„topologie des blütenstands“. Von Ekaterina Derisheva

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Ekaterina Derisheva (* 1994 in Melitopol) veröffentlichte in zahlreichen internationalen Literaturzeitschriften, darunter Plume, Tlen Literacki, Literatur in Bayern, Volga, SoFloPoJo, Homo legens, Kreshchatik und andere. Die Autorin publizierte die Bücher Starting Point („Startpunkt“ 2018), There Will Be No Installation („Keine Installation“ 2023) und war Mitautorin des Buches Timpul pământului („Erdzeit“, Rumänien 2020). In der Anthologie In the Mode of War („In der Stunde des Krieges“ 2023) veröffentlichte sie den Beitrag „Houses discussed“ („Erörterung über Häuser“). Ihre Gedichte und Essays wurden in zehn Sprachen übersetzt. 2022 erhielt sie den „europeans in art“-Award der Europa-Union München. Im selben Jahr war sie Stipendiatin des Internationalen Künstlerhauses Villa Concordia und am Literarischen Colloquium Berlin, wo sie das ukrainische Literaturleben u.a. mit ihrem Projekt KNTXT (Festival, Buchreihe, Literaturzeitschrift) geprägt hat. Schließlich erhielt sie Stipendien der Next Page Foundation (Sofia), von La Factorie (Normandie, 2023), der GEDOK für Lübeck (2023) und der Villa Sarkia (Sysmä, Finnland, 2023). Aus Charkiv geflüchtet, lebte sie zeitweise bei Feldafing in Bayern.

Mit den folgenden 10 unveröffentlichten Gedichten beteiligt sich Ekaterina Derisheva an „Neustart Freie Szene – Literatur“, einem Projekt des Literaturportals Bayern zur Unterstützung der Freien Szene in Bayern. Alle bisherigen Beiträge des Projekts finden Sie HIER. 

*

zu alarmsignalen
rutscht vom stadtgesicht der stuck
verdunkeln everything
wände zwischen mir
I
I
dir

*

kussdiffraktion
harter stift der stimme beim versuch die zeichnung aufzufrischen
semantik von papier
zerrissene leinwand aus leidenschaft
in äquidistanz zu uns

 

topologie des blütenstands

*

innere stimme löschen

[ ] echo
schwarze blume erblüht
rote blume erblüht
leblos

*

wind
abgeblätterte stimmen
kein halten mehr

*

gedicht gebildet aus ich-rede
verliert den diphtong
doch die rede
rede

*

docht am anderen ende der stimme
schweig mit größerer vorsicht
schweig

*

ist dieser baum etwa nicht verdorrt?

vor dem himmelshintergrund unter toten fichten
malt die echse einen stern

[die scharfen flügel des falters
schneiden den atem]

statt ihres kopfes ein radiergummi

kälte der kernspaltung
verdichtet den erkalteten echsenkörper

keine sterne in sicht

*

das fenster von der straße ver/angehängt
der kopf schüttelt seine reste
fossile stimmen
auf der karte
des gedächtnisses
der ort verliert an kraft
hält an
der baum flieht vor wurzeln

*

durchs trübe glas
fließt der sonnenuntergang
über den lebensrand

die geschichtsblüte
hat sich geöffnet im krieg
arbeitszeit unbestimmt

[der geruch von ereignissen kann im moment der öffnung erfasst werden]

unsere leben sind pixel auf der leinwand des todes
wo friedhofsnelken das ganze jahr über blühen
und blühen
und blühen
und blühen

*

der körper wuchert mit blumen
sichtkörnung
das aromapendel schwingt
seidene          hände
fordern           unsterblichkeit

 

(Übersetzung von Irina Bondas)