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09.06.2021, 15:27 Uhr
Klaus Hübner
Text & Debatte
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Von der Würde des Menschen. Zwanzig Geschichten von SAID

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(c) Konkursbuch Verlag Claudia Gehrke

Dass SAID, der große deutsche Lyriker aus Teheran, ein politisch engagierter Autor war und sich für Verfolgte und Exilierte einsetzte, steht in allen Nachrufen, die man nach seinem Tod am 15. Mai 2021, kurz vor seinem 74. Geburtstag, lesen konnte. Auch dass er ein kluger, außergewöhnlich belesener und behutsam abwägender Essayist war, weiß man. Weniger bekannt ist SAID als sensibler und wacher Erzähler, trotz seines berührenden, auf dem Buchmarkt fast klanglos untergegangenen parlando mit le phung (2013), an das die dritte und die fünfte seiner zwanzig neuen Geschichten unübersehbar erinnern. Der vielfach ausgezeichnete Poet bleibt auch in flüstern gegen die wölfe bei der Kleinschreibung. Mehr oder weniger bleibt er auch bei den Themen, die ihn seit je umgetrieben haben. SAID erzählt von der auch in Phasen von Angst und Verzweiflung unantastbar bleibenden Würde des Menschen und von vielerlei Versuchen, sie trotz aller Widrigkeiten nicht zu verlieren – vor allem dann, wenn seine Protagonisten fremd sind oder sich fremd fühlen. Er erzählt von Außenseitern und Träumern, von Verfolgung und Verrat. Und von der Einsamkeit, manchmal durchbrochen von Gesten der Freundschaft und Solidarität, manchmal berührt und gemildert durch intensive Momente der Liebe. Ernste, eher melancholische Prosa? Ja, gewiss. Aber nicht nur.

Ob er nicht die Absicht habe, „wieder einmal nach teheran zu fahren“, fragt „die frau dort auf dem parkett“ den Ich-Erzähler, und der antwortet ihr: „unter zwei bedingungen nie. als tourist nicht und nicht als besiegter“. Sie sprechen über Teheran, was bei SAID weit mehr ist als nur der Name der iranischen Hauptstadt, und sie kommen sich näher. „bis sie eines tages sagte, dass sie für das amt arbeite … der spitzel sitzt in meiner küche, nach einer nacht voller küsse“. Und schon ist aus einer ergreifenden Liebesgeschichte eine kalte, einsam machende Geheimdienstgeschichte geworden. Auch der längste Text des Bandes, die anrührende, den schleichenden Verlust von Heimat umkreisende Erzählung eine schwarze murmel kommt ohne Geheimdienst nicht aus – ein Spitzel, sagt Vera, die der Erzähler im August 1975 im Zug nach München kennengelernt hat, „ein spitzel ist jemand, der seine geliebte verrät, um dem staat treu zu bleiben“. Solche Spitzel gab und gibt es, in der Epoche des Schahs ebenso wie in der Islamischen Republik, und immer wieder werfen sie ihre Schatten auf das Leben der Exilierten. Und gelegentlich mehr als nur das, wie ein nachmittag voller licht vor Augen führt, eine knappe Prosaskizze über die Willkür und Praxis des Killens. Die politisch gewollte Ohnmacht und Einsamkeit des Einzelnen grundiert die dem Band seinen Titel gebende Erzählung einer Flucht, in der die Wölfe, gegen die nur das Flüstern hilft, eine tragende Rolle spielen. Aber auch das Aufbegehren des Verstoßenen, seine Revolte im Sinne von Albert Camus und seine unzerstörbare Resilienz weiß SAID in brillante Literatur zu verwandeln, etwa in den nicht eben zarten Sexgeschichten françoise sitzt auf der treppe und meine knallroten zehennägel. Harte Kost manchmal, ganz bestimmt. Aber eben nur manchmal, denn dass auch Zärtlichkeit, Liebesschmerz und Trauer in diesem Buch ihren angemessenen sprachlichen Ausdruck finden, zeigt ihren Verfasser einmal mehr als glühenden und hochsensiblen Trotz-Allem-Humanisten, dem – siehe tod eines legalisten – die Würde des Menschen immer unantastbar bleiben wird. Vor den großen, wahrscheinlich ewigen Themen des Menschseins nicht zurückschreckende, ästhetisch fein geschliffene und die Seele anrührende Geschichten aus Giesing – Literatur in Bayern, auf der Höhe der Zeit! Wer konnte ahnen, dass flüstern gegen die wölfe sein letztes Buch zu Lebzeiten geworden ist? Es wird bleiben. SAID ist nicht tot.

SAID: flüstern gegen die wölfe. geschichten. Tübingen 2021: Konkursbuch Verlag Claudia Gehrke. 168 S., € 15,-.