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19.12.2012, 15:49 Uhr
Joachim Schultz
Oskar Panizza-Reihe
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Oskar Panizza schuf mit der satirisch-grotesken Himmelstragödie "Das Liebeskonzil" (1894) den Anlass für einen der skandalösesten Blasphemieprozesse der deutschen Literaturgeschichte. Seit Oktober 2012 liest Joachim Schultz wöchentlich Werke von Oskar Panizza und begleitet ihn auf seinen Lebensstationen.

Panizza-Blog [12]: Aus dem Tagebuch eines Hundes

Die so genannte Münchner Moderne war keine einheitliche Schule, sondern bestand aus einer Vielfalt von gleichzeitigen und aufeinander folgenden Gruppierungen und ‚Einzeltätern‘. Wer sich dazu genau informieren möchte, lese die über 700 Seiten starke Anthologie Die Münchner Moderne. Die literarische Szene in der ‚Kunststadt‘ um die Jahrhundertwende (Stuttgart: Reclam 1990), die Walter Schmitz zusammengestellt hat, und dazu seine kenntnisreiche Einleitung. Man wird darin viele Unbekannte finden, aber auch große Namen wie Thomas Mann, Ludwig Thoma oder Frank Wedekind. Übrigens: Panizza und Wedekind kannten sich natürlich, aber sie waren keine Freunde. Wedekinds Drama Erdgeist mit der berühmt-berüchtigten Lulu wurde von Panizza abgelehnt. Er bespricht es in der Gesellschaft (Jg. 1896. Heft 5, S. 693-695). Er schreibt darin über den Misserfolg des Stücks in Berlin: „Und wir wissen auch warum?: Weil es ganz unmöglich ist, ein Parterre von allerlei zusammengewürfelten Gefühls-Menschen drei bis vier Stunden hindurch mit einem nach einer so nackten Verstandesmethode komponierten Drama  zu erwärmen oder zu befriedigen, oder sie nicht zu erschöpfen.“ Panizza schrieb diese Besprechung, als er schon im Gefängnis saß. Immerhin wurde ihm das erlaubt, aber sein Name durfte nicht genannt werden. Der Artikel erschien mit dem Kürzel „zz“.  Doch wir wollen nicht vorgreifen.

In Schmitz' Anthologie findet man viele höchst unterschiedliche Texte, auch einige von Panizza. Er war in sofern ein Vertreter dieser Epoche, als auch sein Werk aus sehr unterschiedlichen Texten besteht, was aus den hier bereits vorgestellten Texten schon deutlich wurde. Gehen wir zurück in das Jahr 1892. Nach Gedichten, phantastischen Erzählungen, Satiren, journalistischen Arbeiten usw. veröffentlicht Panizza nun ein ganz anderes Büchlein mit dem Titel Aus dem Tagebuch eines Hundes. Panizza war ein großer Hundefreund, das von ihm bekannteste Foto zeigt ihn mit einem seiner Lieblingshunde. Vielleicht dachte er an E. T. A. Hoffmanns Kater Murr oder an andere Bücher, in denen Tiere das kuriose Leben der Menschen schildern, jedenfalls gibt er einem Münchner Dackel das Wort, der folgendermaßen beginnt: „Wurde heute an meinen neuen Herrn verkauft. Ich komme vom Lande. Seit gestern bin ich in der Stadt. Alles ist mir neu, und drängt sich in Form merkwürdiger Eindrücke auf. Ich kann sagen, seit gestern fühle ich, dass ich ein Hund bin. Ich denke. Früher tat ich dies Alles unbewusst. Ich sehe, Denken ist eine Arbeit, die oft Schmerz bereitet.“ Wer hier an Descartes denkt („Ich denke, also bin ich.“), liegt vermutlich nicht falsch. Und der Vergleich mit Hoffmanns Kater Murr stimmt auch auf einer anderen Ebene. Wie Hoffmann lässt Panizza sein Tier nicht nur das ‚komische‘ Verhalten der Menschen schildern, er präsentiert in seinem Hund (wie Hoffmann in seinem Kater) einen typischen Bildungsphilister seiner Zeit, der über Gott und die Welt räsoniert. Dem Hund geht es dabei allerdings nicht sehr gut. Er schreibt: „Aus dem letzten Monat finde ich beim Zusammenzählen: 12 Stockhiebe; 25 Fußtritte; 6mal Prügel und Püffe mit der Faust oder Hand...“ Es folgen weiter Misshandlungen. Aber er lässt sich nicht unterkriegen und schildert getreulich alles, was er erlebt. Etwa das unzüchtige Verhalten zweier Menschen auf einer Parkbank, das folgendermaßen endet: „Der unterliegende Teil gibt seine Sache für verloren, und unter Schluchzen, Keuchen, Poltern und Stampfen endet die scheußliche Szene zwischen den nächsten Bäumen...“ Richtig traurig endet das Tagebuch mit den Worten: „Ich wollte das Menschen-Geschlecht einteilen und ihre kuriosen Sonderbarkeiten untersuchen und sie verlachen und ich bin nur ein armer, kleiner Hund, der vielleicht bald krepiert.“ Aber es gibt hier viel mehr zu lachen, und es ist schade, dass dieses Büchlein nicht mehr im Handel zu haben ist. Der 1977 vom Münchner Matthes und Seitz Verlag (heute Berlin) herausgegebene Reprint (mit anderen Texten über Hunde) ist aber leicht im Antiquariat zu finden. Am 12. Oktober 2003, zu Panizzas 150. Geburtstag, sendete der Bayerische Rundfunk (BR 2) das Hörspiel Hundeleben (nach Panizza) von Heinz von Cramer.

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