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2.06.2020
19 Uhr
Salon im Cafe Luitpold, Brienner Str. 11, München
Eintritt: frei

Adalbert Stifter – der aufregendste Langweiler der Weltliteratur?

Adalbert Stifters Werk polarisiert. Konnte der 1805 im Böhmerwald geborene Autor mit Erzählungen wie Brigitta (1843) oder Der Hagestolz (1845) noch beachtliche Publikumserfolge erringen, so fiel die Reaktion auf seinen großen Bildungsroman Der Nachsommer (1857) schon deutlich verhaltener aus. Für seine letzte Erzählung Der fromme Spruch (1867) fand der Autor nicht einmal mehr einen Verlag. Schon von Zeitgenossen wie Friedrich Hebbel verspottet, genießt Stifter noch heute gelegentlich den zweifelhaften Ruhm, der langweiligste Erzähler der Weltliteratur zu sein. Und wirklich: Die Verschrobenheit, das Umständliche, die weitschweifige Handlungsarmut in Stifters Spätwerk zumal ist auch für geduldige Leser eine Zumutung. Doch schon Thomas Mann bemerkte feinfühlig, „daß hinter der stillen, innigen Genauigkeit gerade seiner Naturbetrachtung eine Neigung zum Exzessiven, Elementar-Katastrophalen, Pathologischen wirksam ist“, weshalb er ihn einen „der merkwürdigsten, hintergründigsten, heimlich kühnsten [...] Erzähler der Weltliteratur" nannte. So leicht es ist, sich über Stifters erzählerische Eigentümlichkeiten lustigzumachen, so lohnend ist es auch, das zu bestimmen, was seine Texte so interessant und faszinierend, so abgründig und großartig macht.

Wie und warum hat sich sein Erzählen im Laufe der Jahre verändert? Was ist das „sanfte Gesetz“, von dem im Zusammenhang mit seinem Werk so viel die Rede ist? Wer war der Autor, der in seinen Texten Harmonie und Ordnung beschwor, seinem Leben im Jahr 1868 aber mit einem Messerschnitt ein brutales Ende setzte? Und warum ist es lohnend, sich heute mit diesem merkwürdigen Erzähler zu befassen? Was also macht die ‚Modernität‘ seines Erzählens aus? In Zeiten der Corona-Epidemie fällt nicht zuletzt die Erzählung Granit mit ihrer Schilderung der Pest ins Auge: Wie geht die Literatur mit Epidemien um und welche Funktionen kann sie dabei haben?

Dr. Peter Becher, Literaturwissenschaftler, Vorsitzender des Münchner Stifter Vereins und Autor der Biographie Adalbert Stifter. Sehnsucht nach Harmonie (2005).

Prof. Dr. Christian Begemann, Literaturwissenschaftler, LMU München. Autor u.a. der Monographie Die Welt der Zeichen. Stifter-Lektüren (1995) und Herausgeber des Stifter-Handbuches (2017).

Prof. Dr. Stephan Kammer, Literaturwissenschaftler, LMU München. Forschungsschwerpunkte sind die Literatur des 17. Jahrhunderts bis zur Gegenwart mit einem besonderen Interesse für die Texte des Realismus sowie die Theorie und Geschichte der Künstlichkeit.

Moderation: Dr. Christian Gohlke

Einwähllink: https://elopage.com/s/SalonLuitpold/salon-luitpold_adalbert-stifter-aufregenster-langweiler-der-weltliteratur-via-zoom