München, Hackenstraße 7: Radspielerhaus mit Heine-Gedenktafel

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Radspielerhaus, Hackenstraße 7, mit der Heine-Gedenktafel (1956). Gestaltung: Fritz Ehmcke. Foto: Dirk Heißerer. 2010.

Heine hält sich an die guten Ratschläge aus seinem Reiseführer, zieht Anfang Januar 1828 gleich einmal um und gibt in dem Brief vom 12. Januar seine neue „Privatadresse“ an: „H. H. Dr. jur. wohnt im Rechbergischen Palais auf der Hundskugel. Diese Tage nemlich ziehe ich in diese neue Wohnung; vor meiner jetzigen wird zuviel Holz gehackt – alle meine Perioden werden zerhackt.“[8] Das Palais Rechberg aus dem Jahr 1678 gehörte damals der Familie eines kurfürstlich kölnischen und bayerischen Kämmerers namens Baron Gaudentius von Rechberg; es ging 1848 an den Vergolder Josef Radspieler, wurde 1873 umgebaut und gehört seit Beginn des 20. Jahrhunderts der Familie von Seidlein. Heute ist das Radspielerhaus (Hackenstraße 7) mit seinem gediegenen Einrichtungshaus und besonders dem verwunschenen Garten ein Kleinod in der Münchener Altstadt, genauer im Hackenviertel. Eine Gedenktafel erinnert seit 1956 an Heines Aufenthalt dort, und die hat eine eigene Geschichte.

Als sich am 17. Februar 1956 Heines Todestag zum 100. Male jährte, rührte sich in München von offizieller Seite aus zunächst einmal gar nichts. Erst ein kleines privates Komitee um den jüdischen Journalisten Wilhelm Herzog, der 1947 aus dem Exil nach München zurückgekehrt war, nahm die Sache in die Hand. Herzog, einst Mitarbeiter und Herausgeber wichtiger Zeitschriften in München zwischen PAN, MÄRZ und dem eigenen FORUM, hatte schon 1912, auf Anraten des Verlegers Beck, eine Heine-Biographie schreiben sollen; das Projekt kam zwar nicht zustande, aber als sich zu Beginn des Jahres 1956 auch in München eine gewisse Gleichgültigkeit Heine gegenüber breit zu machen begann und Hermann Kesten im April ein „Grollendes Plädoyer für Heine“ auf der Münchener Volksbühne hielt, da organisierte Herzog einen Benefizabend und brachte auf diese Weise das Geld für die Gedenktafel zusammen, die bereits im November 1956 unter Beteiligung von Bürgermeister Hieber, Kulturreferent Hohenemser, dem Stadtschulrat Dr. Fingerle und einigen Stadträten vom Initiator der Heine-Ehrung, eben Wilhelm Herzog, eingeweiht wurde; der Regisseur Hans Schweikart trug anschließend vier Gedichte Heines vor. Die Süddeutsche Zeitung berichtete am 12. November 1956: „Die neue Gedenktafel – von dem Bildhauer Josef Erber nach einem Entwurf von Professor Fritz Ehmcke ausgeführt – ist die einzige repräsentative öffentliche Erinnerung an Heine. Ein Platz im Westend, der seinen Namen trägt, dient zur Zeit noch Schafen als Weidegrund, und nur die wenigsten Münchner wissen, wo er eigentlich liegt.“ Die Heinrich-Heine-Straße liegt heute in Laim, an der U-Bahn Friedenheimerstraße.

Robert Schumann 1830, anonyme Miniatur auf Elfenbein (Ausschnitt)

Zu Heines Umgang gehört damals auch der erst 17-jährige Robert Schumann. Der studiert widerwillig Jura in Leipzig, will aber unbedingt sein Idol Heine in München besuchen. Diesem Besuch widmet Hanns Arens in seinem 1968 erschienenen, voluminösen Standardwerk Unsterbliches München. Streifzüge durch 200 Jahre literarischen Lebens der Stadt die folgende Passage: „Hier [im Palais Rechberg], so darf man annehmen, besuchte ihn auch der erst siebzehnjährige Robert Schumann, der den von ihm geliebten und verehrten Lyriker unbedingt kennenlernen wollte, weil er einige seiner Gedichte vertonen möchte. Aber Heine, in keiner guten Verfassung, war abweisend und hochmütig. Enttäuscht verließ Schumann München, ohne von Heine ein Wort der Aufmunterung oder Zustimmung erhalten zu haben. Doch Schumann liebte seine Verse, und nichts konnte ihn hindern, sie dennoch in Musik zu setzen.“[9] An dieser Darstellung stimmt nun fast kein Wort; geradezu das Gegenteil ist wahr. Das zeigt ein Brief Schumanns an einen Freund aus Leipzig vom 9. Juni 1828. Nicht Heine, sondern er, Schumann, habe sich in München „nicht ganz wohl und heimisch“, gefühlt, „und nur die Bekanntschaft mit Heine [...], machte meinen Aufenthalt einigermaßen intereßant und anziehend“. Schumann habe sich nach der Beschreibung eines Dritten „in Heine’n einen mürrischen, menschenfeindlichen Mann“ vorgestellt, der schon wie zu erhaben über den Menschen und dem Leben stünde, als dass er sich noch an sie anschmiegen könnte.

Aber wie anders fand ich ihn und wie ganz anders war er, als ich ihn mir gedacht hatte. Er kam mir freundlich, wie ein menschlicher, griechischer Anacreon entgegen, drükte mir freundlich die Hand und führte mich einige Stunden in München herum – dies alles hatte ich mir nicht von einem Menschen eingebildet, der die Reisebilder geschrieben hatte; nur um seinen Mund lag ein bittres, ironisches Lächeln, aber ein hohes Lächeln über die Kleinigkeiten des Lebens und ein Hohn über die kleinlichen Menschen; doch selbst jene bittere Satyre, die man nur zu oft in seinen Reisebildern wahrnimmt, jener tiefe, innere Groll über das Leben, der bis in das äußerste Mark dringt, machte seine Gespräche sehr anziehend.[10]

Man kann an diesem, vielleicht bloß versehentlichen, vielleicht aber auch absichtlichen Verkennen einer Textstelle ablesen, wie wichtig es ist, Behauptungen immer wieder an ihrer Quelle zu prüfen.


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[8] An Wolfgang Menzel in Stuttgart. München, 12. Januar 1828. Vgl. Briefe (wie Anm. 2), S. 316.

[9] Vgl. Hanns Arens: Unsterbliches München. Streifzüge durch 200 Jahre literarischen Lebens der Stadt. München/Esslingen 1968 (hinfort zitiert: Arens), S. 45.

[10] Robert Schumann an Heinrich v. Kurrer. Leipzig, 8. Mai 1828. In: Michael Werner (Hg.): Begegnungen mit Heine. Berichte der Zeitgenossen in Fortführung von H. H. Houebens ‚Gespräche mit Heine‘ 1797-1846. Hamburg 1973, S. 165.

Verfasst von: Dr. Dirk Heißerer

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