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01.10.2012, 16:37 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [5]: Über Schrift- und Lebenskunst

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Ein anderer ganz Großer aus dem Reich der Kunst und Fantasie: E. T. A. Hoffamann, vielleicht gemalt von ihm selbst. 1821 hatte er den zweiten Teil seines unvergänglichen „Kater Murr“ veröffentlicht, 1822 den „Meister Floh“ geschrieben und die Knarrpanti-Affäre erlebt – kurz, bevor er starb und Jean Paul letzte Zeilen zur „Unsichtbaren Loge“ schrieb.

Jean Paul hat eine seltsame Art, über das zu schreiben, was er als „romantischen Geist“ bezeichnet. Er benutzt gleichsam die Vorrede, um eine Kritik zu schreiben – so hat er es schon 1813 gehalten, als er in E. T. A. Hoffmanns Fantaisiestücke einführen sollte; was heraus sprang, war, genau genommen, eine Unverschämtheit: eine Verurteilung des Autors und seiner Prinzipien. Hoffmann taucht plötzlich wieder auf in dieser Abrechnung mit dem „romantischen Kunst-Wahnwitz“, doch seltsamerweise als „Friedrich Hoffmann“. Es ist unwahrscheinlich, dass er sich 1821 nicht an die inzwischen berühmt gewordenen, gekürzelten Vornamen Hoffmanns erinnern konnte. Unheimlich mutet es an, dass Hoffmann am 25. Juni starb – und Jean Paul die Vorrede auf den 24. Juni datierte. Friedrich Hoffmann – ist das ein Freudscher Verschreiber? Wenn ja: worauf deutet der „Friedrich“ des immerhin als „kraftvoll“ erkannten Dichters, der nun über einen „echten Wahnwitz“ verfüge, dem Jean Paul nicht mehr folgen will? Die Belladonna, schreibt Jean Paul, sei nun unsere Muse, man lebe im „poetischen Tollkirschenfest“, aber seine Ironie ist doch freundlicher Art, wenn er sich vorgeblich darüber freut, dass das Publikum das alles mitmache.

Einer der beiden zeitgenössischen Rezensenten der Unsichtbaren Loge – andere schreibende Interessenten sind nicht bezeugt – hat witzigerweise Gleiches bei Jean Paul festgestellt. 1794 schrieb ein gewisser „Pk.“ in der Neuen Allgemeinen Deutschen Bibliothek, dass der Roman „Bizarres“ enthalte, „häufige Disgressionen“, er rügt die „gesuchte bizarre Mischung in fast allen hier dargestellten Charakteren – dies alles sind Luftsprünge der Phantasie, eines bessern Genies unwerth“. Ja: „Durchaus ist Anordnung affectirt und Manier für Originalität untergeschoben.“ Man muß diese Urteile nicht völlig teilen, um festzustellen, dass der junge Jean Paul auf einen kritischen Leser so wirkte wie der ältere Hoffmann auf einen alt gewordenen Jean Paul.

Er selbst hat eine andere Idee, die Ziele der Poesie betreffend. In kurzen Worten: die Schöne Literatur soll bessern. „Die Dichtkunst“, sagt er schöner, „soll nur erheitern und erhellen, nicht verdüstern und bewölken“. Darin steckt kein Eskapismus, sondern der Glaube an eine Kunst, die ins Leben eingreifen soll, weil ihr der reale Hebel zu fehlen scheint, denn „ohne eine angeborne unwillkürliche – was man eben Hoffnung und Erinnerung nennt – wäre keine Wirklichkeit zu ertragen, wenigstens zu genießen..“ Die Schriftkunst als Mittel, die Lebenskunst anzureichern, die Literatur als Ausweg aus der Misere der Wirklichkeit: das Programm ist groß. Wird es der Jean Paul der Loge erfüllen? Er scheint, 30 Jahre später, zu zweifeln, hat er sich doch selbst, sagt er, naturgemäß in diese „romantische“ Nachtwelt begeben. Mehr Gräber als Gärten, denkt der Leser dieser Vorrede, der schon das unterirdische Dasein des Helden im Blick hat – aber Chodowieckis Kupfer zeigt ja schon die Befreiung, das Emporheben, die Lichtung.

Schauen wir, was wird. Jean Paul hat seinem frühen Roman in der späten Vorrede einen frommen Wunsch nachgeschickt: „Und so mögen denn diese zwei Mumien, weniger mit neuen Gewürzen zur Fortdauer einbalsamiert als hie und da mit den Zeichen-Binden anders eingewickelt, sich wieder zur frühern Zuziehung und Einladung zu den Gastmahlen der Leser zu erfreuen haben!“