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Emma Merk. Foto: Ingvild Richardsen/Haushofer-Archiv

München, Von-der-Tann-Straße 15 (Emma Merk)

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Blick in die Von-der-Tann-Straße 13-15 (nach 1898), DE-1992-FS-NL-PETT1-3851 (c) Stadtarchiv München

1890 zieht Emma Merk von der Schönfeldstraße 5 in das Mietshaus in der Von-der-Tann-Straße 15/3. Es liegt direkt neben dem Fotostudio Elvira. Mit Anita Augspurg und Sophia Goudstikker steht sie bereits seit deren Ankunft in München im Winter 1886 in engem Kontakt, der nun auch räumlich noch enger wird. In den fünf Jahren, in denen Emma Merk direkt neben dem Fotoatelier Elvira wohnt, erscheint nicht nur der Prachtbildband Evas Töchter, der die herkömmliche Rolle der bürgerlichen Frau schildert, es kommt unter Anita Augspurg, Sophia Goudstikker und Emma Merk auch zur Gründung eben des Vereines, der seit 1894 die Ziele der modernen Frauenbewegung in München verfolgt.

Wie die Schriftstellerin Helene Raff überliefert hat, treffen sich damals in der Wohnung von Emma Merk die Frauenrechtlerinnen Münchens:

Bei der Schriftstellerin Emma Merk nämlich pflegte eine Auswahl der „bewegten Frauen“ am Sonntag nachmittag zusammenzukommen, Tee zu trinken und köstliche Brötchen zu verzehren, auf deren Mannigfaltigkeit die Bereiterin selbst trotz ihrer blauen Strümpfchen stolz war. „Heut hab‘ ich wieder zwei Stunden mit meinen Brötchen gespielt“, sagte sie lachend. Stammgast ihres Teetisches war ihr Freund und nachmaliger Gatte Max Haushofer, Professor der Nationalökonomie am Polytechnikum, zugleich aber romantischer Poet, Verfasser der Versepen Die Verbannten, Der ewige Jude und eines feinen Bandes Lyrik.

Als die Schriftstellerin Gabriele Reuter 1890 von Weimar nach München kommt, ist es Emma Merk, die sich ihrer annimmt und sie in die Kreise der politisch engagierten, künstlerisch hochkreativen Frauen Münchens einführt. Bei ihr lernt Reuter auch Carry Brachvogel, Max Haushofer, seine Tochter Marie und den Maler Karl Stieler kennen. Nach fruchtbaren Münchner Jahren, in denen in München der Grundstein für ihren Roman Aus guter Familie gelegt wird, kehrt Reuter 1891 nach Weimar zurück, verbleibt aber in engem Kontakt mit Emma Merk.

1892 blättert Emma Merk einen provisorisch mit Evas Töchtern betitelten Band mit Illustrationen durch, der Aquarelldrucke und Zeichnungen eines Freundes, des Münchner Grafikers und Malers Emanuel Spitzer (1844-1919), enthält. Die bekannte Schriftstellerin soll daraus ein Buch machen, einen passenden Text für ein großes Publikum rund um die kunstvollen Bilder schreiben. Die widersprüchlichen Gedanken, die ihr zuerst beim Blick auf den Titel und auch beim Betrachten der humorvollen, zuweilen bissig-spottenden Bilder in den Sinn kommen, hat sie später in folgende Worte gefasst:

Eva's Töchter! So hat man das Buch genannt? Was steckt hinter dem Titel? Soll den Töchtern Eva‘s ein Sündenregister vorgehalten werden, ein Spiegel, der ihre Gesichter verzerrt? Soll ihnen eine Bußpredigt vorgetragen werden, in Bildersprache? Oder soll es eine Verherrlichung sein für sie? Mit lebhaft erregtem weiblichen Corpsgeist, mit einer kampfbereiten Lust, unser viel verlästertes Geschlecht zu verteidigen, fange ich an zu blättern. Aber mich versöhnt bald die Liebenswürdigkeit, der Humor, die heitere Grazie, welche das Werk durchweht. Wer sich so eingehend mit den Damen beschäftigt, der meint es nicht böse mit ihnen. Er neckt nur ein wenig.

Emma Merk nimmt die Auftragsarbeit an und macht sich mit einem klaren Ziel ans Werk:

Es soll ein Buch werden von der Frau für die Frau. [...] Es soll eine Naturgeschichte der Frau werden, aber nicht in schwerem philosophischen Gewande, sondern in bunt hinflätternden Worten, in flüchtigen Umrissen. So tausendfältig die Schicksale der Frau sind, [...] eines ist doch immer das Herrschende in ihnen: das Herz des Weibes mit seinen dunklen und hellen Empfindungen, mit seiner unerschöpflichen Liebe. Und das soll in unserem Buche zum Ausdrucke kommen.

1893 kommt das „Prachtwerk“ des renommierten Münchner Kunstverlages Franz Hanfstaengel auf den Buchmarkt. Noch heute stellt es ein wichtiges kulturhistorisches Zeugnis für die damals im Bürgertum herrschenden Rollenvorstellungen dar. Auf dem Cover prangt in goldgepresster Jugendstilschrift – geschmückt von explodierenden goldenen Herzchen – der Titel: Evas Töchter. Der umfangreiche Text stammt von Emma Merk, die Illustrationen von dem Grafiker und Maler Emanuel Spitzer.

Auf humorvolle Weise, aber auch mit vielen boshaften Seitenhieben stellt der Bildband das bürgerliche Frauenleben im Fin de Siècle vor. Er zeigt, wie bürgerliche Frauen dazu erzogen werden, eine ‚gute Partie‘ zu machen. Doch auch die Ziele der Männer werden präsentiert. Und da steht denn keine Ehe an oberster Stelle, sondern der Typ der Femme fatale in Form einer Zirkusakrobatin, eine Art Lola Montez.

Emma Merk selbst führt zu jener Zeit ein völlig anderes Leben als die typische bürgerliche Frau ihrer Zeit, die sie in Evas Töchter vorstellt. Als kinderlose Junggesellin hat sie einige Beziehungen hinter sich, seit 1886 einen festen Freund, den Witwer und dreifachen Vater Max Haushofer, den sie seit ihrer Kindheit kennt. Mit ihrem Schreiben finanziert sie sich selbst und verkörpert genau wie die neben ihr wohnenden Anita Augspurg und Sophia Goudstikker den Typ der emanzipierten Frau.

Während jener Jahre kommt es auch zur Gründung der Gesellschaft zur Förderung der geistigen Interessen der Frau, jenes Vereins, der sich 1899 Verein für Fraueninteressen nennen und zum Vorreiter der modernen bürgerlichen Frauenbewegung in Bayern entwickeln wird und dessen Gründungspräsidentin von 1894-1896 Anita Augspurg ist.

1895 zieht Emma Merk dann wieder in die Schönfeldstraße 5. Das Haus steht noch und trägt heute die Nummer 13. Von 1900 bis 1902 wohnt sie dann in der Von-der-Tann-Straße, diesmal in der Von-der-Tann-Str. 29/3. 1902, nach der Hochzeit mit Max Haushofer, zieht Emma Merk in die Königinstr. 10, wo sie bis zu ihrem Tod im Jahr 1925 leben wird. 1902 legt sie auch ihren ersten Münchner Roman vor: Drei Frauen, in dem sie anhand dreier Frauengenerationen ein ganzes Jahrhundert Frauenleben in München schildert. Viele weitere Münchner Romane folgen. 1924 setzt Georg Jacob Wolf in Die Münchnerin sie an die oberste Stelle der Frauen, die den „echten Münchner Roman“ schreiben können.

 


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Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Ingvild Richardsen

Sekundärliteratur:

Baudissin, Eva Gräfin von (1924): Emma Haushofer Merk und Carry Brachvogel. In: Münchner Neueste Nachrichten. Nr. 160, 22. Juni, S. 27 (Stadtarchiv München/Vereine 2168).

Elferich, Christa (2007): Aus dem Vereinsarchiv. In: Verein für Fraueninteressen e.V. (Hg.): Jahresbericht 2007. München, S. 21-23.

Emma Haushofer-Merk (1925). In: München-Augsburger Abendzeitung, Nr. 197, 19. Juli (Stadtarchiv München/ZA-P 188–15).

Kinnebrock, Susanne (2005): Anita Augspurg (1857-1943). Feministin und Pazifistin zwischen Journalismus und Politik. Eine kommunikationshistorische Biographie. Herbolzheim, S. 121ff.

Lange, Helene (Hg.) (1894): Die Frau. Berlin, 1. Jg. Heft 9, Juni.

Merk, Emma; Spitzer, Emanuel (1893): Evas Töchter. München.

Raff, Helene (1938): Blätter vom Lebensbaum. München, S. 213-217.

Reuter, Gabriele (1921): Vom Kinde zum Menschen. Die Geschichte meiner Jugend. Fischer Verlag, Berlin.

Richardsen, Ingvild (2018): Evas Töchter. Volk Verlag, München.

Verein für Fraueninteressen e.V. (Hg.) (1896/1897): 2. Jahresbericht 1896. München, S. 6; 3. Jahresbericht 1897, S. 5.

Wolf, Georg Jacob (1924): Die Münchnerin. München, S. 207f.