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29.08.2014, 10:00 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [472]: Neununddreißigster bis dreiundvierzigster Sektor

Es ist nun keine Kunst, innerhalb eines einzigen Eintrags gleich fünf Sektoren abzuhandeln – ohne dass irgendetwas Relevantes passieren würde.

Schon im Katzenberger hat mir die kürzeste Summula immer besonders gefallen. Im Jean-Paul-Museum haben wir dieses gesamte Kapitel in unseren Büchervitrinen als Beleg für die literarische Gattung Kurzkapitel unterbringen können:

Er kam nicht zum Abendessen.

Im Vergleich zu dieser Summula wirken die nächsten neun Sektoren der Loge fast wie Monumentalkapitel – mit Ausnahme des ersten, der aber immer noch 6mal länger ist als die 29. Summula des Doktor Katzenberger. So also geht's weiter, so heben die nächsten Sektoren an:

Erst jetzt ists toll: die Krankheit hat mir zugleich die juristische und die biographische Feder aus der Hand gezogen, und ich kann trotz allen Ostermessen und Fatalien in nichts eintunken....

Nr. 40 wirkt dagegen ausgesprochen geschwätzig (und man sollte bemerken, dass der Dichter den Richterschen Wortwitz erst bei der Überarbeitung, für die 2. Auflage, eingeflochten hat:

Mich wird, wie es scheint, nebenbei auch der schwarze Star befallen; denn Funken und Flocken und Spinnweben tanzen stundenlang um meine Augen; und damit – sagen Plempius und Ritter Zimmermann – meldet sich stets besagter Star an. Schielen – sagt Richter, der Starstecher, nicht der Starinhaber, in seiner Wundarzeneikunst (B. III, S 426) – läuft untrüglich dem Stare voraus. Wie sehr ich schiele, sieht jeder, weil ich immer rechts und links zugleich nach allem blicke und ziele. – Werd' ich denn wirklich so stockblind wie ein Maulwurf, so ists ohnehin um mein bisschen Lebensbeschreiben getan....

Auch der 41. Sektor ist kurz und lustig genug, um ihn kommentarlos hier abzudrucken (falls „drucken“ im Internet noch einen Sinn bezeichnen sollte, aber man spricht ja heute auch noch seltsamerweise von Platten, wenn es um CDs geht, obwohl, wie man sieht, gelegentlich wieder Platten – sehr teure übrigens – gepresst werden):

Ich besitze ein paar Fieber auf einmal, die bei andern glücklichern Menschen sonst einander nicht leiden können: das dreitägige Fieber – das Quartanfieber – und noch ein Herbst- oder Frühlingfieber im allgemeinen. – Indessen will ich, solang' ich noch nicht eingesargt bin, dem Publikum alle Sonntage schreiben und es etwa zu zwei oder drei Zeilen treiben. Auch der Stil sogar wird jämmerlich; hier wollen sich die zwei Verba reimen....

Dafür ist der 42. Sektor gleich wieder so kurz wie der 39.:

O ihr schönen biographischen Sonntage! ich erlebe keinen wieder. Zu den Übeln, die ich schon bekannt gemacht habe, stößet noch eine lebendige Eidechse, die sich in meinem Magen aufhält und deren Laich ich im vorigen Sommer aus einem unglücklichen Durst muss eingeschluckt haben....

Soll der Blogger noch einen Sektor zitieren? Ist das nicht geistlos? Ach was! Die Seite hat mit dem nächsten ein Ende; schließen wir also die Betrachtung heute mit dem 43. Sektor ab – Platz genug ist ja, und kurz genug mutet er gleichfalls an:

Von Kirschkernen, die im Magen aufgekeimt, wie von Erbsen im Ohre hat man Beispiele. Noch aber hab' ich nicht gelesen, dass der Same von Stachelbeeren, den man gewöhnlich mit einschluckt, in den Gedärmen getrieben hätte, wenn diese durch Verstopfung etwa zu wahren Lohbeeten des gedachten Staudengewächses gediehen wären. – O guter Himmel, was wird endlich meine Krankheit sein, deren unsichtbare Tatze meine Nerven ergreift, erdrückt, ausdehnt, entzweischlitzt....

Wer nun glaubt, dass Jean Paul besonders originell war, als er die Unterbrechung der Erzählungsniederschrift mit einer ausbrechenden Krankheit begründete, irrt mal wieder: schon Sterne hat dies in seinem Yorick vorgemacht. Nur, dass der deutsche Autor die Unterbrechung auf die Spitze treibt und seine Absurditäten in Miniaturkapitel steckt – aber was heißt bei Jean Paul „nur“? ...