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15.07.2014, 16:51 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [437]: Kleine Poetik

Übrigens sah sein Stück wie eine Idylle von Fontenelle aus.

Das Drama vom Rosenmädchen ist ein hübsches, also nur ein sehr kleines, das weder einem „Jean Paul“ noch einem Jean Paul gefallen kann. Er selber hat später auch mal eine Art Drama geschrieben: ein Festspiel zu Ehren der Königin Luise, das zwar weniger Parfüm, aber umso mehr Fichtelgebirgswürze atmet. Auch es war nicht für die Ewigkeit geschaffen – und die Baierische Kreuzerkomödie ist alles Mögliche, aber kein Theaterstück. Der Erzähler bietet nun, indem er Oefels Werkchen mit den Werken des Modephilosophen Bernard le Bovier de Fontenelle vergleicht, eine Aesthetica in nuce (wie Hamann das genannt haben würde):

Die Phantasie, die den von der Kultur dünn geschliffnen Leuten gefallen will, muss schimmern, aber nicht brennen, muss das Herz kitzeln, aber nicht bewegen; die Äste einer solchen Phantasie werden nicht von schweren gedrängten Früchten, sondern von Schneelast niedergebogen. An solchen Hof-Poeten und an Ohrwürmern sind die Flügel gleichsam unsichtbar und winzig, aber beide finden leichter die Wege zum Ohr. An deutschen Gedichten ist nichts; hingegen die meisten französischen riechen nicht nach der Studier- und Sparlampe, sondern eher nach parfümierten Strumpfbändern, Handschuhen u. s. w., und je weniger sie haben, was den Menschen interessiert, desto mehr haben sie, was den Weltmann reizt, weil sie nicht mehr die Natur und Himmel und Hölle, sondern ein paar Besuchzimmer abmalen und so nicht ungeschickt in immer engere Windungen des Schneckenhauses sich zurückdrängen.

Himmel und Hölle – das ist in der Tat schon das Programm des jungen Jean Paul, der seine Figuren (auch die, die er nicht so liebt wie Gustav und Beata) den Extremen aussetzt. Mit dem Furor des Pantokrators, des Allherrschers, setzt er sie in seine Welten, in denen Strumpfbänder höchstens gelegentlich komische Requisiten sind. Jean Pauls Welt: das ist eine Folge von innersten Räumen, in denen der Dichter uns gefangen nimmt – bevor er uns in die Utopie der Freiheit führt – dort draußen in den weiten Landschaften der Seele und der Berge, des Himmels und der Sonne, der Wälder und der wahren Wirrsal.

Oefel würde zweifellos die Lektüre eines jeanpaulschen Romans nach zwei Seiten abbrechen – oder nach einigen Sektoren erschüttert feststellen, dass er, der Hofdichter, mit seinen Eintagsfliegen auf literarisch sinnlosem, verlorenem Posten steht.

Was nicht heißt, dass man es nicht vielleicht auch einmal mit Fontenelle versuchen sollte. Wer weiß: heute hätte man ihm vielleicht erlaubt, eine Frankfurter Poetikdozentur zu bekleiden – und im nächsten Semester wäre vielleicht sein Konterpart, der Herr Jean Paul drangewesen.

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