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Foto: Ingvild Richardsen (TELITO)

Hotel Bachmair: Sommerdirndln (Carry Brachvogel)

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Rosenstraße mit Hotel Steinmetz, 1921 (Postkarte).

Das Hotel Bachmair am See, ein Vier-Sterne-Hotel in Rottach-Egern, wurde von 1826 bis 2019 von der gleichnamigen Familie geführt. Heute gehört es zur Hirmer-Unternehmensgruppe. Es war der Bäckermeister Johann Bachmair, der an diesem Ort 1826 eine Schankwirtschaft direkt am See eröffnete, die später auch als der „Barthalamä“ bekannt war. Noch 1872 gab es nur zwei Gasthöfe in Rottach-Egern, in denen sich das örtliche Gesellschaftsleben abspielte, den Barthalamä und den bereits erwähnten Gasthof Zur Überfahrt. Beide besaßen auch Landwirtschaft und eine eigene Metzgerei, der Barthalamä zudem noch eine Bäckerei. 1967 übernahm Karin Bachmair das Anwesen von ihrem Vater und erweiterte es zu einem Hotel, zu dem neun Häuser mit 520 Betten im Hotel an der Seestraße gehörten. Tatsächlich war das Hotel Bachmair in den 1970er-Jahren bei der Münchner Schickeria sehr beliebt. Auch Tina Turner, Frank Sinatra, Udo Jürgens, Udo Lindenberg und Thomas Gottschalk logierten hier. 2019 gab die Familie Bachmair bekannt, dass sie das Hotel durch ein langjähriges Erbbaurecht an die Hirmer-Gruppe vergeben hat. Diese plant die Führung des Hotels innerhalb ihrer Tochtergesellschaft Travel Charme Hotels & Resorts und einen Umbau im laufenden Betrieb zwischen 2020 und 2023 mit Erweiterung auf 150 Zimmer.

Gründungsort der „Wallberger“

Das Hotel Bachmair ist ein geschichtsträchtiger Ort. Am 24. März 1889 trafen sich hier beim früheren „Bartlmä“ 36 Männer und gründeten den Trachtenerhaltungsverein „Die Wallberger – Verein zur Erhaltung der Volkstracht“. Kaum ein Jahr später hatte der Verein bereits mehr als 150 Mitglieder. „Die Wallberger“ stehen für ein wichtiges Stück Ortsgeschichte. Als einer der ersten Vereine dieser Art im bayerischen Oberland setzten sie sich das Ziel, fast schon verlorengeglaubtes Volks- und Brauchtum wieder lebendig werden zu lassen. Die wiedergefundene Heimatliebe nach dem Krieg 1870/71 und das damit verbundene Bekenntnis zu den eigenen Traditionen waren wohl mit ein entscheidender Faktor für das Entstehen der oberbayerischen Volkstrachtenbewegung.

Vereinsgründer war der 1860 geborene Carl Reinhard, dessen Eltern seit 1824 im Meßnergütl in Egern ein „Gemischtwarengeschäft“ führten. Reinhard, der den größten Teil seiner Lehrzeit in Wien und Prag verbracht hatte, war als versierter Kaufmann nach Egern zurückgekommen. 1887 hatte er bereits mit Gleichgesinnten zuerst den Verkehrs- und Verschönerungsverein gegründet.

Die Vereinstreffen fanden reihum in den Gasthöfen Schwaighof, Tuften, Hahn (Pfatischer), Kalkofen, Enterrottach, Glasl, Weißach, Kreuth (Raineralm und Lehmann), im Sapplkeller von Abwinkl, im Hotel Steinmetz und am Pflieglhof in Tegernsee statt, sogar auf dem Wallberg- und Hirschberghaus. Die Winterzusammenkünfte verteilten sich auf die Rottacher und Egerner Gasthöfe „Scheurer“ (Post), „Plendl“ (Lindl), „Bartlmä“ und „Überfahrt“, später auch noch die „Seerose“ (Kefer). Im überlieferten Protokollbuch des Trachtenvereins findet man Auskunft über alle Aktivitäten und die Geschichte des Vereins.

Die Wittelsbacher und die Tracht

Dass im Tegernseer Tal heute auch im Alltag ganz selbstverständlich Tracht getragen wird und gerade die (erneuerte) Tegernseer Tracht in ganz Bayern sehr beliebt ist, ist nicht zuletzt ein Verdienst der Wittelsbacher. Herzog Ludwig Wilhelm (1831-1920), der sich gerne in Lederhose und Lodenjoppe zeigte, trug maßgeblich dazu bei, die Tracht „salonfähig“ zu machen. Nach seinem Vorbild kombinieren die Männer seit der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts die ursprüngliche Tiroler Jägerjoppe mit grünem Stehkragen und Quetschfalte am Rücken mit einer langen Hose zum Tegernseer Trachtenanzug. Diese Kombination wird noch heute bei allen festlichen Anlässen als regionaltypische Kleidung getragen. Das weibliche Gegenstück dazu ist ein Kostüm aus Tegernseer Joppe und gerade geschnittenem Rock.

Tegernseer Dirndln, 1897. Aus: Hans Halmbacher: Das Tegernseer Tal in historischen Bildern. 3 Bde. Fuchs-Druck, Hausham 1980-87 (Sammlung Hans Halmbacher) 

Die Schriftstellerin Carry Brachvogel und das Tegernseer Dirndl

Über die Entstehung des Dirndls und das Tegernseer Dirndl gibt es eine schöne und humorvolle Erzählung der bekannten Münchner Schriftstellerin und Feuilletonistin Carry Brachvogel (1864-1942). Diese trägt den schönen Titel Sommerdirndln und erschien 1923 in ihrem Buch Im Weiß-Blauen Land. In ihm lädt sie den Leser ein, auf Entdeckungsreise in Bayern zu gehen. „Bayerische Bilder“, Menschen, Merkwürdigkeiten, Sehenswürdigkeiten und Besonderheiten Bayerns sind es, die sie kaleidoskopartig am Leser vorbeiziehen lässt. Einzelne der hier versammelten Erzählungen und Essays waren schon zuvor als Feuilletons erschienen. Das Buch wurde ein Bestseller. In zahlreichen Kritiken wurde Brachvogel bescheinigt, eine der wenigen wirklichen Kennerinnen Bayerns und seiner Bewohner*innen zu sein.

Im Weiß-Blauen Land: Sommerdirndln

In Sommerdirndln erzählt Carry Brachvogel die Geschichte des Dirndls, schildert, wie es in Bayern am Tegernsee erfunden wurde und sich dann weiterentwickelte. Hier ein Ausschnitt:

An einem der bezaubernden Seen des Salzkammerguts war es, daß ich vor vielen Jahren zum ersten Mal ein Stadtfräulein im Dirndlgewand sah. Oder nein, nicht eines, sondern eine ganze Schar drängte sich um den Dampfschiffsteg, alle in lichtgeblümten, faltigen Röcken mit der seidenen Schürze, dem koketten, weißen Hemdchen oder dem bunten Brusttuch und auf dem sorgfältig frisierten Haar das grüne Hütchen. Sicherlich war nicht jede einzelne von ihnen besonders hübsch, aber als Massenbild wirkten sie so heiter und anmutig, daß mein reichsdeutsches Auge überrascht auf diese sommerliche Tracht blickte [...].

Dieser Stilrichtung, mehr aber noch dem Klima und den Bedürfnissen unserer Berge entsprechend, hatten wir, wir Bayerinnen, uns für unseren Landaufenthalt ein besonderes Kleid ausgedacht, das zwar nicht so farbenfreudig, nicht so kokett anzusehen war wie das österreichische Dirndl, in dem wir aber doch nicht nur uns selbst, sondern auch anderen gefielen, denn sonst hätten wir es vermutlich niemals angelegt. Es bestand in einem bis zum Knöchel reichenden grauen Lodenrock mit breitem, grünen Tuchsaum, dazu die kurze sogenannte Kochlerjoppe mit Hirschhornknöpfen und grünem Tuchbesatz an Hals, Ärmeln und den zahlreichen Taschen. Dazu trug man das grüne Hütel mit der Flaumfeder und feste, aber elegant gearbeitete Schnürstiefel, war also praktisch für Wind, Wetter und Berge gerüstet und sah doch ein wenig wie eine Bekennerin des allerfeudalsten Sports – der Jagd – aus. Wäre dies Kleid in Paris erfunden worden, so hätte es sicherlich »à la chasseresse« geheißen, aber es kam nicht an der Seine, sondern am Tegernsee zur Welt, in jenem Tegernsee, das eben erst Allerweltssommerfrische geworden war, sich aber doch gerne noch der Zeit erinnerte, da es nur mit der Achse erreichbar und ein zwar prunkloses aber exklusives Hoflager war. Der Tegernseer Schneidermeister, der diese Kleider zu einem Preise fertigte, der einem heute Tränen der Rührung entlockt, und die jagdliche Nüance, die er ihnen lieh, bedeuteten sicherlich eine kleine Verneigung vor dem hinschwindenden höfischen Glanz des lieblichen Ortes. Dies Kleid war einfach, wie man sichs nicht einfacher denken kann, aber die Jungen sahen doch bildhübsch darin aus, und die Ältlichen oder Alten – – Ja, wie sie darin ausgesehen hätten, kann ich nicht sagen, denn damals war es noch nicht üblich, daß die Großmutter sich mit der Enkelin gleich kleidet und obendrein noch einbildet, daß sie wie die Mutter, wenn nicht gar wie die ältere Schwester des Tochterkindes aussehe. Dagegen möchte ich hier einmal feststellen, daß dieses unser Sommerkleid die primitivste Urform des Jackenkleides war, das später verbessert, verschönt, verprächtigt, mit der persönlichen Note seiner Trägerin geadelt, einen Siegeszug durch die ganze Welt der Mode antrat und all ihren Wandlungen Trotz bot, sodaß heute wie vor zwanzig Jahren (und vermutlich noch in zwanzig Jahren keine gut angezogene Frau zu denken ist, in deren Garderobeschrank nicht ein Jackenkleid hängt.

Ehe es aber so weit war, hatte unser bescheidenes Sommerkleid etliche greuliche Verpuppungen durchzumachen. Es geriet nämlich etlichen praktischen, ach! so entsetzlich praktischen Provinzlerinnen in die Hände, die entdeckten, daß sein Gewebe schier unzerreißbar und seine Farbe eine Tarnkappe für den Schmutz war. Von diesem schwung- und seifenlosen Gesichtspunkt aus trennten sie ihm den hübschen, grünen Tuchbesatz ab, schnitten aus seinem feschen Jankerl eine behäbige Jacke, rafften seinen Rock mit einem Kleiderschürzer, daß biedere Kalblederstiefel Nr. 43 weithin sichtbar wurden und krönten ihr Meisterwerk durch Zufügung einer Bluse, deren Schmierigkeit leider kein Tarnhelm barg. So stapfte nun unser liebes Tegernseer Sommerkleid als sommerliches Lodenweib über die bayrische Hochebene hin, verschandelte durch seine Erscheinung die schönste Gegend, gab aber dem Simplizissimus reichlich Stoff zu lustigen Spottbildern, die freilich nicht hindern konnten, daß die Lodenweiber immer häufiger und ihre Blusen immer peinlicher wurden.

Wie kam die Münchner Schriftstellerin Carry Brachvogel dazu, über das Tegernseer Dirndl zu schreiben?

Tod im Tegernsee

Wie viele Münchner hat sich Carry Brachvogel schon als junge verheiratete Frau häufig zur Sommerfrische in Tegernsee aufgehalten und verkehrte auch im Hotel Bachmair. Das hing u.a. damit zusammen, dass ihr Mann, der Münchner Schriftsteller und Redakteur der Münchner Neuesten Nachrichten Wolfgang Brachvogel, den sie 1888 geheiratet hatte, Mitglied im Trachtenverein der Wallberger war und sie seit seinem Beitritt zum Trachtenverein mit seiner Liebe, seinem Interesse und seinem Wissen über das Trachtenwesen ansteckte. Tatsächlich ist das Leben der später deutschlandweit bekannten Schriftstellerin Carry Brachvogel schicksalhaft mit dem Tegernsee und den Wallbergern verknüpft. Denn 1892, unmittelbar bevor ihr Mann an einem Vereinstreffen der Wallberger im Hotel Steinmetz in Tegernsee teilnehmen konnte, ertrank dieser im Tegernsee.

Es war der Abend des 6. Juli 1992, als Carry Brachvogel in München mit ihren zwei Kindern auf die Rückkehr von Wolfgang Brachvogel aus Tegernsee wartete, wohin er am frühen Morgen aufgebrochen war. Ein Freund, Alfred Schaeuffelen, der Schwiegersohn des bekannten Verlegers Friedrich Bruckmann und Galant von Hedwig Pringsheim, überbrachte ihr spätabends die schreckliche Nachricht und ein Telegramm aus Tegernsee. Hier stand zu lesen, dass Wolfgang Brachvogel im Tegernsee ertrunken war. Was genau passierte, konnte man erst am nächsten Tag im Tegernseer Seegeist lesen:

Mit dem gestrigen Frühzuge traf Schriftsteller Herr Brachvogel [...] hier an, nahm im Hotel Steinmetz ein Frühstück ein, suchte sodann auf dem Anstieg zur Neureuth Blumen, welche er zu einem Bouquet vereinigte, übergab dasselbe sonach im Hotel Steinmetz zur Aufbewahrung, entfernte sich wieder unter Angabe ein kaltes Bad zu nehmen, da er sich nicht ganz wohlfühle. In der Schwimmanstalt des Herrn Ketterer nun scheint es, daß er vom kleinen Sprungbrett in den See sprang ohne sich vorher abgekühlt zu haben und verschwand sofort ohne einen Hilferuf. Ein Schlagfluß scheint das Leben, des im schönsten Alter von 42 Jahren stehenden Schriftstellers ein Ende gemacht zu haben. Die Leiche wurde gegen Abend von Herrn Oberfischer Höplinger aufgefunden. Der Verunglückte hinterläßt eine trauernde Wittwe und zwei Kinder.

Drei Tage später, am 9. Juli, erschien in den Münchner Neuesten Nachrichten folgende schnörkellose Annonce:

Statt jeder besonderen Anzeige. Allen Freunden und Bekannten teile ich mit, dass unser Vater, Gatte und Schwiegersohn, Herr Wolfgang Brachvogel, Schriftsteller am 6. Juli in Tegernsee einem Lungenschlag erlegen ist. Die Witwe Carry Brachvogel geb. Hellmann im Namen aller Hinterbliebenen. Die Leiche wird nach Gotha überführt.

Noch heute findet man in der Chronik der Wallberger den Eintrag, worin in der Generalversammlung der Wallberger am 11. Mai 1893 der Toten des Jahres 1892 gedacht wurde, unter ihnen auch Wolfgang Brachvogel:

General-Versammlung den 11. Mai 1893

Die auf obigen Tag ds. Jahres anberaumte Generalversammlung war sehr zahlreich besucht. Herr Vorstand Reinhard eröffnete dieselbe mit einer Ansprache an die versammelten Mitglieder, in welcher er seine Freude und seinen Dank für das zahlreiche Erscheinen, das Zusammenhalten im verflossenen Vereinsjahres, welches ein sehr ereignisreiches war, und munterte auf auch in Zukunft treu zur Fahne zu stehen. Hierauf wurde der werten Toten gedacht welche das Jahr 1892 gefordert. dieselben sind nachstehend: Herr Sachsenhauser sen., k. Rechtsrat; Herr Carl Wegmayer; Herr Wolfgang Brachvogel, Schriftsteller. Die Versammelten erhoben sich zur Ehrung der Verstorbenen von ihren Sitzen. Sie ruhen sanft.

Wie diese Zeugnisse zeigen, ist Carry Brachvogels Leben tatsächlich schicksalhaft mit dem Tegernsee und den Wallbergern verknüpft. Und dies in mehrerlei Hinsicht: nicht nur, dass Wolfgang Brachvogels Tod im Tegernsee 1892 ihr Leben von einem Moment auf den anderen komplett umwarf und sie plötzlich mit 28 Jahren und zwei kleinen Kindern allein dastand. Sein Tod führte auch dazu, dass sie wenig später beschloss, endlich ihren Jugendtraum wahrzumachen. Ein Entschluss mit Tragweite: Bereits zwei Jahre später startete die kometenhafte Karriere der Schriftstellerin Carry Brachvogel, die im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts zu einer der bekanntesten Autorinnen und Feuilletonistinnen Deutschlands wurde.

Exlibris von Carry Brachvogel. Foto: privat. 

Wer war Carry Brachvogel?

Caroline Hellmann, am 16. Juni 1864 in eine Familie des Münchner jüdischen Großbürgertums hineingeboren, war die Tochter des wohlhabenden Kaufmanns Heinrich Hellmann und seiner Frau Zerline Karl. Von frühester Kindheit an begeisterte sie sich für Literatur und Theater. Schon vor dem Schicksalsjahr 1892 hatte sie kleinere Erzählungen und Feuilletons geschrieben und veröffentlicht und bereits als 19-jährige den Entwurf für einen Roman verfasst, in dem sie die gesetzliche Gleichheit in der Ehe propagierte. 1888 hatte sie den Münchner Redakteur Wolfgang Brachvogel geheiratet. 1889 und 1890 waren zwei Kinder zur Welt gekommen.

Als Wolfgang Brachvogel 1892 ertrank, hinterließ er ihr um die 10.000 Reichsmark (entspricht heute ca. 66.000 Euro). Unterstützt von ihrer Mutter, die sich um die beiden Kinder kümmern wollte, beschloss sie nach Überwindung des Schocks ihren Jugendtraum zu verwirklichen: als Schriftstellerin zu arbeiten und langfristig damit den Familienunterhalt zu sichern. Tatsächlich widersprach ihre Entscheidung damals den bürgerlichen Rollenvorstellungen einer Frau. Üblich gewesen wäre, sich nach dem Ablauf der Trauerzeit wieder auf die Suche nach einem neuen Ehepartner, nach einem Versorger für sich und die Kinder zu begeben. Carry Brachvogel traf damals ganz bewusst eine andere Entscheidung und machte sich an die Arbeit. Bereits 1894 wurde an der Frankfurter Bühne ihr Theaterstück Vergangenheit uraufgeführt. Mit ihrem Roman Alltagsmenschen, den sie 1895 im renommierten S. Fischer Verlag in Berlin veröffentlichen konnte, gelang ihr der deutschlandweite literarische Durchbruch als moderne Autorin.

Tatsächlich war die Münchnerin Carry Brachvogel eine Berühmtheit ihrer Zeit. Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts avancierte sie zu einer in ganz Deutschland bekannten Schriftstellerin und Feuilletonistin. Jahrzehntelang führte sie einen literarischen nahezu legendären Salon in Schwabing, den sie zwei Jahre nach dem Tod ihres Mannes am Münchner Siegestor eröffnete. 1913 gründete sie den ersten Schriftstellerinnen-Verein nicht nur Bayerns, sondern auch Deutschlands, der sich für die gleiche Bezahlung von Frauen und Männern einsetzte und seinen Mitgliedern verbot, unbezahlt oder unter Wert zu arbeiten. Zahlreiche bedeutende Schriftstellerinnen traten diesem bei: Ricarda Huch, Annette Kolb, Helene Böhlau, Isolde Kurz u.v.a. Noch 1924, zu ihrem 60. Geburtstag, wurde die erfolgreiche Schriftstellerin deutschlandweit in den Zeitungen gefeiert. Wenige Jahre später zählte nur noch, dass sie jüdischer Herkunft war. 1933 erhielt sie Berufs- und Publikationsverbot, und auch der von ihr gegründete Münchner Schriftstellerinnen-Verein entzog ihr den Vorsitz. 1942 wurde sie zusammen mit ihrem Bruder, dem Historiker Prof. Dr. Siegmund Hellmann, nach Theresienstadt deportiert, wo beide wenige Monate später ermordet wurden.

Carry Brachvogel war eine äußerst produktive, sehr vielseitige Autorin und hat zu Lebzeiten um die 40 Werke veröffentlicht: Romane, historische Frauenbiographien, Novellen, Erzählungen, Legenden, zwei Theaterstücke, einen Kriminalroman, zahlreiche Feuilletons und Essays. Sie war berühmt für ihren eleganten und geschliffenen Schreibstil, ihren psychologischen Scharfblick und eine ganz außergewöhnliche Charakterisierungskunst. Aber auch für ihren bissigen Humor, ihre Ironie und ihre – zuweilen – boshafte Schlagfertigkeit.

 

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Verfasst von: TELITO / Dr. Ingvild Richardsen