegswirren zu lavieren weiß, ohne einen einzigen Schuss abzugeben.

Erzählt wird die kurzweilige Geschichte eines jungen Mannes, der zu Kriegsbeginn das lockere Leben in Kasernen und Kneipen genießt, bald aber im Schützengraben das Grauen erleben muss und schließlich im Lazarett landet. Wobei es das große Verdienst des Autors ist, dass er seinen Bericht eben nicht auf die Schützengräben beschränkt, sondern auch die zivilen Aspekte des Krieges einbezieht: den Männermangel in der französischen Provinz, die Beziehungen zwischen den Soldaten seiner Truppe, das merkwürdige Gefühl, einen „Krieg ohne Feindschaft“ zu kämpfen, auch wenn es auf beiden Seiten die „Kriegsmutwilligen“ gibt. Das Buch ist Grimms ironische Abrechnung mit dem Militarismus seiner Zeit, kein Wunder also, dass die Nationalsozialisten es später verbieten und verbrennen.

In diesem Roman von der gar nicht lustigen Westfront des Ersten Weltkriegs wird viel und gern schallend gelacht. Grimm schreibt lakonisch und höchst präzise über den Krieg, lässt seine Helden aber immer wieder abschweifen. Schlump, so der Name des Ich-Erzählers, erzählt Fabeln, Anekdoten und Träume, wahre und erfundene Geschichten abseits jeglicher Kriegsromantik, wie auch abseits nüchterner Aufzählung von Tod und Sterben. Grimm verharmlost nicht, aber er beschreibt die Erlebnisse seines Helden mitunter poetisch und fantastisch, voller Zuneigung und mit Liebe zum Detail. Er bedient sich dabei einer kunstvoll vereinfachten Sprache, einer Sprache ohne Scheu vor den „niederen“ Realitäten, ohne Drang zum hohen Ton. Modern, oft in kurzen atemlosen Sätzen, ab und zu märchenhaft, zart, auch lautmalend. Die erzählerische Strategie dieses Romans ist ebenso schlicht wie wirkungsvoll: das Glück des Sex‘ und das Heilsversprechen der Liebe in Anschlag bringen gegen die Schrecken des Krieges. Etwas Besseres als den Tod findet dieser Schlump im Glück allemal.

Als Freiwilliger zieht der 17-jährige Emil Schulz, genannt Schlump, im August 1915 in einen Krieg, der zu diesem Zeitpunkt längst hätte vorbei sein sollen. Doch Schlump hat Glück. Weil er etwas Französisch kann, landet er zunächst als Kommandant eines besetzten Dorfes in der Etappe. Die Kommandantur ist in einer Gastwirtschaft untergebracht, und der junge Mann lebt da nicht nur wie die Made im Speck, sondern genießt auch die Gunst der Mädchen im Ort, die allesamt hübsch sind und vor allem willig. Ein Mädchen hat er zu Hause zurückgelassen, die Johanna, die anders als die anderen ist: eine heilige Johanna nämlich, wie sich am Ende, wenn alles überstanden ist, herausstellen wird.

Als der freundliche Besatzer Schlump schließlich doch an die Front abkommandiert wird, trennen sich die Dörfler unter Tränen von ihrem geliebten Boche. Er selbst empfindet seine Versetzung als Schmach, schließlich heißt es unter den Soldaten, nur die Dummen kämen zur Infanterie.

Später wird Schlump beim Latrinengang durch die Explosion einer Propellermine verwundet, kommt ins Lazarett, dann zurück in den Schützengraben:

Erste Linie, dritte Linie, Ruhe; immer je sechs Tage, das war der aufreibende und gefährliche Dreitakt, in den sich Schlump jetzt eingespannt sah. Das war aufregend und abstumpfend zugleich. Man sah keinen Feind, man musste sich abschießen lassen und konnte sich nicht wehren. Nur Posten stehen vor dem Drahtverhau, nichts als Posten stehen … die Stimmung war schlecht, die Soldaten hungerten und führten verdrossene Reden. Wie glücklich sind die, denen sie einen Arm abgeschossen haben oder ein Bein. Sie sind jetzt zu Hause, sie können sich ins Bett legen und schlafen, schlafen, schlafen. Schlump war schrecklich enttäuscht von diesem Krieg. Und die Gelegenheit zu einer Heldentat wollte immer noch nicht kommen.

An der Front erlebt Schlump mit seiner „goldenen, kindlichen Harmlosigkeit“ den Krieg als großes Schauspiel. „Die heißen Splitter schlugen links und rechts in den nassen Lehm, huff, huff, huff. Die schweren Zünder sausten allein durch die Luft, nachdem die Granate zerplatzt war, und brummten wie die Hummeln. Ein Konzert!“

Schlump hat das Glück, noch einmal schwer verwundet zu werden und abermals ins Lazarett und vorübergehend sogar nach Hause zu kommen, wo sein Vater am Hungertyphus stirbt. Schlumps Krieg endet wieder in der Etappe, als Mitarbeiter einer Wechselstube. Er macht hier Geschäfte wie die anderen, obwohl er kein „geborener Schieber“ ist. Als nach der Kapitulation Russlands die deutschen Truppen von der Ost- an die Westfront verlegt werden, weiß Schlump längst, dass der Krieg verloren ist. Die Schuld an seiner sinnlosen Verlängerung gibt er dem Kaiser und seinen Generälen: „Das große Unternehmen war nicht zu Ende gedacht, und so mussten unzählige junge Menschen einen furchtbaren, entsetzlichen Tod sterben.“

Der Altenburger Lehrer und Autor Hans Herbert Grimm, der das Buch 1928 aus Angst um seine bürgerliche Stellung unter Pseudonym veröffentlicht, mauert das Original zu Hause ein, um sich und seine Familie zu schützen. Der Sohn eines Kaufmanns hat Philosophie und Germanistik studiert und arbeitet als Lehrer für Französisch, Italienisch und Spanisch am Karolinum in Altenburg. Um nicht aus dem Schuldienst entlassen zu werden, tritt er in die NSDAP ein und wird im Zweiten Weltkrieg als Dolmetscher an der Westfront eingesetzt. Nach Kriegsende darf er seinen Beruf nicht mehr ausüben und arbeitet kurz als Dramaturg am Landestheater Altenberg, bevor man ihn zur Arbeit in einer Sandgrube schickt. Die DDR-Behörden laden ihn 1950 zu einem Gespräch nach Weimar ein. Über dessen Inhalt ist nichts bekannt. Zwei Tage später nimmt sich Grimm zuhause das Leben.

Hans Herbert Grimm: Schlump. Geschichten und Abenteuer aus dem Leben des unbekannten Musketiers Emil Schulz, genannt „Schlump“ von ihm selbst erzählt. Köln 2014

Lesen Sie nächste Woche von einem kaltherzigen Don Juan, der seine Geliebte ins Unglück stürzt.