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30.04.2014, 13:52 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [402]: Durch die Straßen, durch die Au...

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Immerhin ein halber Jean-Paulaner

Der Stadtwanderer, den man nicht Flaneur nennen kann, weil er sehr gezielt durch das München der Vergangenheit läuft, bewegt sich weiter Richtung Südosten: durch die Au. Auch am Gasteig geht es zu wie An der Kreppe: nur einen Katzensprung vom Getriebe des Gasteigs entfernt stößt er auf kleine Häuser des 18. Jahrhunderts und auf eine erstaunliche Ruhe, die vergessen lässt, dass schon zu Jean Pauls Zeiten der Industrielärm höllisch war und man sich darüber aufregte.

Die Lilienstraße – eine Straße in Wunsiedler Verhältnissen: mit kleinen, wenn auch nicht geduckten Häusern …

… die zum Teil in Jean Pauls erstem Lebensjahr gebaut wurden. Nichts wäre indes sinnloser, als in diesen Gebäuden, die einst die Straße im Mittelpunkt des Dorfes namens „Au“ säumten, Relikte irgendeiner „Romantik“ zu sehen – denn nur ein paar Schritte weiter stand einst das Armen- und Arbeitshaus, das der Graf Rumford im Jahr der Revolution errichten ließ: dort, wo heute das große Wirtshaus steht, vor dem der halbe Jean-Paulianer Wache steht – und wiederum ein paar Meter weiter betritt der glückliche Stadtwanderer ein – ja: idyllisches – Gebiet, das aus ehemaligen Handwerkerhäuschen besteht.

Und hinter Bäumen steht, es könnte kaum schöner stehen, in der Sammtstraße ein ehemaliges Waisenhaus, das, als Jean Paul geboren wurde, gerade einmal 12 Jahre alt war. Zur Zeit der Loge war es noch in Betrieb; als der Dichter nach München kam, war es gerade aufgelöst worden.

Auch eine Realität der Jean-Paul-Zeit: Johann Michael Pöppel gründet das nach ihm benannte Waisenhaus. Den noblen Gründungsakt schilderte einst ein Fresko Wilhelm Ernst Hauschilds (der auch sehr fleißig für Ludwig II. und seine drei Königsschlösser wie für den Königsbau der Residenz tätig war) in der vaterländischen Geschichtsgalerie des alten Bayerischen Nationalmuseums.

Ludwig Schwanthaler verstand sich auch auf kleinere Frauen. Wir befinden uns in der Au – und wir sehen die Au: als Frau Au. Der Bildhauer hat sie in seinem Todesjahr 1848 gemeißelt – sieben Jahre nach dem Bayreuther Jean-Paul-Denkmal, als Madame Bavaria noch in Arbeit war. Das Schild enthält nun ein Lilienemblem, also eine Erinnerung an das ehemalige Kloster Lilienberg, das der Lilienstraße ihren Namen gab. Wer erinnert sich da nicht an die Lilien-Stelle zu Beginn des Vierten Sektors:

Auf allen meinen Gedächtnisfibern schläft keine schönere Sage als die aus dem Kloster Corbey: – wenn der Todesengel daraus einen Geistlichen abzuholen hatte: so legte er ihm als Zeichen seiner Ankunft eine weiße Lilie in seinem Chorstuhl hin. Ich wollt', ich hätte diesen Aberglauben. Unser sanfter Genius ahmte dem Todesengel nach und sagte dem Kleinen: „Wenn wir eine Lilie finden: so sterben wir bald.“ Wie alsdann der Himmellustige, der noch keine gesehen, überall darnach suchte! Einmal, da sein Genius ihm den Genius des Universums nicht als ein metaphysisches Robinets-Vexierbild, sondern als den größten und besten Menschen der Erde geschildert hatte: zog sich ein nie dagewesenen Wohlgeruch um sie herum. Der Kleine fühlt, aber sieht nicht; er tritt zur Klause hinaus und – drei Lilien liegen da. Er kennt sie nicht, diese weißen Juniuskinder; aber der Genius nimmt sie entzückt von ihm und sagt: „Das sind Lilien, die kommen vom Himmel, nun sterben wir bald.“ Ewig zitterte die Rührung nach spätern Jahren noch vor jeder Lilie in Gustavs Herzen fort, und gewiss gaukelt einmal in seiner wahren Todesstunde eine Lilie als das letzte glänzende Viertel der verlöschenden Monderde vor ihm.

Fotos: Frank Piontek, 25.4. 2014

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