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08.11.2013, 13:12 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [274]: Wo die Herrschaften – nicht arbeiten

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Das Dresdener Grüne Gewölbe in einer Aufnahme von 1904

Denn er war in jenem grünen Gewölbe, das Scheeraus größte Schönheiten umfing, in Bousens Zimmer, nur vormittags; nachmittags und später rauschten durch dasselbe die Ströme des Vergnügens, aus den Freudenkelchen von Freuden-Najaden ausgeschüttet.

Es ist köstlich: Jean Paul beginnt den 29. Sektor mit einer Anspielung auf das berühmteste deutsche Schatzkabinett: das Grüne Gewölbe im Schloss zu Dresden, das, nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs, im Jahre 2006 wieder eröffnet wurde. Ein Feiertag![1] Für Jean Paul war das alles noch präsent, wenn er auch 1791 weit davon entfernt war, die Räume gesehen zu haben. Er wusste aber, wie es in den Zimmern zugeht, in denen die Herrschaften – nicht arbeiten. William Hogarth, der große Satiriker, der ein Jahr nach Jean Pauls Geburt starb, ein kompromissloser, über die Insel hinaus bekannter Anti-Watteau[2], hat es ein halbes Jahrhundert zuvor – acht Jahre nach der berühmten, noch bis in die Oper des 20. Jahrhundert wirkenden Serie A Rake's progress – in seinem Zyklus Marriage à-la-mode schon gezeigt. The Toilette, so heißtdas vierte, noch bis in den ersten Akt des Rosenkavalier wirkende Bild dieser sechsteiligen Serie, die 1743 bis 1745 entstand und durch Kupferstiche in ganz Europa populär wurde. William Makepeace Thackeray (der Autor des berühmten, noch bis in den Film des 20. Jahrhunderts wirkenden Barry Lyndon) hat im 19. Jahrhundert die Moral dieses Zyklus in Worte gefasst:

Don’t listen to evil silver-tongued counselors; don’t marry a man for his rank, or a woman for her money; don’t frequent foolish auctions and masquerade balls unknown to your husband; don’t have wicked companions abroad and neglect your wife, otherwise you will be run through the body, and ruin will ensue, and disgrace, and Tyburn[3].

Der halbe Hofstaat fuhr aus Scheerau her. Bekanntlich hat dieser, indes das Volk nur Sabbate hat, lauter Sabbatjahre, und die nähern Diener des Fürsten suchen sich von den Dienern des Staates dadurch auszuzeichnen, dass sie gar nichts arbeiten. Ich weiß es recht gut, dass mehr als einer der paralytischen großen Welt Arbeit zumutet, die nämlich, sich und andre in einem fort zu amüsieren; diese ist aber so herkulisch schwer und nützt alle Kräfte so sehr ab, dass es genug ist, wenn sie sämtlich nach einer Fête morgens bei dem Auseinanderfahren oder am Tage darauf sich verstellen und sagen: „Bei alledem wars heute ein deliziöser Abend und überhaupt alles so brillant!“ Unsre Großen verrichten alles das in ihrer Unschuld, ohne den geringsten Spaß dabei zu haben.

Oefel warf sich selber seine übertriebene Anspannung vor und sagte, er wüsste sich nicht zu entschuldigen, dass er jeden Morgen eine volle Stunde schreibe am „Großsultan“. Erst darnach waren die ernsthaften Geschäfte des Tages zu Ende; er ließ sich nun zum ersten Male frisieren und einstäuben, um als Tagschmetterling gegen alle Toilettenspiegel anzuflattern; auf den Blumenkopf der Défaillante (so hieß noch die Ministerin) ließ er sich nieder. Alsdann ließ er sich zum zweiten Mal frisieren und beflügeln, um als bestäubter Dämmerung- und Nachtschmetterling zwischen den Spielmarken und Schaugerichten und ihren Ebenbildern herumzusausen.

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[1] Der Blogger hat die Räume, nachdem die neuen Räume des Gewölbes bereits 2004 zugänglich gemacht worden waren, später besichtigt, sich daran erinnernd, dass er das Residenzschloss, deren Paraderäume des Westflügels 2015 wiederhergestellt sein werden, ebenso wie die benachbarte, durch den Fürstengang verbundene Frauenkirche, seit 1998 emporwachsen sah. Wie lange es wohl dauern würde bis zur Vollendung des Wiederaufbaues der gemachten Ruine! Als die Kirche schließlich im Jahre 2005 ihrer Bestimmung übergeben werden konnte, waren sieben Jahre vergangen – acht Jahre ist das nun schon wieder her. Es ist viel Wasser die Elbe heruntergeflossen.

[2] Georg Christoph Lichtenberg, der Jean Paul als den „allmächtigsten Gleichnis-Schöpfer“ rühmte, hat bekannte Kommentare zu Hogarths Kalenderbildern geschrieben.

[3] Tyburn? In Tyburn, einem Dörfchen der damaligen Grafschaft Middlesex, die heute zur City of Westminster gehört, befand sich der berühmt-berüchtigte Galgen, an dem bis 1783 manch Gauner baumelte. Wir haben ihn bereits im Bild gezeigt. Auch Hogarth hat ihn, 1747, in einem Stich verewigt.

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