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Thomas Mann, 30.4.1900 (ETH-Bibliothek Zürich, Thomas-Mann-Archiv / Fotograf: Atelier Elvira / TMA_0016)

Theresienstraße 82: Bei Frau Permaneder

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Theresienstraße 82 (heute Neubauten der TU mit dem Denkmal für den Physiker Ohm). Hier stand einst das Haus mit der Wohnung von Frau Permaneder. Foto: Dirk Heißerer

Bei seiner Rückkehr aus Rom brachte Thomas Mann bereits ein „auffallend stattliches Manuskript“[4] nach München mit. Das waren, wie sich aus Briefen an den Schulfreund Otto Grautoff schließen lässt, die ersten drei der insgesamt elf Teile des Romans.[5] In München also, nicht „hauptsächlich in Italien“[6], entstanden somit zwei Drittel des Romans. Die vier Schreiborte in „kleinen Junggesellenwohnungen“ und besonders in zwei „Schwabinger Verstecken“[7] lassen sich alle nachweisen und sind, bis auf den ersten, sogar noch erhalten.

Nach einem kurzen Aufenthalt bei seiner Mutter in der Gabelsbergerstraße 76a/II[8] zogen Thomas und Heinrich Mann am 29. April 1898 nur eine Straße weiter nach Norden in die Theresienstraße 82/0 (heute Neubau der Technischen Universität mit einem Denkmal für den Physiker Ohm) und nahmen Logis bei der Milchhändlerswitwe Walburga Permaneder. Peter de Mendelssohn hatte vor diesem Namen resigniert: „Wie Thomas Mann auf ihn verfiel, ist nicht mehr auszumachen.“[9] Ein Blick in den Polizeilichen Meldebogen Thomas Manns im Stadtarchiv München hätte ihm des Rätsels Lösung näher gebracht. Wie der Name von Thomas Manns Vermieterin über eine Karikatur im Simplicissimus zu der Romanfigur des Münchener Hopfenhändlers Alois Permaneder werden konnte, ist längst bekannt; Thomas Mann hatte sich die Zeichnung mit dem dicken Bayern am Wirtshaustisch aus dem Simplicissimus vom 13. November 1897 ausgeschnitten und notierte später handschriftlich darauf: „Herr Permaneder“. Titel und Unterschrift der Zeichnung, die so treffend die bayerische Lebensart pointieren, ließ er weg: „Erholung. ‚Wenn oaner den ganz’n Tag nix thuat, muß er doch am Abend sei’ Ruh hab’n.’“[10]

Im Roman wird daraus: „Es war ein Mann von vierzig Jahren. Kurzgliedrig und beleibt [...].“[11] Wie sich der Name und sogar das Romandetail eines gestorbenen Kleinkindes biographisch bei Walburga Permaneder nachweisen lassen, ist seit 1993 bekannt[12], hat jedoch weder die einschlägige Forschung noch die kommentierte Ausgabe der Buddenbrooks erreicht. Dafür lebte in München bis 2016 der Sohn eben desjenigen Herrn Permaneder, der nach Erscheinen der einbändigen Buddenbrooks-Ausgabe 1903 die Tatsache entdeckt hatte, dass der eigene Familienname in dem Buch vorkomme. Tony Buddenbrook fragt in einem Brief ihre Mutter etwas pikiert, sie habe sich mit einem (übrigens aus Nürnberg stammenden protestantischen) „Herrn Permaneder unterhalten – hättest Du jemals gedacht, daß Jemand so heißen könnte?“[13] Sein Vater habe daraufhin, so der Sohn, einen Brief an den Autor geschrieben, auf den er aber zunächst keine Antwort erhielt. Nach einem zweiten oder dritten Versuch habe Thomas Mann, etwas distanziert, geantwortet, er sei ein freier Schriftsteller und man müsse ihm überlassen, welche Namen er verwende; zu einer Rechtfertigung sei er nicht verpflichtet. Dieser Brief ist leider verschollen; er existiert nur noch in dieser mündlichen Überlieferung. Danach war das Buch in der Familie Permaneder „Pflichtlektüre“. Aber erst die ‚Enthüllung’ 1993[14] klärte sie darüber auf, wer damit gemeint gewesen war.

„Erholung“ – die Karikatur von Engelbert Weiner wurde das Vorbild für „Herrn Permaneder“ im Simplicissimus (Jg. 2, 1898, Nr. 33, S. 259).

 


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[4] Thomas Mann: Lübeck als geistige Lebensform (1926). In: Ders.: Gesammelte Werke. Frankfurt a.M. 1990, Bd. XI, S. 380 (hinfort zit. GW I-XIII).

[5] Vgl. Mendelssohn, Peter de (1982): ‚Buddenbrooks’. In: Ders.: Nachbemerkungen zu Thomas Mann. Bd. 1. Frankfurt a.M., S. 24; Moulden, Ken (1988): Die Genese des Werkes. In: Buddenbrooks-Handbuch. Hg. von Ken Moulden und Gero von Wilpert. Stuttgart, S. 1-9; T GKFA 1.2, S. 67f.

[6] Vgl. Dittmann, Britta (2008): Geschichte des Buddenbrookhauses. In: Hans Wißkirchen (Hg.): Die Welt der Buddenbrooks. Frankfurt a.M., S. 186.

[7] Thomas Mann: Lebensabriß (1930). In: GW XI, 105, 116.

[8] Vgl. Heißerer, Zaubergarten, S. 45. Die von Peter de Mendelssohn 1975 falsch angeführte Adresse Herzogstraße 3 (S. 326) wird noch in GKFA 1.2, S. 68 übernommen.

[9] Mendelssohn, Peter de (1975): Der Zauberer. Das Leben des deutschen Schriftstellers Thomas Mann. Erster Teil 1875-1918. Frankfurt a.M., S. 332f. (hinfort zit. Mendelssohn 1975)

[10] Simplicissimus, Jg. 2, Nr. 33, S. 259.

[11] GW I, S. 325.

[12] Vgl. Heißerer, Dirk: Frau Permaneder. In: Heißerer, Geister, S. 101-103, Neuausg. 2008, S. 91-93. Die Grundlagenforschung leistete Paul Scherrer mit dem Beitrag „Bruchstücke der Buddenbrooks-Urhandschrift und Zeugnisse zu ihrer Entstehung 1897-1901“. In: Die Neue Rundschau, Jg. 69, Nr. 2 (1958), S. 258-291.

[13] GW I, S. 309. Der Name leitet sich übrigens von einem der ältesten Bauerngeschlechter in der Grafschaft Haag (bei Wasserburg am Inn) ab, das seit dem frühen 15. Jahrhundert in dem Weiler Permanöd bei Haag nachweisbar ist.

[14] Vgl. Anm. 9.

Verfasst von: Dr. Dirk Heißerer