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29.04.2014, 12:12 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [401]: München leuchtete

München leuchtete. Schon Jean Paul hat es gewusst: Was mich jedoch freut, ist dass ich gewiss weiß dass in München, wo keine schöne Natur zu sehen ist, dafür der Himmel desto schöner und blauer darüber schweben wird.

Jean Paul reist nach München: vor ziemlich genau 194 Jahren, Ende Mai 1820 – etwa ein Jahr, bevor er sich von Neuem den Text der Loge vornimmt. Hier quartiert er sich zunächst im rückwärtigen Trakt des Goldenen Adlers ein – wo immer dieser längst gestorbene Vogel auch damals gelandet sein mag. Schon am nächsten Tag zieht er in ein Privatzimmer in „das altertümliche, aber gar reinliche und anheimelnde Rochusgäßchen“, wie der Münchner Dichter Michael Georg Conrad später in Die goldene Schmiede schreiben wird. Nichts hat sich in der Rochusgasse (bei der heutigen Prannerstraße) davon erhalten. In der Nr. 1453 wohnt er bei Madame Gail, genauer:

Zum Glücke wohne ich im Häuserkreise vor der Stadt, der gerade die Gelehrten, folglich die Ausländer befasst; die Inländer innerhalb brauchen ein Jahr, um meine Ankunft, und ein Jahrhundert, um mein literarisches Verhältnis zu erfahren.

War München anno 1820 wirklich so illiterat? Es fällt auf, dass Jean Paul damals vor allem Hofleute, Politiker, ja das Königspaar, aber keine Dichter zu treffen scheint. Erst unter Ludwig I., besonders aber unter Maximilian II., wird München zur Literaturstadt aufsteigen: samt Münchner Dichterkreis.

Nein, das München, das Jean Paul wahrgenommen hat, war nicht das großzügige München, das der nächste König aus dem Boden an der Isar förmlich herausstampfen sollte: zum Leidwesen der Einheimischen, die sich ihre Gemütlichkeit nicht vom König kaputtmachen lassen wollten, den der Bauwurm plagte. Was aber war 1820 „neue“ Architektur in dieser Stadt, die noch in den mittelalterlichen Mauern befangen lag? Wer mit offenen Augen vor die Stadt läuft, wird einige Gebäude und Partien kennenlernen, die so gut Jean Pauls bescheidene Herkunft wie das Münchner Proletariat des späten 18. Jahrhunderts, frühen 19. Jahrhunderts spiegeln. Dazu muss man sich nur auf einen Spaziergang durch Haidhausen begeben.

München leuchtete – auch in Haidhausen, wo der Kriechbaumhof die alte Münchner Baukultur repräsentiert. Der Bau, den man eher im Fichtelgebirge vermuten würde, geht im Kern auf das 16. Jahrhundert zurück. Im 18. und 19. Jahrhundert konnten Wanderer ihr müdes Haupt hier niederlegen.

Jean Paul zog es intuitiv zum Hof, nach Nymphenburg, in die Residenz, zum König – im Grafenwinkel hätte er in den Herbergen auf seine eigene Herkunft stoßen können, wenn er es nicht vorgezogen hätte, mit dem anderen Max und der anderen Karoline und mit Montgelas zu speisen (abgesehen davon, dass er seinen Sohn Max hier herzlich umarmte und lange Briefe an seine Gattin Karoline schrieb).

Nicht weit vom Grafenwinkel findet sich An der Kreppe eines jener Häuser, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts als Herbergen errichtet wurden.

Und all dies Dörfliche liegt nur ein paar Meter vom Gewühl einer Großstadt entfernt, wo keine schöne Natur zu sehen ist, aber auch der Himmel desto schöner und blauer darüber schwebt. Allein man begreift, wieso der Dichter Beides brauchte: das „Große“ und „Repräsentative“ – und den gesunden Abstand vom höfischen Zeremoniell.

Dass sie ihn nicht zur Hoftafel zuließen, mag ihn gewurmt haben.

Fotos: Frank Piontek, 25.4. 2014

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