Interview mit der Übersetzerin Tanja Handels über literarisches Übersetzen im KI-Zeitalter
Zur Reihe: Über kaum eine technologische Errungenschaft wird so viel geredet und gestritten wie über KI, die Künstliche Intelligenz in Form von ChatGPT und anderen, sich immer rasanter entwickelnden Tools. Ihre einschneidenden Auswirkungen auf unsere Gesellschaft werden sowohl als innovativ und arbeitsentlastend begrüßt als auch in ihren sozialen und arbeitsmarktgefährdenden Aspekten kritisch hinterfragt. Welche Konsequenzen haben diese Entwicklungen für die Kunst- und Literaturschaffenden in Bayern? Inwiefern wirkt sich KI auf ihre Arbeits- und Lebensbedingungen aus? Welche Erkenntnisse lassen sich gewinnen? In der Reihe „Die KI und wir“ widmet sich das Literaturportal diesem brisanten, aktuellen Thema in Form von Gesprächen, Berichten, Geschichten und Rezensionen.
Das folgende Gespräch über den Unterschied von menschlichem und KI-generiertem literarischen Übersetzen führte Andrea Heuser für das Literaturportal mit der Übersetzerin Tanja Handels.
*
LITERATURPORTAL BAYERN: Liebe Tanja Handels, Sie sind gerade mit dem Christoph-Martin-Wieland-Übersetzerpreis ausgezeichnet worden. Ganz herzliche Gratulation dazu auch von Seiten unserer Redaktion! Dies einleitend gleich zum Anlass genommen: Wie ist das Leben als Übersetzerin heutzutage, wie geht es Ihnen damit?
TANJA HANDELS: Vielen lieben Dank für die Glückwünsche. Ich bin nach wie vor eine glückliche Übersetzerin. Es ist nicht so, dass ich immer schon vorgehabt hätte, Übersetzerin zu werden; aber seit ich es bin, möchte ich nichts anders mehr machen. Ich habe das große Glück, dass ich nach wie vor viele Projekte habe, mit denen ich mich identifizieren kann, die mich herausfordern und ausfüllen.
Allerdings wird es nicht leichter. Die Honorare für literaturübersetzende Menschen steigen nicht. Die Preise für den Lebensunterhalt insgesamt aber schon, wie wir alle wissen. Da ist so ein Preis wie der Christoph-Martin-Wieland-Übersetzerpreis natürlich ökonomisch ein Segen; aber nicht nur. Gottseidank gibt es hier [in Deutschland] noch eine vielfältige Preis- und Förderungslandschaft auch in unserem Bereich der literarischen Übersetzungen. Das ist eine sehr wichtige Form der Anerkennung und Würdigung unserer Arbeit.
LPB: Was würden Sie sagen, ist die besondere Herausforderung? Worin besteht denn die Kunst des literarischen Übersetzens? Und gleich auch vor dem Hintergrund unseres Themas weitergefragt: Warum reicht es nicht aus, salopp gesagt, den ganzen Text durch DeepL [eine derzeit gängige Übersetzersoftware] zu jagen und gut ist?
HANDELS: Ich glaube, Übersetzen ist vor allem eine Kunst der Einfühlung, der Empathie. Ich lese ein Buch, das mir zum Übersetzen angeboten wird, zunächst aus der Perspektive der Leserin, um das Werk erst einmal auf mich wirken zu lassen. Und diese Wirkung, die ich aus dem Buch herauslese, übersetze ich dann hinterher in meine deutsche Fassung auch wieder hinein. Ich bin daher auch so etwas wie eine „Modell-Leserin“. Eine andere Person würde das Buch daher auch ganz anders übersetzen, weil es einfach keine „einzig richtige“ Fassung gibt. In einem Übersetzerworkshop hat man am Ende oft so viele verschiedene Übersetzungen wie Teilnehmende. Das ist eine der grundsätzlichen Herausforderungen überhaupt.
Damit die Lesenden sich in der deutschen Fassung genauso mit den einzelnen Figuren identifizieren können wie mit dem Stil und der Sprache der Autorin, des Autors selbst, muss ich mich einfühlen können. Und in dieser emotionalen Qualität sehe ich einen wesentlichen Unterschied zu KI generierten, von der Maschine übersetzten Texten. Ich entscheide mich also ganz bewusst für bestimmte literarisch-stilistische Mittel, damit ich die Wirkung, die ich erzielen möchte, am Ende auch erreiche. Gutes Übersetzen besteht also nicht nur darin, einfach nur eins zu eins Wort für Wort zu übersetzen, wie das eine KI wohl täte, sondern darin zu beurteilen: Wann muss ich ganz nah am Text bleiben, und wann muss ich weiter von ihm weg? Als Literaturübersetzerin arbeite ich nach dem Prinzip: So treu wie nötig und so frei wie möglich. Und in dieser unerlässlichen Freiheit liegt auch der kreative, künstlerische, gewissermaßen nach-schöpferische Aspekt unserer Arbeit.
Tanja Handels © Anja Kapunkt
LPB: So wie Sie den Beruf des literarischen Übersetzens beschreiben, wird auch noch einmal die kongeniale, kreative Leistung dieses Berufs deutlich. Diese Leistung wird von den jeweiligen Verlagen unterschiedlich stark hervorgehoben. Bei manchen erscheint die Person, die das Werk übersetzt hat, namentlich bereits vorne mit auf dem Cover, in anderen Verlagen auf der ersten Seite; manchmal findet man in der Klappe des Schutzumschlags Autor und Übersetzer mit Angaben zur Person gleichberechtigt abgebildet; oftmals jedoch auch nur den Autor oder die Autorin. Was aber auf jeden Fall unumstößlich bleibt, ist der Part der kreativen Freiheit, der Einfühlung und des Mitdenkens beim literarischen Übersetzen. Dies sind bislang noch ausschließlich menschliche Skills… Als Vorsitzende des Münchner Übersetzer-Forums stehen Sie auch in dieser Funktion in engem Austausch mit anderen literaturübersetzenden Personen. Was macht Ihrer Ansicht nach das „menschliche“ Übersetzen weiterhin notwendig? Was, in Hinblick auch auf die besagten menschlichen Skills, kann KI nicht ersetzen?
HANDELS: Zuerst einmal: Die übersetzende Person kann denken. Das kann KI nicht. Sie erweckt zwar den Anschein, wenn man sich z.B. mit Chat GTP „unterhält“ oder das Programm einen Text schreiben lässt. Aber tatsächlich gibt das Tool ja nur Eingespeistes wieder, das ist reine Reproduktion. Fühlen kann es auch nicht. Zwar kann KI inzwischen so menschliche Dinge wie Humor simulieren, bis zu einem gewissen Grad auch Wortspiele, aber das alles eben nur im Rahmen dessen, was man in sie eingegeben hat. Eine übersetzende Person hingegen kann sich nicht nur hineindenken, sondern auch in Gefühlslagen und Situationen einfühlen, die für die Person selbst noch neu und unbekannt sind.
LPB: Mit dem Verweis auf die eingespeisten Daten sprechen Sie einen wichtigen Punkt an; den des so genannten „KI-Trainings“. Wobei dieser Begriff – dies wird inzwischen ja Gottseidank immer kritischer angemerkt – die Tatsache verschleiert, dass es sich hierbei um eine „illegale Aneignung“ von urheberrechtgeschützten Daten und Gedankengut handelt, für deren Zweckentfremdung die Urhebenden nicht nur nicht vergütet werden, sondern wovon sie in aller Regel auch keinerlei Kenntnis haben. Die Möglichkeit des Opt out, also in der Publikation an ausgewiesener Stelle anzugeben, dass KI mit den Inhalten des Werks nicht „trainiert“ werden darf, ist ein erster Schritt, sich hiervor möglicherweise zu wappnen. Es gibt zudem aber auch systemische Risiken beim Übersetzen im Umgang mit KI. Können Sie uns dazu etwas sagen?
HANDELS: Es gibt verschiedene Risiken und Probleme. Das eine ist ein ganz praxisbezogenes und letztlich ökonomisches Problem: die Vorübersetzung eines literarischen Textes durch KI (gängige Übersetzersoftware: DeepL). Einige deutsche Verlage, zum Glück bisher allerdings die wenigsten, arbeiten aus Gründen der Zeit- und Kostenersparnis bereits so. Diese Verlage beauftragen uns Übersetzerinnen und Übersetzer dann nur noch mit dem so genannten Post-Editing. Sprich, unsere Aufgabe besteht dann lediglich darin, aus dem maschinenübersetzten Text einen besseren, lesbaren Text zu machen, die „menschliche“ Komponente noch dazu zu addieren.
Das Problem dabei ist, dass es de facto nicht nur gar nicht schneller geht – es wird auch aufwändiger und komplizierter, da wir dann mit zwei Texten hantieren müssen: mit der von der KI generierten Textversion UND dem Original. Das heißt, ich kann einerseits nicht mehr frei mit dem Original umgehen und komme andererseits durch den Zwischentext gar nicht mehr an die Möglichkeiten, die ich hätte, wenn ich übersetzend nur mit dem Original und seiner Wirkung auf mich kommunizieren würde. Im Zweifel ist es also viel mehr Aufwand, eine maschinenübersetzte Version zu überarbeiten, die man im Prinzip vollkommen neu machen müsste.
Wir bekommen für so eine Arbeit auch gar keine Übersetzungsverträge mehr, sondern Redaktionsverträge. Dadurch ist unsere Arbeit keine urheberrechtlich geschützte Leistung mehr, und wir werden entsprechend nicht mehr wie sonst üblich – wenn auch in einem Maße, das durchaus ausbaufähig wäre – an den Erlösen beteiligt. Wenn wir jetzt nur eine KI-Version des Textes redigieren, werden wir also für tendenziell mehr Arbeit ungleich schlechter bezahlt. Für ein solches Post-Editing werden etwa 5 Euro pro Normseite geboten. Und das sind Szenarien – da kann sich den Beruf bald niemand mehr leisten. Von der literarischen Qualität des Endproduktes einmal ganz zu schweigen.
Der hochliterarische Bereich ist aufgrund des höheren Grades an Kunstfertigkeit der Sprache da natürlich noch eher geschützt, als der reine Unterhaltungssektor. Die heutigen KI-Programme haben bislang noch Grenzen im Umgang mit kreativen Eigenleistungen. Wenn man etwa an Autoren wie James Joyce denkt, an die Neuübersetzung von Finnegans Wake, an der mein Kollege Ulrich Blumenbach gerade arbeitet, solch eine sprachliche Hochartistik mit all den Wortneuschöpfungen wäre für DeepL und jedes weitere derzeitige KI-Programm absolut unmöglich zu leisten. Wollen wir nur hoffen, dass Ulrichs Übersetzung dann nicht zu „Trainingszwecken“ verwendet wird!
LPB: Das ist ein sehr schönes Beispiel von Ihnen, James Joyce – daran könnte man vielleicht die Formel festmachen: Je kunstvoller die Sprache und Form eines Werkes, etwa auch in der Lyrik, desto „menschensicherer“ ist die Tätigkeit des Übersetzens. Wobei: die Differenzierung zwischen Menschensprache und Maschinensprache – wie gesichert ist eine solche Unterscheidbarkeit?
HANDELS: Noch kann man diese Sprachen sicherlich unterscheiden. Aber dies war nur der eine Aspekt im Umgang mit gehobener Belletristik. Auf den in den letzten Jahren immens angewachsenen Bereich der Unterhaltungsliteratur, auf das so genannte „Lesefutter“ bezogen (z.B. Romance- und New Adult-Reihen), birgt der Umgang mit KI ein anderes Risiko. Ein inhaltlich interessanter, aber sprachlich wenig komplexer Text, den man einfach mal so durch das Programm jagen kann, bringt einen nämlich auf die eingangs erwähnte Unterscheidung zurück: Die KI kann nun einmal nicht denken und sich nicht einfühlen. Und ich will mich doch gerade im Romance-Sektor oder bei New adult-Themen mit den Figuren und ihrer individuellen Sprache identifizieren. Es handelt sich ja hier nicht um Gebrauchsanweisungen.
Wenn die Programme aber eine nicht-natürliche, steife Sprache verwenden, wird es schwierig. Aber selbst wenn man argumentiert, dass die Natürlichkeit des Tons bei Software wie DeepL sich derzeit rasant entwickelt – gerade dann stoßen wir auf eine noch größere Schwierigkeit. Die jungen Lesenden gewöhnen sich immer mehr an eine „Maschinensprache“ und halten diese mit der Zeit möglicherweise für die natürliche. Darin sehe ich die größte Gefahr. Zwar sind Sprachen per se etwa Dynamisches und entwickeln sich – aber im Umgang mit KI als Sprach- und Literaturgenerator ist das problematisch. Man weiß und merkt ja selbst, wie schnell man sich an die Dinge gewöhnt. Und wenn diese Gewöhnung auf stilistischer und sprachlich unterkomplexer Ebene stattfindet, dann ist das bedenkenswert. Vielleicht findet man dann bald von Menschen geschriebene Texte komisch oder altmodisch oder eben zu schwierig.
LPB: In diesem Sinne könnte man fast behaupten, trainieren wir nicht nur die KI, sondern die KI trainiert umgekehrt eben auch uns. Weil sich unsere an KI „trainierten“ Hör- und Lesegewohnheiten so sukzessive verändern.
Um abschließend aber wieder positiv-konstruktiv in die Zukunft zu sehen: Was würden Sie jungen Menschen raten, die sich für den Beruf des literarischen Übersetzens interessieren? Was für Tipps im Umgang mit KI, aber auch generell hätten Sie da?
HANDELS: Auf jeden Fall in den VdÜ eintreten, den Verband deutschsprachiger Übersetzer/innen literarischer und wissenschaftlicher Werke e.V., wie er offiziell heißt, der an die Gewerkschaft ver.di angeschlossen ist.
Da hat man erstens eine berufliche Rechtsschutzversicherung. Und zweitens den Austausch mit anderen Literaturübersetzenden. Es gibt dort Foren, in denen berufsbezogene Fragen diskutiert werden und man sich auch mit Übersetzungsfragen und -problemen zu Wort melden kann.
Der VdÜ veranstaltet auch einmal im Jahr die ganz tolle „Jahrestagung des VdÜ in Wolfenbüttel“, die wir alle sehr lieben, mit Seminaren, Podien, Workshops, Lesungen, Party. Das ist ein unbedingtes Highlight. Der kollegiale Austausch ist ohnehin elementar. Wichtig ist aber auch, dass man mit den Aufraggebern im Gespräch bleibt; dass man versucht, mit der Lektorin, mit dem Lektor zu reden. Eben nicht nur über Beteiligungs- und Verlagsfragen, sondern auch über KI: Wie setzt der Verlag KI ein? Gibt es Möglichkeiten des Opt out? Welche Entwicklungen hinsichtlich KI werden angestrebt? Es ist ja kein hierarchisches Verhältnis. Die Übersetzung ist eine Dienstleistung, an der der Verlag interessiert ist. In dem Vertragsverhältnis ist man also ein gleichberechtigter Partner. Das vergisst man als junger Mensch mitunter oder traut sich zu wenig hinein in den Austausch.
Dann ganz wichtig auch: sich nach dem Studiengang: Literarisches Übersetzen an der LMU erkundigen, der inzwischen als weiterbildender Master-Studiengang neben Englisch nun auch Französisch, Russisch, Spanisch und Italienisch als Ausgangssprache anbietet. Da schafft man sich eine gute Grundlage für alles Weitere. Wir brauchen Nachwuchs in diesem Bereich, nicht zuletzt als eine Art menschliches Bollwerk gegen KI. Und selbst wenn die Bedingungen insgesamt schon mal besser waren, es ist immer noch ein wunderschöner Beruf.
LPB: Das ist doch schon, fast, ein schönes Schlusswort. Denn schließlich möchte man doch das tun, was man liebt und darin ist man dann eben auch besonders gut. Haben Sie eigentlich eine Lieblingsautorin oder -autor beim Übersetzen und gab es auch schon mal die Situation, dass Sie gesagt haben: Dieses Werk kann oder mag ich nicht übersetzen?
HANDELS: Ich habe das große Glück, dass ich eine meiner langjährigen Lieblingsautorinnen vor 15 Jahren tatsächlich als Übersetzerin angeboten bekam: Zadie Smith. Das ist nach wie vor beglückend. Ich kenne ihre Stimme, ich kenne sie inzwischen auch persönlich. In der Übersetzung ihrer Werke fühle ich mich inzwischen sehr zuhause – auch wenn sie die Eigenschaft hat, sich mit jedem Buch, das sie schreibt, noch einmal ein bisschen neu zu erfinden. Und für die Übersetzung ihres Romans The Fraud, auf Deutsch Betrug, habe ich ja auch gerade den Christoph-Martin-Wieland-Übersetzerpreis bekommen. Das ist natürlich besonders schön.
Bei dem Buch Barbarentage von William Finnegan wiederum – ein tolles Buch übrigens! – habe ich aufgrund vieler sehr „surf-lastiger“ Stellen erst einmal länger überlegt, ob ich es annehme. Ich bekam dann aber zum Glück Überstützung durch einen Fachlektor, der selbst Surfer ist. Austausch mit Experten ist übrigens immer eine sehr gute Idee, man kann sich ja nicht mit jedem Spezialgebiet auskennen. Aber wenn man grundsätzlich das Gefühl hat, das Buch spricht zu mir, sollte man darauf auch hören. Entsprechend kommt es durchaus auch mal vor, dass ich ein Buch angeboten bekomme und anfange es zu lesen und denke: „Das sagt mir überhaupt nichts.“ Ich „höre“ es nicht. Es entsteht bei der Lektüre keine deutsche Tonspur in meinem Kopf. Und dann mache ich es auch nicht. Welche Bücher mich ansprechen, dafür gibt es keine Faustregel, das ist ganz unterschiedlich. Zum Glück.
LPB: Vielen lieben Dank, Tanja Handels, für das schöne Gespräch.
Interview mit der Übersetzerin Tanja Handels über literarisches Übersetzen im KI-Zeitalter>
Zur Reihe: Über kaum eine technologische Errungenschaft wird so viel geredet und gestritten wie über KI, die Künstliche Intelligenz in Form von ChatGPT und anderen, sich immer rasanter entwickelnden Tools. Ihre einschneidenden Auswirkungen auf unsere Gesellschaft werden sowohl als innovativ und arbeitsentlastend begrüßt als auch in ihren sozialen und arbeitsmarktgefährdenden Aspekten kritisch hinterfragt. Welche Konsequenzen haben diese Entwicklungen für die Kunst- und Literaturschaffenden in Bayern? Inwiefern wirkt sich KI auf ihre Arbeits- und Lebensbedingungen aus? Welche Erkenntnisse lassen sich gewinnen? In der Reihe „Die KI und wir“ widmet sich das Literaturportal diesem brisanten, aktuellen Thema in Form von Gesprächen, Berichten, Geschichten und Rezensionen.
Das folgende Gespräch über den Unterschied von menschlichem und KI-generiertem literarischen Übersetzen führte Andrea Heuser für das Literaturportal mit der Übersetzerin Tanja Handels.
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LITERATURPORTAL BAYERN: Liebe Tanja Handels, Sie sind gerade mit dem Christoph-Martin-Wieland-Übersetzerpreis ausgezeichnet worden. Ganz herzliche Gratulation dazu auch von Seiten unserer Redaktion! Dies einleitend gleich zum Anlass genommen: Wie ist das Leben als Übersetzerin heutzutage, wie geht es Ihnen damit?
TANJA HANDELS: Vielen lieben Dank für die Glückwünsche. Ich bin nach wie vor eine glückliche Übersetzerin. Es ist nicht so, dass ich immer schon vorgehabt hätte, Übersetzerin zu werden; aber seit ich es bin, möchte ich nichts anders mehr machen. Ich habe das große Glück, dass ich nach wie vor viele Projekte habe, mit denen ich mich identifizieren kann, die mich herausfordern und ausfüllen.
Allerdings wird es nicht leichter. Die Honorare für literaturübersetzende Menschen steigen nicht. Die Preise für den Lebensunterhalt insgesamt aber schon, wie wir alle wissen. Da ist so ein Preis wie der Christoph-Martin-Wieland-Übersetzerpreis natürlich ökonomisch ein Segen; aber nicht nur. Gottseidank gibt es hier [in Deutschland] noch eine vielfältige Preis- und Förderungslandschaft auch in unserem Bereich der literarischen Übersetzungen. Das ist eine sehr wichtige Form der Anerkennung und Würdigung unserer Arbeit.
LPB: Was würden Sie sagen, ist die besondere Herausforderung? Worin besteht denn die Kunst des literarischen Übersetzens? Und gleich auch vor dem Hintergrund unseres Themas weitergefragt: Warum reicht es nicht aus, salopp gesagt, den ganzen Text durch DeepL [eine derzeit gängige Übersetzersoftware] zu jagen und gut ist?
HANDELS: Ich glaube, Übersetzen ist vor allem eine Kunst der Einfühlung, der Empathie. Ich lese ein Buch, das mir zum Übersetzen angeboten wird, zunächst aus der Perspektive der Leserin, um das Werk erst einmal auf mich wirken zu lassen. Und diese Wirkung, die ich aus dem Buch herauslese, übersetze ich dann hinterher in meine deutsche Fassung auch wieder hinein. Ich bin daher auch so etwas wie eine „Modell-Leserin“. Eine andere Person würde das Buch daher auch ganz anders übersetzen, weil es einfach keine „einzig richtige“ Fassung gibt. In einem Übersetzerworkshop hat man am Ende oft so viele verschiedene Übersetzungen wie Teilnehmende. Das ist eine der grundsätzlichen Herausforderungen überhaupt.
Damit die Lesenden sich in der deutschen Fassung genauso mit den einzelnen Figuren identifizieren können wie mit dem Stil und der Sprache der Autorin, des Autors selbst, muss ich mich einfühlen können. Und in dieser emotionalen Qualität sehe ich einen wesentlichen Unterschied zu KI generierten, von der Maschine übersetzten Texten. Ich entscheide mich also ganz bewusst für bestimmte literarisch-stilistische Mittel, damit ich die Wirkung, die ich erzielen möchte, am Ende auch erreiche. Gutes Übersetzen besteht also nicht nur darin, einfach nur eins zu eins Wort für Wort zu übersetzen, wie das eine KI wohl täte, sondern darin zu beurteilen: Wann muss ich ganz nah am Text bleiben, und wann muss ich weiter von ihm weg? Als Literaturübersetzerin arbeite ich nach dem Prinzip: So treu wie nötig und so frei wie möglich. Und in dieser unerlässlichen Freiheit liegt auch der kreative, künstlerische, gewissermaßen nach-schöpferische Aspekt unserer Arbeit.
Tanja Handels © Anja Kapunkt
LPB: So wie Sie den Beruf des literarischen Übersetzens beschreiben, wird auch noch einmal die kongeniale, kreative Leistung dieses Berufs deutlich. Diese Leistung wird von den jeweiligen Verlagen unterschiedlich stark hervorgehoben. Bei manchen erscheint die Person, die das Werk übersetzt hat, namentlich bereits vorne mit auf dem Cover, in anderen Verlagen auf der ersten Seite; manchmal findet man in der Klappe des Schutzumschlags Autor und Übersetzer mit Angaben zur Person gleichberechtigt abgebildet; oftmals jedoch auch nur den Autor oder die Autorin. Was aber auf jeden Fall unumstößlich bleibt, ist der Part der kreativen Freiheit, der Einfühlung und des Mitdenkens beim literarischen Übersetzen. Dies sind bislang noch ausschließlich menschliche Skills… Als Vorsitzende des Münchner Übersetzer-Forums stehen Sie auch in dieser Funktion in engem Austausch mit anderen literaturübersetzenden Personen. Was macht Ihrer Ansicht nach das „menschliche“ Übersetzen weiterhin notwendig? Was, in Hinblick auch auf die besagten menschlichen Skills, kann KI nicht ersetzen?
HANDELS: Zuerst einmal: Die übersetzende Person kann denken. Das kann KI nicht. Sie erweckt zwar den Anschein, wenn man sich z.B. mit Chat GTP „unterhält“ oder das Programm einen Text schreiben lässt. Aber tatsächlich gibt das Tool ja nur Eingespeistes wieder, das ist reine Reproduktion. Fühlen kann es auch nicht. Zwar kann KI inzwischen so menschliche Dinge wie Humor simulieren, bis zu einem gewissen Grad auch Wortspiele, aber das alles eben nur im Rahmen dessen, was man in sie eingegeben hat. Eine übersetzende Person hingegen kann sich nicht nur hineindenken, sondern auch in Gefühlslagen und Situationen einfühlen, die für die Person selbst noch neu und unbekannt sind.
LPB: Mit dem Verweis auf die eingespeisten Daten sprechen Sie einen wichtigen Punkt an; den des so genannten „KI-Trainings“. Wobei dieser Begriff – dies wird inzwischen ja Gottseidank immer kritischer angemerkt – die Tatsache verschleiert, dass es sich hierbei um eine „illegale Aneignung“ von urheberrechtgeschützten Daten und Gedankengut handelt, für deren Zweckentfremdung die Urhebenden nicht nur nicht vergütet werden, sondern wovon sie in aller Regel auch keinerlei Kenntnis haben. Die Möglichkeit des Opt out, also in der Publikation an ausgewiesener Stelle anzugeben, dass KI mit den Inhalten des Werks nicht „trainiert“ werden darf, ist ein erster Schritt, sich hiervor möglicherweise zu wappnen. Es gibt zudem aber auch systemische Risiken beim Übersetzen im Umgang mit KI. Können Sie uns dazu etwas sagen?
HANDELS: Es gibt verschiedene Risiken und Probleme. Das eine ist ein ganz praxisbezogenes und letztlich ökonomisches Problem: die Vorübersetzung eines literarischen Textes durch KI (gängige Übersetzersoftware: DeepL). Einige deutsche Verlage, zum Glück bisher allerdings die wenigsten, arbeiten aus Gründen der Zeit- und Kostenersparnis bereits so. Diese Verlage beauftragen uns Übersetzerinnen und Übersetzer dann nur noch mit dem so genannten Post-Editing. Sprich, unsere Aufgabe besteht dann lediglich darin, aus dem maschinenübersetzten Text einen besseren, lesbaren Text zu machen, die „menschliche“ Komponente noch dazu zu addieren.
Das Problem dabei ist, dass es de facto nicht nur gar nicht schneller geht – es wird auch aufwändiger und komplizierter, da wir dann mit zwei Texten hantieren müssen: mit der von der KI generierten Textversion UND dem Original. Das heißt, ich kann einerseits nicht mehr frei mit dem Original umgehen und komme andererseits durch den Zwischentext gar nicht mehr an die Möglichkeiten, die ich hätte, wenn ich übersetzend nur mit dem Original und seiner Wirkung auf mich kommunizieren würde. Im Zweifel ist es also viel mehr Aufwand, eine maschinenübersetzte Version zu überarbeiten, die man im Prinzip vollkommen neu machen müsste.
Wir bekommen für so eine Arbeit auch gar keine Übersetzungsverträge mehr, sondern Redaktionsverträge. Dadurch ist unsere Arbeit keine urheberrechtlich geschützte Leistung mehr, und wir werden entsprechend nicht mehr wie sonst üblich – wenn auch in einem Maße, das durchaus ausbaufähig wäre – an den Erlösen beteiligt. Wenn wir jetzt nur eine KI-Version des Textes redigieren, werden wir also für tendenziell mehr Arbeit ungleich schlechter bezahlt. Für ein solches Post-Editing werden etwa 5 Euro pro Normseite geboten. Und das sind Szenarien – da kann sich den Beruf bald niemand mehr leisten. Von der literarischen Qualität des Endproduktes einmal ganz zu schweigen.
Der hochliterarische Bereich ist aufgrund des höheren Grades an Kunstfertigkeit der Sprache da natürlich noch eher geschützt, als der reine Unterhaltungssektor. Die heutigen KI-Programme haben bislang noch Grenzen im Umgang mit kreativen Eigenleistungen. Wenn man etwa an Autoren wie James Joyce denkt, an die Neuübersetzung von Finnegans Wake, an der mein Kollege Ulrich Blumenbach gerade arbeitet, solch eine sprachliche Hochartistik mit all den Wortneuschöpfungen wäre für DeepL und jedes weitere derzeitige KI-Programm absolut unmöglich zu leisten. Wollen wir nur hoffen, dass Ulrichs Übersetzung dann nicht zu „Trainingszwecken“ verwendet wird!
LPB: Das ist ein sehr schönes Beispiel von Ihnen, James Joyce – daran könnte man vielleicht die Formel festmachen: Je kunstvoller die Sprache und Form eines Werkes, etwa auch in der Lyrik, desto „menschensicherer“ ist die Tätigkeit des Übersetzens. Wobei: die Differenzierung zwischen Menschensprache und Maschinensprache – wie gesichert ist eine solche Unterscheidbarkeit?
HANDELS: Noch kann man diese Sprachen sicherlich unterscheiden. Aber dies war nur der eine Aspekt im Umgang mit gehobener Belletristik. Auf den in den letzten Jahren immens angewachsenen Bereich der Unterhaltungsliteratur, auf das so genannte „Lesefutter“ bezogen (z.B. Romance- und New Adult-Reihen), birgt der Umgang mit KI ein anderes Risiko. Ein inhaltlich interessanter, aber sprachlich wenig komplexer Text, den man einfach mal so durch das Programm jagen kann, bringt einen nämlich auf die eingangs erwähnte Unterscheidung zurück: Die KI kann nun einmal nicht denken und sich nicht einfühlen. Und ich will mich doch gerade im Romance-Sektor oder bei New adult-Themen mit den Figuren und ihrer individuellen Sprache identifizieren. Es handelt sich ja hier nicht um Gebrauchsanweisungen.
Wenn die Programme aber eine nicht-natürliche, steife Sprache verwenden, wird es schwierig. Aber selbst wenn man argumentiert, dass die Natürlichkeit des Tons bei Software wie DeepL sich derzeit rasant entwickelt – gerade dann stoßen wir auf eine noch größere Schwierigkeit. Die jungen Lesenden gewöhnen sich immer mehr an eine „Maschinensprache“ und halten diese mit der Zeit möglicherweise für die natürliche. Darin sehe ich die größte Gefahr. Zwar sind Sprachen per se etwa Dynamisches und entwickeln sich – aber im Umgang mit KI als Sprach- und Literaturgenerator ist das problematisch. Man weiß und merkt ja selbst, wie schnell man sich an die Dinge gewöhnt. Und wenn diese Gewöhnung auf stilistischer und sprachlich unterkomplexer Ebene stattfindet, dann ist das bedenkenswert. Vielleicht findet man dann bald von Menschen geschriebene Texte komisch oder altmodisch oder eben zu schwierig.
LPB: In diesem Sinne könnte man fast behaupten, trainieren wir nicht nur die KI, sondern die KI trainiert umgekehrt eben auch uns. Weil sich unsere an KI „trainierten“ Hör- und Lesegewohnheiten so sukzessive verändern.
Um abschließend aber wieder positiv-konstruktiv in die Zukunft zu sehen: Was würden Sie jungen Menschen raten, die sich für den Beruf des literarischen Übersetzens interessieren? Was für Tipps im Umgang mit KI, aber auch generell hätten Sie da?
HANDELS: Auf jeden Fall in den VdÜ eintreten, den Verband deutschsprachiger Übersetzer/innen literarischer und wissenschaftlicher Werke e.V., wie er offiziell heißt, der an die Gewerkschaft ver.di angeschlossen ist.
Da hat man erstens eine berufliche Rechtsschutzversicherung. Und zweitens den Austausch mit anderen Literaturübersetzenden. Es gibt dort Foren, in denen berufsbezogene Fragen diskutiert werden und man sich auch mit Übersetzungsfragen und -problemen zu Wort melden kann.
Der VdÜ veranstaltet auch einmal im Jahr die ganz tolle „Jahrestagung des VdÜ in Wolfenbüttel“, die wir alle sehr lieben, mit Seminaren, Podien, Workshops, Lesungen, Party. Das ist ein unbedingtes Highlight. Der kollegiale Austausch ist ohnehin elementar. Wichtig ist aber auch, dass man mit den Aufraggebern im Gespräch bleibt; dass man versucht, mit der Lektorin, mit dem Lektor zu reden. Eben nicht nur über Beteiligungs- und Verlagsfragen, sondern auch über KI: Wie setzt der Verlag KI ein? Gibt es Möglichkeiten des Opt out? Welche Entwicklungen hinsichtlich KI werden angestrebt? Es ist ja kein hierarchisches Verhältnis. Die Übersetzung ist eine Dienstleistung, an der der Verlag interessiert ist. In dem Vertragsverhältnis ist man also ein gleichberechtigter Partner. Das vergisst man als junger Mensch mitunter oder traut sich zu wenig hinein in den Austausch.
Dann ganz wichtig auch: sich nach dem Studiengang: Literarisches Übersetzen an der LMU erkundigen, der inzwischen als weiterbildender Master-Studiengang neben Englisch nun auch Französisch, Russisch, Spanisch und Italienisch als Ausgangssprache anbietet. Da schafft man sich eine gute Grundlage für alles Weitere. Wir brauchen Nachwuchs in diesem Bereich, nicht zuletzt als eine Art menschliches Bollwerk gegen KI. Und selbst wenn die Bedingungen insgesamt schon mal besser waren, es ist immer noch ein wunderschöner Beruf.
LPB: Das ist doch schon, fast, ein schönes Schlusswort. Denn schließlich möchte man doch das tun, was man liebt und darin ist man dann eben auch besonders gut. Haben Sie eigentlich eine Lieblingsautorin oder -autor beim Übersetzen und gab es auch schon mal die Situation, dass Sie gesagt haben: Dieses Werk kann oder mag ich nicht übersetzen?
HANDELS: Ich habe das große Glück, dass ich eine meiner langjährigen Lieblingsautorinnen vor 15 Jahren tatsächlich als Übersetzerin angeboten bekam: Zadie Smith. Das ist nach wie vor beglückend. Ich kenne ihre Stimme, ich kenne sie inzwischen auch persönlich. In der Übersetzung ihrer Werke fühle ich mich inzwischen sehr zuhause – auch wenn sie die Eigenschaft hat, sich mit jedem Buch, das sie schreibt, noch einmal ein bisschen neu zu erfinden. Und für die Übersetzung ihres Romans The Fraud, auf Deutsch Betrug, habe ich ja auch gerade den Christoph-Martin-Wieland-Übersetzerpreis bekommen. Das ist natürlich besonders schön.
Bei dem Buch Barbarentage von William Finnegan wiederum – ein tolles Buch übrigens! – habe ich aufgrund vieler sehr „surf-lastiger“ Stellen erst einmal länger überlegt, ob ich es annehme. Ich bekam dann aber zum Glück Überstützung durch einen Fachlektor, der selbst Surfer ist. Austausch mit Experten ist übrigens immer eine sehr gute Idee, man kann sich ja nicht mit jedem Spezialgebiet auskennen. Aber wenn man grundsätzlich das Gefühl hat, das Buch spricht zu mir, sollte man darauf auch hören. Entsprechend kommt es durchaus auch mal vor, dass ich ein Buch angeboten bekomme und anfange es zu lesen und denke: „Das sagt mir überhaupt nichts.“ Ich „höre“ es nicht. Es entsteht bei der Lektüre keine deutsche Tonspur in meinem Kopf. Und dann mache ich es auch nicht. Welche Bücher mich ansprechen, dafür gibt es keine Faustregel, das ist ganz unterschiedlich. Zum Glück.
LPB: Vielen lieben Dank, Tanja Handels, für das schöne Gespräch.