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16.09.2025, 07:37 Uhr
Dagmar Leupold
Rezensionen

Dagmar Leupold bedauert Mängel in der ersten Biografie (2025) des in Würzburg geborenen israelischen Dichters Jehuda Amichai

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(c) Schrenk Verlag

Jehuda Amichai, geboren 1924 in Würzburg als Ludwig Otto Pfeufer wird ab den 1960er-Jahren als Dichter bekannt, hat aber auch Prosa verfasst. Hans D. Amadé Esprerer hat sich auf die Lebensspuren des wichtigen israelischen Dichters begeben. Bedauerlicherweise lässt er es bei der Schilderung dieses Lebenswegs ebenso an dramaturgischem Gespür fehlen wie der Verlag offenbar an einem Korrektorat.

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Hans D. Amadé Esperer hat eine umfassende Biografie des bedeutenden israelischen Dichters Jehuda Amichai vorgelegt, der 1924 als Ludwig Otto Pfeuffer in Würzburg geboren wurde und als Zwölfjähriger mit der Familie ins britische Mandatsgebiet Palästina (gerade noch rechtzeitig) auswanderte. Esperer geht chronologisch vor: Auf die Vorstellung der alteingesessenen deutsch-jüdischen Diaspora in Unterfranken folgen die Schilderungen der Kindheitsjahre in Würzburg, Giebelstadt und Gersfeld (dort lebten große Teile der mütterlichen und väterlichen Verwandtschaft), sowie der Stationen Palästina und Jerusalem. Die weiteren Kapitel widmen sich den dichterischen Anfängen, den Kriegserfahrungen Amichais – in vier Kriegen aktiver Soldat –, der Aufnahme von Beziehungen zu seiner Geburtsstadt Würzburg, seinem Tod im Jahr 2000, dem Nachleben und thematischen und poetologischen Aspekten des Gesamtwerks.

Amichais Weltruhm begann im Jahr 1965, als der Dichter Ted Hughes in England zusammen mit Daniel Weissbort die Zeitschrift Modern Poetry in Translation gründete und in der ersten Ausgabe einige Gedichte Amichais in englischer Übersetzung aufnahm. Das erwies sich als katalytisch für Amichais internationale Anerkennung. Auf die Veröffentlichung folgten prompt Einladungen zu bedeutenden literarischen Veranstaltungen, etwa das „Festival dei due Mondi“ in Spoleto, wo Amichai 1966 auf bewunderte Kollegen wie W. H. Auden, Ezra Pound und Octavio Paz traf. Aus den Begegnungen ging ein veritables Netzwerk hervor, das Esperer umfassend würdigt, dokumentiert in einer umfangreichen Korrespondenz, in Skizzen und Tagebüchern, heute im Beineke-Archiv der Yale-Universität in den USA zu finden. Die Freundschaft mit Ted Hughes wurde eine lebenslange und sorgte für eine breite Präsenz von Amichais lyrischem Werk im englischsprachigen Raum.

Besonders berührend, die Jugendzeit Amichais betreffend, ist die Schilderung der Tragödie der „kleinen Ruth“, einer Schulfreundin, der nach einem Unfall ein Bein amputiert werden musste, und die als Behinderte im Vernichtungslager Sobibor, Polen, sofort nach der Ankunft am 18. Mai 1943 ermordet wurde. Ihr sind mehrere Gedichte gewidmet.

Die Besonderheit dieser Biografie liegt in der engen Verknüpfung von Werk und Leben. Alle Stationen Amichais werden anhand ausgewählter Gedichte (in Esperers Übersetzung) oder ausführlicher Zitate aus Tagebüchern und Erinnerungen von Weggefährten, Kindern oder Chana Sokolov – Amichais zweite Ehefrau - beleuchtet, und über „close reading“ erschlossen. Das ist immer wieder erhellend, allerdings schleicht sich mit fortschreitender Lektüre ein gewisses Unbehagen ein, weil die poetischen Texte nur mehr illustrativ gelesen werden und Belegcharakter erhalten. Auch herrscht ein gewisses Missverhältnis zwischen knappen Textanalysen und der Länge und Vielzahl der zum Beleg angeführten Texte.

Als Beispiel seien hier die Kämpfe um Chuleikat im Juli 1948 genannt, bei denen (der Soldat) Amichai seinen Freund Dickie verlor: der Schilderung des Schlachtverlaufs folgt ein langer Auszug aus Amichais Schriften sowie Auszüge aus drei Gedichten, nämlich „Sieben Klagen für die Kriegstoten“, „Chuleikat – Das dritte Gedicht über meinen Freund Dickie“ und „Seit damals“. Ein solches Verfahren mag naheliegend erscheinen, insofern Amichais Lyrik sehr direkt, sehr erzählerisch ist und die Gedichte die konkreten Anlässe für die Niederschrift selbst thematisieren. Aber es führt zu einer gewissen Überinstrumentierung, die die Lektüre ermüdend macht. Straffung, Akzentuierung und Pointierung wären wünschenswert und dem (nicht ganz unwichtigen) Aspekt zuträglich gewesen, zur Lektüre des Werks eines der wichtigsten zeitgenössischen israelischen Schriftsteller anzuregen. Die dramaturgisch nicht gebändigte Materialfülle erweist sich so als kontraproduktiv für Anschaulichkeit und Prägnanz.

Profunder Kenner von Amichais Werk

Zweifellos ist Esperer ein profunder Kenner von Amichais Werk und Wirken und die Detailliertheit der Recherche verdient Respekt.  Aber die Biografie verbleibt eigentümlich unentschlossen zwischen wissenschaftlicher Anmutung – kaum ein Absatz ohne Quellenangaben, die den Lesefluss hemmen  – und schlichter Aufzählung der Lebensstationen und -ereignisse, unterlegt mit den bereits angeführten ausführlichen Zitaten aus dem Werk. Literaturgeschichtliche Einordnung und Fragen der Poetologie nehmen dagegen wenig Raum ein. So wird beispielsweise über den zweiten Roman Amichais Wer gibt mir eine Bleibe lediglich festgestellt, dass das „erotische und sexuelle Element“ in den 70er Jahren stärker hervorträte, weil Amichai nicht länger als „Dichter schöner Dinge“ gelten wolle. Da bleiben viele Fragezeichen. Zu viel Raum dagegen nimmt im Kapitel „Nachleben des Dichters“ das Wirken des Verfassers selbst – so verdienstvoll es sein mag – und der Nachruhm Amichais als Sohn der Stadt Würzburg in Anspruch. Das nährt ein wenig den Eindruck des Provinziellen.

Wirklich beklagenswert jedoch ist die Vielzahl von Schreibfehlern, die große Mängel im Lektorat und bei der Schlussredaktion verraten: So wird im Inhaltsverzeichnis das Kapitel „Amichai in der politischen Vita Activa“ als „Amichai in der polnischen Vita Activa“ angekündigt, der Vorname der ersten Frau – Tamar – wird an einer Stelle zu „Tamir, Caliofornia“ (statt „California“), „San Franzisco“ statt „San Francisco“, „Orginalien“ statt „Originale“, „Archiv-Gesetzt“ statt „Archiv-Gesetz“ – um nur einige wenige zu nennen. Ärgerlich auch, dass es zwar ein ausführliches Literaturverzeichnis gibt, aber zwischen Personen- und Sachregister respektive Glossar nicht unterschieden wird bzw. das erstere gar nicht auftaucht. Dafür werden im Glossar neben der Erläuterung hebräischer Begriffe oder religiöser Termini auch „Rilke, Rainer M.“ oder „Krüger, Michael“ angeführt.

Bedauerlich, dass es dieser Biografie nicht gelingt, Neugier auf Amichais Werk zu erzeugen – für Kenner mag sie freilich als Nachschlagewerk zu bestimmten Aspekten seines Schaffens dienlich sein.

Hans D. Amadé Esperer: Jehuda Amichai alias Ludwig Otto Pfeuffer. Dichter zwischen zwei Welten – eiine lyrische Biographie. Schrenk Verlag 2025, 234 Seiten

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